Marcel Noebels ist in der Form seines Lebens. So konstant wie jetzt hat der Nationalspieler noch nie gepunktet, davon profitieren die Eisbären Berlin.
Nach dem Silber-Coup 2018 war Olympiaheld Marcel Noebels ganz nah dran an der NHL. Seine Auftritte in Südkorea hatten die Scouts der Boston Bruins so sehr begeistert, dass sie den deutschen Stürmer zum Trainingscamp einluden. Noebels bekam wieder hautnah zu spüren, mit welch harten Bandagen um die begehrten Plätze in der besten Eishockey-Liga der Welt gekämpft wird. „Es sind ungefähr 40 Jungs, die plötzlich neben einem stehen, und jeder fährt die Ellbogen aus und möchte den Platz unter den letzten 20 Spielern“, berichtet Noebels. In diesem immensen Verdrängungs-Wettbewerb zog er vor anderthalb Jahren den Kürzeren, aber sein Traum von der NHL ist dadurch noch lange nicht ausgeträumt. „Wenn der Tag noch mal kommt“, sagt der Angreifer der Eisbären Berlin, „würde ich es jederzeit wieder machen.“
Gut möglich, dass dieser Tag nicht mehr lange entfernt ist, denn der 27-Jährige spielt die beste Saison bei den Eisbären, ja sogar die beste Saison seiner Karriere. 42 Scorerpunkte nach 42 Spielen – so konstant hat der Nationalspieler noch nie gepunktet. Seine 21 Tore und 21 Assists spülen Noebels auf Platz zwei der DEL-Wertung, einzig der US-Amerikaner Chad Costello von den Krefeld Pinguinen ist um drei Punkte erfolgreicher. „Wenn man Selbstvertrauen hat und einen Lauf“, erklärt Noebels, „sind viele Sachen natürlich einfacher.“ Außerdem, das betont der Mann vom Niederrhein bei fast allen Gesprächen über seine Topform, „habe ich auch gute Mitspieler“. Vor allem mit James Sheppard (13 Tore, 17 Vorlagen) und Leonhard Pföderl (14/12) versteht sich Noebels auf dem Eis prächtig, das Trio bildet die Berliner Paradereihe. „Die Jungs helfen mir natürlich sehr“, weiß Noebels. „Allein ist es schwer, sich in der Liga durchzusetzen.“ Doch auch er setzt seine Kollegen bestens in Szene. Die Reihe sei „schon besonders“, gibt Trainer Serge Aubin zu, „sie haben eine besondere Chemie gefunden.“
„Würde es jederzeit wieder machen“
Doch das alleine kann Noebels Leistungssprung nicht erklären. Die hohe Punktezahl liegt auch an einer Umstellung seines Spiels. Früher war der technisch versierte Center oft damit zufrieden, wenn er den Puck mit seinem Körper und dem Schläger abschirmen und zum Mitspieler passen konnte. Doch die Kollegen wussten, dass in ihm noch mehr Potenzial schlummert. „Wir haben darüber gesprochen, dass er öfter schießen muss, dann gehen die Dinger automatisch rein“, verrät Kapitän André Rankel. Ganz so einfach ist es zwar sicher nicht, aber wichtig ist vor allem, dass Noebels diese Eishockey-Binsenweisheit glaubt. Und das tut er mit jedem Tor mehr. „Wenn man mit einer Situation Erfolg hatte“, sagt er, „macht man es wieder.“ Positiver Nebeneffekt: Noebels ist weniger ausrechenbar als noch in den letzten Jahren, sein Spiel deutlich variabler. „Früher wussten die Gegenspieler, dass ich vermutlich eher passe“, sagt er. „Jetzt schieße ich mehr und bin dadurch schwerer ausrechenbar.“
Ein weiterer Grund für den Formanstieg ist sicher auch das große Vertrauen, das Trainer Aubin seinem Torjäger entgegenbringt. Noebels darf oft in den Special-Teams auflaufen und Verantwortung übernehmen. Kein anderer Angreifer bekommt von Aubin so viel Eiszeit wie Noebels (durchschnittlich 20:42 Minuten pro Spiel) – und das hat seine Gründe. „Noebi macht einfach viele Dinge richtig. Er spielt mit viel Reife und großer Ruhe“, schwärmt der Headcoach über den Stürmer, der sich nicht nur auf sein großes Talent verlässt: „Wenn man so viel Talent hat, ist es nicht leicht, trotzdem auf all die kleinen Details zu achten, weil man es ja auch so irgendwie hinbekommt.“
Noebels arbeitet immer hart an sich, die Bodenhaftung dürfte er so schnell nicht verlieren. Er ist kein Träumer, sondern eher Realist. Schon in der Jugend wagte er von den Krefeld Pinguinen aus den Sprung nach Nordamerika, die Türen zur NHL blieben ihm aber versperrt. Genau wie beim Probetraining in Boston im September 2018. Ein großes Problem ist das aber nicht, „Noebi“ fühlt sich bei den Eisbären bestens aufgehoben. „Ich bin froh, wo ich gerade bin“, sagt er. Zusätzliche Energie für seinen NHL-Traum wolle er nicht verschwenden, sondern lieber im Hier und Jetzt leben: „Und solange ich hier in der Liga und in der Nationalmannschaft spielen kann, bin ich sehr zufrieden.“
Auch der sensationelle Silber-Coup der Nationalmannschaft bei Olympia in Südkorea spielt eine Rolle bei Noebels Entwicklung. Durch den Erfolg von damals habe er „sehr viel Selbstvertrauen getankt“, sagte der Torschütze zum 2:0 im Viertelfinale gegen Schweden. Bei den Winterspielen 2022 in Peking will Noebels wieder auf dem Eis stehen. „Olympia ist der absolute Wahnsinn“, sagt er. „Für mich ist es ein Erlebnis fürs Leben.“
„Olympia ist der absolute Wahnsinn“
Noebels war auch einer von drei Eisbären-Profis, die bei der WM im Jahr darauf in der Slowakei bis ins Viertelfinale einzogen. Doch auch er muss sich mittlerweile für eine Nominierung strecken, Top-Talente wie Moritz Seider, Lukas Reichel, John-Jason Peterka und Tim Stützle rücken nach. „Wenn man sieht, wen wir jetzt dabei haben: Da ist kein Spieler, der nichts mit der Scheibe anfangen kann“, sagt er. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir jemals dieses Luxusproblem an Qualität, Tempo und Talent hatten.“ Doch Bundestrainer Toni Söderholm kann auf Noebels nicht verzichten. Weil der Berliner trifft und trifft und trifft. „Klar schieße ich gern Tore, aber vor allem geht es um Punkte für die Mannschaft“, sagt Noebels, der sich in der Form seines Lebens fühlt. Dabei habe er „immer gedacht, das kommt erst so mit 30“.
Vielleicht ist Noebels in zwei Jahren ja noch erfolgreicher, vielleicht spielt er dann tatsächlich in der NHL, wovon er wie jeder Eishockey-Profi schon als Kind geträumt hat. Die NHL-Scouts können Noebels auf dem Eis nicht übersehen, er trägt bei den Eisbären-Spielen den roten Helm des teaminternen Scorer-Königs. „Der rote Helm steht ihm“, findet Trainer Aubin, „ich hoffe, er behält ihn das ganze Jahr.“ Rot ist allerdings so überhaupt nicht Noebels Lieblingsfarbe, er hält es lieber mit Schwarz-Gelb. Noebels ist seit seiner Schulzeit Fan des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund, selbst seine Schultüte war in den Clubfarben des BVB bemalt. In dieser Hinsicht hätten die Boston Bruins tatsächlich zu Noebels gepasst, der sechsmalige Stanley-Cup-Sieger läuft in der NHL auch Schwarz und Gelb auf.