Die Linke geht Ende Februar in ihren Strategie-Kongress, um die inhaltlichen Weichen bis zur Bundestagswahl zu stellen. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Sabine Zimmermann, fordert die Abschaffung der Leiharbeit und verteidigt die Doppelspitze der Partei.
Frau Zimmermann, inwieweit hat Sie die Wahl des FDP-Ministerpräsidenten in Thüringen mit den Stimmen der AfD irritiert?
Dass FDP und CDU der parlamentarischen Demokratie einen so großen Schaden zufügen, ist wirklich traurig und dramatisch. Macht und Einfluss um jeden Preis und ohne jegliches Gewissen ist einer Demokratie unwürdig. Der Wählerwillen wird hier mit Füßen getreten.
Also war dieser Tabubruch von FDP und CDU für Sie absehbar?
Gemeinsame Sache mit der rechtsradikalen AfD zu machen, macht mich einerseits fassungslos, ist aber andererseits möglicherweise ein kalkulierter Tabubruch und Vorgeschmack auf neue Koalitionen. Meines Erachtens war es absehbar, dass die CDU im Osten früher oder später die Reaktion der Öffentlichkeit auf eine direkte oder indirekte Kooperation mit der AfD austesten wird. Dass die FDP sich von der AfD unterstützen lässt, hätte ich ihr aber bislang nicht zugetraut.
Ein Teil des Erfolges der AfD sind die Frustwähler. Dabei geht es Deutschland doch eigentlich gut. Soviel Beschäftigte wie jetzt gab es noch nie. Wie erklären Sie die Wut und den Ärger bei den Wählern?
Wenn man genauer hinguckt, sieht man, dass das vermeintliche deutsche Jobwunder zu einem großen Teil auf prekärer Beschäftigung beruht. Rund jede/r fünfte Vollzeitbeschäftigte bezieht einen Niedriglohn, viele Menschen arbeiten unfreiwillig in Teilzeit und können davon nicht leben. Hunderttausende müssen mit Hartz IV aufstocken und Millionen haben mehr als einen Job, um über die Runden zu kommen. Für viel zu viele Menschen ist deshalb nichts gut.
Wie könnte man denn zum Beispiel die Discounter oder die Drogeriemärkte dazu bewegen, ihre Mitarbeiter in Vollzeit zu beschäftigen?
Ich frage mal umgekehrt: Wie passt es zusammen, dass viele Arbeitgeber über einen vermeintlichen Fachkräftemangel klagen, gleichzeitig die unfreiwillige Teilzeitquote relativ hoch ist? Mehr Vollzeit müsste also eigentlich auch im Sinne der Arbeitgeber sein. Wir fordern aber zudem einen Rechtsanspruch auf eine Mindeststundenanzahl im Arbeitsvertrag von 22 Stunden pro Woche.
Sie ärgern sich auch über die Zeitarbeitsfirmen, die ebenfalls boomen. Was stört Sie denn an denen?
Es handelt sich im Regelfall um systematische Niedriglohnbeschäftigung. Der mittlere Verdienst von vollzeitbeschäftigten Leiharbeitskräften ist um 42 Prozent niedriger als der von Vollzeitbeschäftigten insgesamt. Die Leiharbeit war und ist der Motor der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland. Ein Sprungbrett in ein normales Arbeitsverhältnis ist sie nur für wenige. Für die meisten bedeutet Leiharbeit dauerhaft Niedriglöhne, schlechte Arbeitsbedingungen und Beschäftigte zweiter Klasse zu sein. Viele Normalarbeitsplätze wurden durch Leiharbeit ersetzt, durch Arbeitskräfte, die von den entleihenden Unternehmen in kürzester Zeit wieder an den Verleihbetrieb zurückgegeben werden können und zur Ware degradiert werden. Diesem Handel muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Die Linke fordert die Abschaffung der systematischen Niedriglohnbeschäftigung in Form der Leiharbeit.
Bei jungen Menschen offenbar beliebt ist das Crowdworking. Sie sehen darin offenbar eine Chance, unkompliziert Geld zu verdienen. Sehen Sie das auch so?
Ich würde nicht unbedingt sagen „beliebt". Viele finden nichts anderes als diese prekäre Beschäftigung. Im Prinzip geht es um Tagelöhner in der Digitalisierung, die davon nicht leben können und nicht sozial abgesichert sind. Das muss unbedingt reguliert werden. Auch in dieser digitalen Arbeitswelt muss gute Arbeit möglich werden.
Man hat das Gefühl, die Linke und Digitalisierung – das passt nicht zusammen. Ihnen fehlen die richtigen Antworten auf die neuen Arbeitsmärkte. Ist das so?
Auch hier stellen sich dieselben Fragen wie überall: Ist es möglich, von der Arbeit zu leben, habe ich eine soziale Absicherung, wie werden meine Rentenansprüche sein? Wir müssen es schaffen, diese weitgehend unregulierten Arbeitsformen in vernünftige Bahnen zu lenken. Das ist möglich, doch diese Bundesregierung möchte das nicht. Generell muss die Digitalisierung den Menschen nutzen und darf nicht dafür sorgen, Arbeit weiter zu entgrenzen und zu deregulieren.
Ein weiteres Feld, mit dem die Linkspartei hadert, ist die Umweltpolitik. Co-Parteichef Bernd Riexinger hat kürzlich die Linke darauf hingewiesen, dass das nicht die Kernkompetenz der Linkspartei ist, sollte es aber doch sein?
Anders als bei den Grünen ist unser Entstehungshintergrund nicht umweltpolitisch bestimmt gewesen, sondern die soziale Frage ist der Grund dafür, dass es Die Linke gibt. Aber zur sozialen Frage gehört ja definitiv auch die Umweltpolitik. Viele Menschen sind von Umweltproblemen wie Verschmutzung, schwindenden Ressourcen, ungesunden Lebensbedingungen und so weiter betroffen. Umweltschutz, Schonung von Ressourcen, in Einklang mit der Natur zu leben, muss ja nicht zwangsläufig etwas mit Kostensteigerungen zu tun haben. Die Frage ist doch, wie man das umsetzt. Und da ist für uns klar, dass damit nicht die normalen Bürgerinnen und Bürger oder einkommensschwache Menschen belastet werden dürfen, sondern die Verursacher und das sind im Regelfall die großen Konzerne oder auch Staaten. Und höhere existenzsichernde Leistungen im Fall von Arbeitslosigkeit möchten wir ja grundsätzlich und auch auskömmliche Renten. Hartz IV ist Armut per Gesetz und muss durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden, die wirklich vor Armut schützt und echte Teilhabe ermöglicht.
Wir kommen gleich zum Ende. Aber vorher noch etwas Parteipolitik: Warum kann die Linkspartei nicht die erheblichen Verluste der SPD für sich nutzen? Was läuft da verkehrt?
Uns hat es mit Sicherheit geschadet, dass Sahra Wagenknecht als unsere in der Öffentlichkeit am meisten wahrgenommene Repräsentantin wiederholt völlig unsachlich und unfair angegriffen wurde. Die Angriffe kamen aus dem Umfeld der Parteivorsitzenden und von ihnen selbst. Erleichtert wurde dies dadurch, dass die Unterstützer Sahra Wagenknechts im Parteivorstand in einer absoluten Minderheit waren. Ich erhoffe mir vom kommenden Parteitag eine ausgewogene Besetzung des Parteivorstandes. Nur so kann die Partei wieder befriedet werden.
Können Sie die Entscheidung der SPD zur Doppelspitze verstehen?
Ja, eine Doppelspitze hat Vorteile. Arbeit wird geteilt, Parteiströmungen können berücksichtigt werden, ein regionaler Proporz, Geschlechtergerechtigkeit …
… aber Doppelspitzen funktionieren doch nur in den seltensten Fällen wirklich gut. Die Linkspartei ist dafür doch auch ein Beispiel …
Bei uns hat das ja immer ganz gut funktioniert. Aber das muss natürlich auch gewollt sein. Es gibt dann halt nicht den einen Mann oder die eine Frau, der/die alles dominiert. Und das finde ich gut. Ich sehe keinen Grund, warum Die Linke vom Prinzip der Doppelspitze abweichen sollte.
Hat ihre neue Fraktionsdoppelspitze im Bundestag, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, das Zeug zu einem Dream-Team?
Warum sollen sie kein Dream-Team werden? Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch waren nach meiner Einschätzung ja auch eine sehr gute Fraktionsspitze.
Frau Zimmermann, mit ihren kleinen Anfragen im Bundestag verhelfen Sie ihrer Fraktion immer wieder zu Schlagzeilen. Wird ihnen das irgendwie gedankt?
Das ist für mich nicht die Frage. Wichtig ist für mich, dass ich damit die Probleme der Menschen in der Öffentlichkeit anspreche und sich etwas zum Besseren entwickelt.