Bundesfamilienministerin Franziska Giffey soll der Hauptstadt-SPD wieder zu neuem Glanz verhelfen. Der Regierende Bürgermeister stellt seinen Abschied in Aussicht, allerdings nur, wenn er dafür auch ordentlich belohnt wird.
Der Müllwagen fährt um kurz nach 6 Uhr vom Betriebshof Wilmersdorf, Montagmorgen, Schichtbeginn bei den Müllmännern. Hinten auf dem Tritt des Großraumtransporters steht eine Müllfrau, die bundesweit keine Unbekannte ist: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Für sie ist heute Praktikumstag als Müllwerkerin. Gekleidet in ordentlich oranger Montur mit festen Handschuhen. In den kommenden Stunden muss die 41-jährige SPD-Spitzenpolitikerin Mülltonnen aus Kellerverschlägen im Hinterhof zum Wagen schleppen und entleeren. Giffey in ihrer Paraderolle: Zupacken, den anderen zeigen wie es geht und dazu noch extrem volksnah. Diese robusten Qualitäten waren es, die sie vor beinahe zwei Jahren überhaupt in die Bundespolitik gespült haben.
Zuvor war sie Bürgermeisterin des Berliner Problembezirks Neukölln. Nachdem die SPD auf Bundesebene wieder in die Große Koalition musste, suchte man damals bei den Genossen händeringend eine Frau aus dem Osten. Giffey war erste Wahl, geboren in Frankfurt/ Oder. Durch ihr unkonventionelles Auftreten wurde sie bundesweit schnell eine der beliebtesten Politikerinnen ihrer Partei. Diese Lockerheit kann ab und zu auch mal merkwürdige Formen annehmen, wie bei ihrem Müllwerkerinnen-Praktikum. Nach der Schicht gibt es auf dem Betriebshof noch eine Zusammenkunft mit den anderen hauptberuflichen Damen des Mülleinsammelns. Giffey lobt den Beruf und das Engagement der Frauen in dieser ursprünglichen Männerdomäne. Ganz unvermittelt erkundigt sich Giffey bei einer der Frauen, wie sie denn auf die tolle Idee gekommen ist, Müllwerkerin zu werden. Der jungen Frau entgleisen etwas die Gesichtszüge: „Weil ich das Geld brauche“, lautet die schlichte, aber ehrliche Antwort. Doch Giffey irritiert dies nicht weiter und schwadroniert noch eine gute Stunde weiter, über die herrliche Aufgabe, anderen Leuten den Müll nachzuräumen. Das sind Bürgermeisterqualitäten, wie sie an der Spree gebraucht werden.
Beliebteste Politikerin der SPD
Der derzeitige Hauptstadtchef hat diese bei Weitem nicht. Seit sechs Jahren ist er im Amt, und noch immer können mehr als die Hälfte der Berliner nicht auf Anhieb seinen Namen sagen, obwohl dieser eigentlich gar nicht so schwer zu merken wäre: Michael Müller. Der 55-Jährige hatte es mit dem Amt „Regierender Bürgermeister“ aber auch nicht einfach. Müller folgte dem Glamourkönig Klaus Wowereit nach. Anstelle des „Regierenden Partymeisters“, kam der verkniffene Verwaltungsfachangestellte Müller, der es selbst im Wahlkampf nicht für unbedingt notwendig hielt, den Berliner Zeitungen Interviews zu geben. Für die Berliner SPD läuft es seit Jahren alles andere als rund.
Die einstmals stolze Hauptstadt-SPD von Willy Brandt dümpelt seit Jahren in Umfragen irgendwo zwischen 13 und 20 Prozent, momentan eher bei 13 Prozent. Nun also soll es Franziska Giffey richten, wobei die Übergabe des politischen Staffelstabes mehr als fragwürdig ist. „Wenn ich sehe, dass es derzeit mit diesem Bürgermeister und SPD-Chef vorne und hinten nicht klappt, dann muss ich den doch einfach absetzen und von jetzt auf sofort eine neue Führung installieren und so den inhaltlichen Neuanfang dokumentieren. So haben wir uns keinen Gefallen getan“, gibt sich eine SPD-Genossin gesprächsweise erbost. Ihren Namen möchte sie lieber nicht in der Zeitung lesen, immerhin ist sie Mitarbeiterin der Partei – und will offenbar zukünftig nicht bei den Müllwerkerinnen anfangen. Dabei spricht die 54-Jährige das abgekartete Spiel an, unter dessen Umständen Michael Müller offensichtlich überhaupt nur bereit war, seinen Stuhl in nächster Zeit zu räumen. Wahrlich im Hinterzimmer einer Kneipe wurde am letzten Dienstag im Januar folgender Deal vereinbart: Müller tritt im Mai vom Landesvorsitz zurück und auch der Berliner SPD-Landesverband bekommt dann eine Doppelspitze. Franziska Giffey und Raed Saleh. Letzterer ist SPD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus und bislang Müllers schärfster Konkurrent. In der Männerrunde, einzige Frau war tatsächlich Giffey, wurde des Weiteren geklärt, dass Michael Müller bei der Bundestagswahl, vermutlich in eineinhalb Jahren, auf den Listenplatz 1 gesetzt wird. Bis dahin soll er als Berliner Regierungschef weiter vor sich hin wursteln. So ganz nebenbei hat diese Absprache den wunderbaren Effekt für die Bundespartei, dass man keinen Ersatz für Franziska Giffey als Familienministerin suchen muss. Allein die Personalsuche könnte in der SPD schon wieder die Diskussion um den Verbleib in der Großen Koalition befeuern, worauf zumindest in der Bundesfraktion keiner wirklich Lust hat.
Wahlkampf mit Unwägbarkeiten
Dabei kommt der „Berliner Deal“ bei den Hauptstadt-Genossen überhaupt nicht gut an. Vor allem geht es um den Listenplatz 1 bei der Bundestagswahl für Michael Müller. Der erste Platz ist eigentlich immer einer Frau vorbehalten und auf Platz 2 kommt dann ein Mann. Bislang hat Eva Högl Platz 1 und möchte diesen auch gern behalten, ist auf Forum-Anfrage aus ihrem Bundestagsbüro zu vernehmen. Im Übrigen kommt mit dem Listenplatz 1 für Michael Müller die gesamte Arithmetik der Berliner Bundestagskandidaten durcheinander und dürfte auch in der Bundespartei für einigen Ärger sorgen. Nach derzeitigen Umfragen werden die Berliner Sozialdemokraten ohnehin nur drei oder vier Mandate im Bundestag besetzen können. Einer der aus Sicht der Bundespartei dringend über einen sicheren Listenplatz abgesichert werden muss, ist der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert. Dafür wird schon die neue Doppelspitze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sorgen. Immerhin hat Kühnert die beiden im parteiinternen Wahlkampf nach Kräften unterstützt. Neben Eva Högl ist dann noch Cansel Kiziltepe aus Kreuzberg, die ebenfalls als gesetzt gilt. Doch damit wären die drei als absolut sicher geltenden Bundestagslistenplätze schon weg. Klaus Mindrup würde nach jetzigem Stand auf Platz 5 oder womöglich 6 landen. Und es gibt noch Sawsan Chebli. Die Staatssekretärin in der Senatskanzlei muss schließlich auch noch mit einem Posten versorgt werden. Denn sollte Franziska Giffey tatsächlich Bürgermeisterin werden, wird sie vermutlich Chebli nicht übernehmen.
Ob der Posten tatsächlich so funktioniert, ist mehr als fraglich. Hinzu kommen noch einige Unwägbarkeiten bezüglich der zukünftigen Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey. Die Debatte um ihre Doktorarbeit konnte zwar schnell erstickt werden, doch die Plagiatsvorwürfe werden auf jeden Fall von der Berliner CDU, FDP und AfD im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen. Obendrein wird, wenn auch unterschwellig, der Rauswurf von Karsten Giffey aus dem Landesdienst Berlin eine Rolle spielen. Ihr 46-jähriger Ehemann wurde als verbeamteter Veterinär wegen Betruges entlassen, nachdem ihm nachgewiesen werden konnte, dass er Arbeitszeiten abgerechnet hat, die nie stattgefunden haben. Unter anderem soll er eine Kongressteilnahme in Griechenland als Arbeitszeit vermerkt haben, obwohl er zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau Franziska Giffey auf Zypern gewesen sein soll. Franziska Giffey war zu diesem Zeitpunkt noch Bezirksbürgermeisterin von Neukölln. Ob sie über das Handeln ihres Mann Bescheid wusste, ist nicht klar. „Die Ministerin äußert sich nicht zu persönlichen Angelegenheiten von Familienmitgliedern“, heißt es aus ihrem Büro. Doch diese Linie wird Giffey im Wahlkampf im kommenden Jahr kaum durchhalten können, sie wird Farbe bekennen müssen, schon um ihre Glaubwürdigkeit nicht weiter zu beschädigen.