Das Vertrauen von Patienten bezüglich lebenswichtiger Medizinprodukte wurde in den letzten Jahren immer wieder durch Skandale oder Rückrufaktionen erschüttert. Daher wurde es auch höchste Zeit, ein nationales Implantateregister einzuführen.
Ende vergangenen Jahres war es endlich so weit. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ebnete den Weg für mehr Patientensicherheit. Mit dem am 3. April auf Vorlage von Spahn im Kabinett beschlossenen und am 26. September im Bundestag verabschiedeten „Gesetz zur Errichtung eines Implantateregisters Deutschland" wurde ein wichtiger und längst überfälliger Schritt getan. In dieser Einschätzung sind sich alle Experten einig. Ein viel grundlegenderes Problem wurde bei der Neuregelung allerdings außen vor gelassen: Hochsensible Medizinprodukte wie Herzkatheter, Hüftprothesen, Stents oder Brustimplantate benötigen hierzulande vor der Markteinführung im Unterschied zu Medikamenten keine Zulassung durch eine staatliche Behörde, sondern werden nach wie vor allein von sogenannten Benannten Stellen wie dem Tüv, Dekra oder Eurofins geprüft.
Obwohl die vielfach beschworene Neutralität und Unabhängigkeit der Benannten Stellen allein schon dadurch infrage gestellt werden könnte, dass die Hersteller sich europaweit eine ihnen genehme Prüfstelle aussuchen können und selbst die Kosten für das Verfahren begleichen. Vor allem im „Spiegel" und in der „Süddeutschen Zeitung" wurde in den letzten Monaten häufiger diese Zulassungs-Praxis, hinter der eine mächtige Industrie-Lobby steht, heftig kritisiert. Die „SZ" brachte es etwas überspitzt auf den Punkt und nannte europäische Patienten, einen hochrangigen Mitarbeiter der zentralen US-Arzneimittelaufsicht FDA zitierend, „Versuchskaninchen" betreffs risikoreicher Medizinprodukte. In den Vereinigten Staaten müssen solche Produkte nicht nur durch das der FDA unterstehende Center for Devices and Radiological Health zugelassen werden, sondern die Hersteller müssen vorab auch zusätzlich die Wirksamkeit ihrer Produkte durch klinische Studien nachweisen.
Den letzten Anschub für das Implantateregister-Gesetz, das im Behördendeutsch auch Implantatereregister-Einrichtungsgesetz getauft wurde, war den Recherchen eines International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) zu verdanken, die unter Mitwirkung von rund 60 Medienpartnern wie „SZ", NDR oder WDR im November 2018 unter dem Titel „Implant Files" gefährliche Missstände oder vertuschte Mängel im Zusammenhang mit Medizinprodukten aufgedeckt hatten. Allein in Deutschland wurden für das Jahr 2017 den Recherchen zufolge mehr als 14.000 Fälle gemeldet, bei denen Probleme mit Medizinprodukten ursächlich für Tod, Verletzungen oder gesundheitliche Komplikationen waren. Womit sich die Zahl der diesbezüglichen Verdachtsmeldungen im Verlauf der letzten zehn Jahre verdreifacht hatte. Man kann das allerdings nicht unbedingt als eindeutigen Beleg dafür interpretieren, dass Implantate oder Prothesen heute schlechter oder gefährlicher geworden wären wie vor einer Dekade. Das war vor allem der häufigeren Schadensmeldungs-Bereitschaft seitens der Ärzte und der mengenmäßigen Zunahme der verwendeten Medizinprodukte geschuldet. Das Bundesgesundheitsministerium hatte jedenfalls öffentlich eingeräumt, dass die „Implant Files" die Behörde darin bestärkt hätten, „zu prüfen, wie das bestehende System der Zulassung und Überwachung von Medizinprodukten verbessert werden kann."
Patienten werden gewarnt, falls es Probleme mit einem Produkt gibt
Auch die EU machte Druck auf ihre Mitgliedsländer infolge des 2010 enthüllten Brustimplantat-Skandals, bei dem die Verwendung von billig-minderwertigem Industriesilikon bei Produkten des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) nachgewiesen worden war. Hunderttausende Frauen waren davon betroffen, was die Schwächen des bisherigen Systems offenlegte, dem für die Zertifizierung zuständigen Tüv Rheinland den Vorwurf der Schlamperei einbrachte und eine jahrelange gerichtliche Auseinandersetzung um Schadenersatzansprüche zur Folge hatte. Die zuständige EU-Kommission hatte schon 2012 einen ersten Entwurf für eine neue Medizinprodukte-Verordnung vorgelegt, mit der vor allem der Einsatz von Hochrisikoimplantaten für Brust, Hüfte oder Herz sicherer gemacht werden sollte. Doch es sollte bis Mai 2017 dauern, bis man sich im Europäischen Parlament und im Rat auf einen Kompromiss namens „Verordnung (EU) 2017/745" bezüglich neuer Richtlinien für Medizinprodukte einigen konnte.
Zumindest für prekäre Produkte müssen die Hersteller nun ein vertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis nachweisen. Die Kontrolle über die Medizinprodukte und der sie zertifizierten Stellen soll ausgeweitet werden, die Benannten Stellen sollen künftig europaweit einheitliche Anforderungen erfüllen und medizinisches Fachpersonal beschäftigen müssen. Die neuen Qualitätsanforderungen haben die Prüfstellen vor große Probleme gestellt, gab es vor der Reform 2017 europaweit noch 83 Benannte Stellen, so war deren Zahl Ende 2019 laut Angaben des Bundesverbands Medizintechnologie auf 20 gesunken, was einen Prüfstau und eine Verzögerung des Marktzugangs für neue Medizinprodukte zur Folge hatte. Um die Herkunft minderwertiger oder schadhafter Medizinprodukte genau rückverfolgen zu können, wurden Identifizierungsnummern verpflichtend gemacht. Sehr hilfreich bezüglich der Patientensicherheit war die starke Einschränkung des sogenannten Äquivalenzprinzips, das lange Zeit den Herstellern eine vereinfachte Zulassung neuer Produkte ermöglicht hatte, sofern schon vergleichbare Präparate auf dem Markt verfügbar waren.
Vor dem Hintergrund des Skandals um die Brustimplantate, der neuen EU-Verordnung und der Diskussion um die „Implant Files" war die Bundesregierung unter Zugzwang geraten und hat auch zur Wiedergewinnung des geschwundenen Vertrauens breiter Teile der hiesigen Bevölkerung in Prothesen oder Implantate das entsprechende Gesetz verabschiedet. „Das Implantateregister ist ein wichtiger Schritt für mehr Patientensicherheit", so Jens Spahn. „Dadurch wissen wir künftig, wer welches Implantat bekommen hat. Wenn wir Probleme mit einem Produkt feststellen, können wir dann schnell abfragen, ob es ähnliche Fälle gibt und im Zweifelsfall Patienten warnen." Anhand der gespeicherten Daten soll künftig lückenlos nachvollziehbar sein, wann und wo welchem Patienten hierzulande Implantate eingesetzt wurden und nötigenfalls auch wieder ausgetauscht werden mussten. Auch Bewertungen bezüglich Funktionsdauer oder Qualität der Medizinprodukte sollen daraus ableitbar sein. Bei Komplikationen mit einzelnen Produkten oder Rückrufaktionen können Patienten schneller informiert werden. Auf lange Sicht erhofft man zudem Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Produkte besonders häufig für Verletzungen oder Todesfälle verantwortlich sein könnten. Und es könne letztendlich auch vermieden werden, dass, so das Bundesgesundheitsministerium, „in einigen Gesundheitseinrichtungen noch Produkte implantiert werden, die anderswo schon als problematisch aufgefallen sind".
Als Zeitrahmen für den Aufbau des Implantateregisters hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Spanne von drei bis fünf Jahren angesetzt. Das Register wird einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit leisten können. Denn bislang haben Patienten oft wochen- oder gar monatelang nicht erfahren, wenn ein bei ihnen implantiertes Präparat fehlerhaft war. Auch hatten sie bislang keine Chance, sich vor einem Eingriff über ein womöglich bedenkliches Medizinprodukt zu informieren oder verschiedene Präparate miteinander zu vergleichen. Allerdings bleibt zu hoffen, dass als nächster Schritt auch eine staatlich organisierte Kontrolle der Zulassung von Medizinprodukten auf den Weg gebracht werden möge. Der Öffentlichkeit kann nämlich kaum verständlich gemacht werden, dass Arzneimittel, die bei Unverträglichkeit oder Nebenwirkungen schnell abgesetzt werden können, scharf von behördlicher Stelle kontrolliert werden, während Implantate, die bei einem Defekt nicht so leicht wieder aus dem Körper entfernt werden können, noch immer relativ schnell für den Markt zugelassen werden können.