Vor genau zwei Jahren hat Annegret Kramp-Karrenbauer den Sprung in die Bundespolitik gewagt. Ihr angekündigter Verzicht auf den Parteivorsitz offenbart den Zustand einer Partei ohne Orientierung.
Für Überraschungen war sie immer zu haben. Jamaika-Experiment im Saarland beendet, den letzten 40-Prozent-Sieg der CDU eingefahren, der Wechsel auf die bundespolitische Bühne in ein Amt, das zuvor niemand für sie wirklich auf dem Plan hatte.
Der jetzt angekündigte Verzicht auf die Kanzlerkandidatur und in der Logik auf den Parteivorsitz war vor dem Hintergrund der Entwicklungen dagegen nicht völlig überraschend. Er kam zu einem Zeitpunkt, als Annegret Kramp-Karrenbauer noch selbst entscheiden und einen längeren quälenden Prozess vermeiden konnte. „Sie ist zerrieben worden und hat sich zerreiben lassen“, so der Tenor von Stimmen aus ihrer saarländischen Heimat.
Der Wechsel nach Berlin vor genau zwei Jahren war allenthalben erwartet worden. Dass sie sich zunächst als Generalsekretärin um die Partei kümmern sollte, damit hatte keiner wirklich gerechnet. Dabei schien der Plan durchdacht und auch zunächst aufzugehen. Nach den Merkel-Jahrzehnten sehnte sich die Partei nach Diskussion, Mitsprache, Orientierung. Die „Zuhörtour“ der Generalsekretärin bot für die Basis die Chance, sich emotional und inhaltlich Gehör zu verschaffen.
Kaum geplant war dann der Rückzug Merkels aus der Parteispitze, infolgedessen sich die harmonie- und führungsgewohnte Partei ziemlich unvorbereitet mit einer Kampfkandidatur auseinandersetzen musste. Die inhaltliche Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm hatte erst begonnen. Spätestens in dieser Zeit waren die Zersplitterungen innerhalb der CDU unübersehbar. Die hatten sich zwar schon lange vorher entwickelt, aber die CDU hatte bis dahin eine eigene Kultur gepflegt, innere Zwistigkeit möglichst nicht allzu öffentlich auszutragen. Das sollte sich fortan ändern.
Der saarländische Fraktionschef Alex Funk, der zuvor seine eigenen Erfahrungen auf der Berliner Bühne gemacht hatte, sprach schlicht von einer „Kakophonie“ in der Partei, Missklänge, Unstimmigkeiten, Dissonanzen. Kramp-Karrenbauer war Vorsitzende ohne eigenes echtes Machtzentrum, ohne Bundestagsmandat. Das Adenauerhaus erwies sich zunächst als alles andere als eine schlagkräftige Parteizentrale. Die Politik war schließlich gefühlt seit jeher im Kanzleramt organisiert worden. Dann kamen Patzer und Fehleinschätzungen dazu.
Führungsfrage unvermeidlich
Ebenso ungeplant wie der schnelle Sprung an die Parteispitze war – als Kollateralspätfolge der Europawahl – die Übernahme des Verteidigungsministeriums. Anfang des Jahres, in der neuerlichen Syrien-Krise, wurde deutlich warum AKK zunächst auf einen Platz am Kabinettstisch (zugunsten der Partei) verzichten wollte. Bei mehreren Feuern gleichzeitig hat die Feuerwehr ein Problem.
Die Ereignisse in Thüringen machten die Führungsfrage unvermeidlich. Es ist eine Frage nach persönlicher Autorität, aber auch eine nach dem Zustand der Partei am Ende der fast zwei Jahrzehnte währenden Ära Merkel. Die Verschleißerscheinungen nach den Dauerregierungsjahren mit unterschiedlichen Regierungspartnern sind unübersehbar. Dass Merkel die Partei „nach links“ und weg aus der Mitte gerückt habe, wird gern zitiert, verliert aber an Aussagekraft, je unklarer wird, wer und was diese Mitte heute ist. Mit ein Grund für den Niedergang ehemaliger Volksparteien.
Für besser gestellte Schichten aus eher urbanem Milieu stehen die Grünen zur Wahl. Auf der anderen Seite greift die AfD an. Die Werteunion ist zwar nur ein Verein, macht aber mehr von sich reden als andere anerkannte CDU-Gliederungen, zumindest nach außen. Der Osten tickt erkennbar anders als der Westen. Allenfalls die Merkelsche Dauer-Krise mit der CSU ist derzeit bis auf gelegentliches Aufflackern, auf Sparflamme. Und schließlich wird der CDU noch das „C“ symbolisch entführt.
Dass die Basis der Partei in dieser Situation nach Orientierung ruft und man allgemein gern wüsste, woran man derzeit mit der CDU ist, endet logischerweise bei der Führungsfrage. Dazu muss es Antworten auf zwei Seiten geben: Eine Führungsfigur, die führen will und kann, und diejenigen, die dem zu folgen bereit sind. Beides war und ist nicht eindeutig geklärt. Die zusätzliche Beanspruchung als Verteidigungsministerin kostete Zeit und Kraft, die für die Zähmung einer Partei auf Identitätssuche erforderlich wäre. AKK Führungswillen abzusprechen, wäre eine Fehleinschätzung. Wie aber eine Partei führen, die einerseits nach klarer Orientierung ruft, sich andererseits aber selbst klarsten Ansagen widersetzt, wie das Beispiel Mohring zeigt, das aber beileibe kein Einzelfall ist.
Wer auch immer sich für die Nachfolge berufen fühlt, hat, nicht erst in den letzten Tagen, da aber besonders intensiv, vor Augen geführt bekommen, welche Aufgaben die CDU bereithält.