Rund 75.000 Amts- und Mandatsträger zählt die Union zu ihrer kommunalen Basis. Der Vorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU/CSU (KPV), Christian Haase, über Selbstbewusstsein und Anfeindungen, Altschulden und Dienstpflicht.
Herr Haase, herrscht in der KPV derzeit Friede, Freude und Begeisterung?
Der Kommunalpolitiker ist in der Regel genug mit seinen Herausforderungen zu Hause beschäftigt. Aber es gibt Themen, da sagt er, „Da brauche ich die Unterstützung des Bundes oder der Länder.“ Die kommunale Ebene hat in Berlin in den vergangenen Jahren vielleicht nicht immer so die große Rolle gespielt. Das hat sich aber seit ein paar Jahren geändert, das Schlüsselerlebnis war die Migrationskrise 2015. Da hatte der Bürgermeister einfach mal den Bus mit den Flüchtlingen da stehen und musste Essen für den nächsten Tag organisieren. Da hat sich gezeigt, wie gut die kommunale Ebene in Deutschland funktioniert, auch in Krisen. Da konnte man sehen: Wir haben starke Kommunen.
Was macht für Sie denn eine starke Kommune aus?
Das fängt beim Selbstbewusstsein an: Ich will als Kommune die Dinge vor Ort regeln. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist natürlich die angemessene finanzielle Ausstattung.
Der Bundesfinanzminister will den Kommunen ja nun helfen und ihnen ihre Altschulden abnehmen. Das ist doch eigentlich sehr nett.
Moment. Beim Thema Altschulden müssen wir an die Ursache des Problems heran. Haben die Kommunen für ihre Aufgaben wirklich die richtigen Mittel? Wenn sie diese nicht haben, dann nutzt es nichts, wenn man ihnen mal Schulden wegnimmt, die sie dann sukzessive wieder aufbauen. Da sind wir uns mittlerweile einig. Unsere alte Forderung lautet: Wir brauchen eine Mindestfinanzausstattung der Kommunen.
Und der Vorschlag des Bundesfinanzministers?
Ich kenne den nicht. Das ist das Erschreckende. Der Finanzminister hat gesagt, wir müssen da etwas tun, er hat aber mit unserer Fraktion nicht gesprochen. Das ist nicht sehr lösungsorientiert. Viele Kommunen sagen mir: Wenn ihr jetzt einen Altschuldenerlass macht, dann finden wir das ungerecht. Seit Jahren sparen wir, und die haben sich auf was anderes verlassen und sind jetzt in einer Situation, wo ihr nach Schuldenerlass ruft. Das wäre ordnungspolitisch falsch.
Was wäre besser?
Wir müssen uns fragen: Wie können wir in der Breite strukturschwache Räume unterstützen? Und da hat der Finanzminister bisher gesagt: „Dafür habe ich kein Geld.“ Das kreide ich ihm an.
Können Sie die betroffenen Gemeinden nicht verstehen, denen das Wasser bis zum Hals steht?
Natürlich gibt es Gemeinden mit ungünstiger Bevölkerungsstruktur, hoher Arbeitslosigkeit, überproportional hohen Sozialkosten. Aber die Frage, wer ist Schuld und wer muss zur Lösung beitragen, die ist nicht eindeutig beantwortet. Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Wir brauchen eine konzertierte Aktion, da sind die Länder in der Pflicht.
Der Bund nicht?
Die Länder kriegen seit diesem Jahr mit dem neuen Länderfinanzausgleich zehn Milliarden Euro mehr. Einige Länder haben das genutzt: Das Saarland hat die Saarlandkasse aufgelegt, Hessen die Hessenkasse. Diese Lösungen halte ich für sehr verantwortungsvoll. Rheinland-Pfalz und NRW haben das bisher nicht getan. Hinzu kommt, dass viele gerade sagen: Die Not ist ja im Augenblick nicht da. Die Zinsen sind ja negativ. Man kann ja sogar Geld mit Schulden verdienen.
Ist das wirklich so?
Ich habe das von einem Kämmerer, der mir das gesagt hat.
Wenn Sie starke Kommunen haben wollen, brauchen Sie Menschen, die sich engagieren. Gibt es noch viele, die den Job als Kommunalpolitiker machen wollen?
Die kommunale Selbstverwaltung ist für mich die Wurzel der Demokratie. Da haben wir tatsächlich zunehmend Schwierigkeiten, Menschen zu finden, die das noch tun wollen. Das hat etwas mit dem Ansehen des Kommunalpolitikers zu tun. Der findet derzeit oft wenig Anerkennung, stattdessen erntet er eher Spott und Häme.
... oder Schlimmeres. Sollen wir Kommunalpolitiker besser schützen? Brauchen sie jetzt gar einen Waffenschein?
Ich bin gegen jeden Ansatz einer Selbstverteidigung. Ich will keine amerikanischen Verhältnisse. Wir müssen nach den Gründen fragen für Beschimpfungen und Gewalt gegen Amtsträger überhaupt. Wer kann so bescheuert sein, einen Rettungsdienst anzugreifen? Da fehlt mir jegliches Verständnis. Da müssen wir gesamtgesellschaftlich arbeiten. Viele Bürgermeister geben auf. Nicht, weil uns die Arbeit keinen Spaß macht, sondern dann, wenn ihre Kinder beschimpft werden.
Sind die Volksparteien noch in der Lage, die Veränderungen in der Gesellschaft aufzunehmen? Ist die CDU da auf dem richtigen Weg?
Unbedingt. Es war richtig, nach 15 Jahren endlich wieder grundsätzlich über die Ausrichtung der Partei nachzudenken. Es gibt gesellschaftliche Veränderungen. Die Wurzeln der Partei bleiben die gleichen. Wir sind eine Partei der Mitte. Hat sich die Mitte verändert? Volksparteien, und dazu zählt auch die SPD, haben die Aufgabe, die Mitte abzubilden. Wir haben bei uns Konservative, die bröckeln uns nach rechts weg. Dann haben wir ein Spektrum, da denke ich, so manche könnten auch bei der SPD oder bei den Linken sein.
Oder bei den Grünen?
Das sowieso, die Grünen sind schwer zu fassen, viele Grüne sind ja im Grunde sehr bürgerlich. Da gibt es sehr große Überlappungen.
Wäre da manchmal mehr Führung gut, oder geht es erst mal um eine breite Diskussion?
Die Debatte ist wichtig. Das müssen wir als Partei zulassen. Das hat uns bisher etwas gefehlt: die Spannbreite. Zuletzt wurden wir sehr eindimensional wahrgenommen. Die Kanzlerin fährt auf Sicht, entscheidet eher im Stillen, im kleinen Kreis. Da vermissen die Leute die große Debatte.
Wollen die Leute nicht auch Führung?
Natürlich gibt es solche Forderungen. Bei uns gab es in der Partei immer die Sehnsucht nach starken Leuten, die den Laden im Griff haben. Heutzutage werden die Hierarchien aber überall flacher, der Chor wird vielstimmiger. Wir brauchen auch die Töpfers, die schon sehr früh das Thema Nachhaltigkeit erkannt haben. Wenn wir ehrlich sind, ist es danach still geworden.
Was sagen Sie zur Idee eines Dienstpflichtjahres? Der Vorschlag stammte ja von Frau Kramp-Karrenbauer.
Die Idee kam ursprünglich von der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU/CSU. Wir haben Probleme im Ehrenamt, bei Rettungsdienstkräften, beim zivilen Katastrophenschutz, bei der Feuerwehr. Da wächst die Lücke. Wir fänden als Grundsatz gut, wenn jüngere Menschen ein Jahr ihres Lebens für den Staat zur Verfügung stehen.
Soll das Pflicht oder freiwillig sein?
Eine Pflicht zu einer vielleicht dreimonatigen Ausbildung wäre eigentlich eine schöne Sache. Aber da kommen wir an die Grenze der Diskussion, wenn wir das verpflichtend machen. Was machen Sie mit den, sagen wir, 20 Prozent, die nicht mitmachen? Früher kamen da die Feldjäger, schlimmstenfalls kamen Sie in den Knast. Das ist heute unvorstellbar. Da müssen wir noch diskutieren. Vielleicht sollten wir den Bundesfreiwilligendienst ausbauen. Das kann ja auch helfen bei der Berufsorientierung. Wir müssen dafür auch Anreize setzen. Patriotismus ist gut und schön, aber er reicht nicht. Die jungen Leute fragen: Was habe ich davon? Es könnte Boni geben: Wartezeiten fürs Studium, oder Anwartschaften für die Rente. Da diskutieren wir noch – ergebnisoffen.