Ohne Vorwarnung passiert es: Die Wade verkrampft sich, es schmerzt und sticht. Jeder von uns hatte schon den einen oder anderen Wadenkrampf. Warum sich unsere Muskeln verkrampfen und was schnelle Linderung bringt.
Plötzlich und unerwartet treten sie auf und bereiten einem höllische Schmerzen. Doch meistens hält ein Wadenkrampf nur kurze Zeit an. Vor allem nächtliche Muskelkrämpfe sind häufig, heißt es in der aktuellen Leitlinie zu Muskelkrämpfen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Schon über 90 Prozent der jungen Erwachsenen berichten von vereinzelten Muskelkrämpfen. Die Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu. 33 bis 50 Prozent der über 65-Jährigen leidet an regelmäßigen Muskelkrämpfen, mindestens einmal in der Woche. Im Prinzip besteht kein Handlungsbedarf, es sei denn, die Krämpfe treten sehr häufig auf.
Zwar glauben viele, dass ein Wadenkrampf in der Muskulatur entsteht, also ein muskuläres Problem ist, doch dem ist nicht so. Ein Wadenkrampf ist ein neurologisches Phänomen. Ausgelöst werden Muskelkrämpfe durch spontane Depolarisierungen der Nervenmembranen. In der Folge bilden sich Nervenimpulse, die dann zu einem Erregungssturm im Muskel führen, heißt es weiter.
Wenn der Elektrolythaushalt aus dem Gleichgewicht gerät, sind die Nerven, die den Muskel umgeben, reizbarer, wodurch wiederum Krämpfe entstehen können. Möglicherweise ist das ein Grund, warum mehr Menschen in den Sommermonaten Wadenkrämpfe bekommen. Denn: Wer schwitzt und zu wenig trinkt, verliert Elektrolyte. Ein weiterer Risikofaktor für die schmerzhaften Krämpfe: Ist die aus Myelin bestehende Schutz- und Isolierschicht der Nervenfasern schon etwas dünner und geschädigt, können leichter Krämpfe ausgelöst werden. In diesem Fall sprechen die Neurologen von einer Demyelinisierung, die durch verschiedene Erkrankungen wie etwa der Schilddrüse, durch bestimmte Medikamente, Alkohol oder Vitamin-B-Mangel hervorgerufen werden können. Demyelinisierungen treten im Alter häufiger auf als bei jungen gesunden Menschen, weshalb auch ältere Menschen anfälliger sind für Wadenkrämpfe.
Überdies können mechanische Auslöser eine Rolle spielen, erklärt der DGN-Experte, Dr. Rainer Lindemuth, der auch Erstautor der aktuellen Leitlinie für Muskelkrämpfe der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ist. Senkt man die Zehenspitzen nach unten, sodass sich der Wadenmuskel verkürzt, kann es leichter zu Wadenkrämpfen kommen, wenn beispielsweise der Fuß durch eine schwere Bettdecke heruntergedrückt wird oder in High Heels steckt. „Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Es ist wahrscheinlich so, dass durch Gewebeverschiebungen die empfindlichen Nervenendstrecken im Muskel unter Druckspannung geraten, was die elektrischen Entladungen begünstigt", sagt Lindemuth.
Allgemein empfiehlt die Leitlinie, wenn ein Wadenkrampf auftritt, die verkrampfte Muskulatur zu dehnen, beziehungsweise den Gegenspieler des betroffenen Muskels anzuspannen. Anders ausgedrückt: Beugt man den Fuß in die Gegenrichtung und streckt den Wadenmuskel, löst sich der Krampf. Zur Vorbeugung von Muskelkrämpfen rät die Leitlinie, regelmäßig die Wadenmuskulatur passiv zu dehnen. Zum Beispiel sollte man mehrmals täglich den Körper im Stand vorbeugen und zwar so, dass die Fersen dabei Bodenkontakt halten. Ältere können diese Übung machen, indem sie sich mit den Armen an einer einen Meter entfernten Wand abstützen. Allerdings schreiben die Autoren der Leitlinie, dass die Wirksamkeit der Dehnübungen in verschiedenen Studien unterschiedlich bewertet wurde, eine klare Aussagekraft fehlt letztlich.
Vorbeugend regelmäßig die Wadenmuskulatur passiv dehnen
Die Deutsche Familienversicherung gibt Erste-Hilfe-Tipps bei Wadenkrämpfen auf ihrer Webseite. So bringt bereits leichtes Massieren des verkrampften Muskels Linderung. Die Muskulatur wird so gelockert, die Durchblutung gesteigert. Wenn der Krampf nachts im Bett auftritt, könnte auch helfen in der Rückenlage die Zehen nach oben in Richtung der Knie zu ziehen und dabei die Ferse nach vorne zu drücken. Gleichzeitig kann man die Wade sanft massieren. Auch Wärme kann helfen. Am besten nehmen die Betroffenen eine kurze Fuß- oder Wadendusche. Außerdem kann Kälte krampflösend wirken. Hier legt man eine kalte Auflage auf die Muskulatur. Zumeist löst sich auch schon der Krampf, wenn man aufsteht und vorsichtig ein paar Schritte geht.
Wer Sport treibt und dabei einen Wadenkrampf bekommt, sollte den Unterschenkel im Stehen dehnen, schreibt die Familienversicherung. Am besten folgendermaßen vorgehen: Die Zehen nach oben ziehen und zugleich die Ferse fest zu Boden drücken. Die Wade kann gleichzeitig leicht massiert werden, den Fuß sollte man anschließend lockern. Auf jeden Fall sollten betroffene Sportler nach einem solchen Krampf einige Schritte gehen und eine Trainingspause einlegen.
Wer Muskelkrämpfen beim Sport vorbeugen will, sollte ausreichend trinken, informiert die Techniker Krankenkasse (TK). Der Körper verliert beim Schwitzen wertvolle Flüssigkeit, sogenannte Elektrolyte. Bereits nach einer Stunde kann sich folglich der Flüssigkeitsverlust spürbar leistungshemmend auswirken, schreibt die TK. Dabei entsteht durch die Muskelarbeit Milchsäure, die allerdings nicht mehr ausgeschwemmt wird, sondern sich in den Muskeln sammelt und dort für Übersäuerung sorgt. Aktive Sportler orientieren sich am besten an einer Faustregel: Dauert die Belastung länger als eine halbe Stunde, sollte alle 15 bis 20 Minuten 150 Milliliter kohlensäurearmes Mineralwasser getrunken werden. Bei länger andauernder Belastung können Sportler ruhigen Gewissens prophylaktisch 250 Milliliter Heilwasser mit hohem Hydrogencarbonat-Gehalt zu sich nehmen. Zusätzlich sollten sich Sportler möglichst magnesiumreich ernähren. Bananen und Nüsse sind beispielsweise reich an Magnesium.
Darüber hinaus wird die Einnahme von Magnesium empfohlen, wenn auch die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist. „Ein Therapieversuch sollte aber in jedem Fall unternommen werden. Magnesium führt an der Muskelmembran zu einer Stabilisierung und reduziert Aktionspotenziale, die Kontraktionen im Muskel auslösen. Viele Patienten berichten, dass es bei ihnen die Neigung zu Muskelkrämpfen lindert", sagt Lindemuth. Wenn das Magnesium nicht in zu hoher Dosis eingenommen werde, sei es unbedenklich und habe keinerlei Nebenwirkungen, so die Einschätzung des Experten.
Wenn die Muskelkrämpfe trotz dieser Maßnahmen nicht in den Griff zu bekommen sind, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Ein Allgemeinmediziner oder Neurologe führt dann eine genaue Diagnose durch. Erst sollten aber alle behandelbaren Ursachen ausgeschlossen und eine Magnesiumtherapie versucht werden, bevor bei häufigen und äußerst schmerzhaften Krämpfen Chininpräparate zum Einsatz kommen, da diese, wenn auch selten, mit schweren Nebenwirkungen einhergehen können.
Eine vor Kurzem in der Fachzeitschrift „MMW – Fortschritte in der Medizin" veröffentlichte Studie zum therapeutischen Einsatz von Chininsulfat bei nächtlichen Wadenkrämpfen untersuchte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Chininsulfat im Versorgungsalltag bei erwachsenen Patienten mit sehr häufigen und besonders schmerzhaften nächtlichen Wadenkrämpfen. Ein zentrales Ergebnis: Nach zweiwöchiger Einnahme des Präparats hatten Anzahl, Dauer und Schmerzintensität der Krämpfe bei der Mehrzahl der Patienten abgenommen. Die an der Studie beteiligten Ärzte und Patienten beschrieben mehrheitlich das Chininsulfat hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit als „sehr gut" oder „gut". Unerwünschte Nebenwirkungen traten bei 35 von 592 Patienten auf, schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen sogar gar nicht. „Ich denke, es ist möglich, diese Präparate weniger restriktiv einzusetzen, als es die Leitlinien derzeit vorsehen", erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Erstautor der aktuellen Studie.