Durch die Bewegung „Maria 2.0" hat der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung in der katholischen Kirche neue Aufmerksamkeit gewonnen. Die Katholische Frauengemeinschaft (kfd) setzt sich schon lange dafür ein. Die Vorsitzende Mechthild Heil über Machtstrukturen, den Papst und Erwartungen an die Bischöfe.
Frau Heil, ich frage mal bewusst etwas provokativ: Hat die katholische Kirche nicht andere Probleme, als sich mit der Rolle der Frau zu beschäftigen?
Sagen wir so: Die Frauenfrage ist ein Problem von vielen. Als wir uns im Herbst 2019 die Missbrauchsstudie genauer angesehen haben, wurde gesagt: Es gibt ein strukturelles Problem in der katholischen Kirche. Es geht um Sexualität, Lebensformen der Priester und natürlich um Machtstrukturen. Und für uns als größter katholischer Frauenverband geht es dabei vor allem um die Frage, wie Frauen eingebunden sind, auch in Verantwortungsstrukturen.
Natürlich böte es keinen automatischen Schutz vor Missbrauch, wenn überall eine Frau säße. Es sind nicht Männer per se schlecht und Frauen per se heilig. In der Studie wurde jedoch klar, dass es um Strukturen geht. Das ruft dann uns auf den Plan mit unseren alten Forderungen: Wir müssen auch darüber sprechen, wie Verantwortung für Frauen in der Kirche neu verteilt wird.
In der Öffentlichkeit ist Zölibat das Reizwort in der Diskussion. Sie gehen erheblich weiter?
Allein die Abschaffung des Pflichtzölibats würde nicht helfen, es muss ein Bündel von Maßnahmen sein. Dabei ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie dieses Bündel aussehen müsste. Dass die Studie von außen erstellt wurde, finde ich einen kräftigen Akt der Bischofskonferenz. Genauso könnte man entscheiden, mit Blick von außen die Strukturen zu betrachten, um zu sehen, was sich ändern und bessern muss. Bei einem Unternehmen würde man genauso verfahren.
Man muss nicht allen Empfehlungen folgen, was bei der Studie auch nicht passiert ist. Stattdessen haben sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und die Bischofskonferenz mit dem sogenannten Synodalen Weg auf einen gemeinsamen Prozess zur Erneuerung verständigt. Auf Augenhöhe wollen die Bischöfe mit den Laien ins Gespräch kommen. Da bin ich gespannt, ob man die Kraft und den Mut zu Veränderungen hat.
Was erwarten Sie von diesem „Synodalen Weg"?
Es gibt vier Schwerpunktthemen. Beim Thema Macht wünsche ich mir mehr Teilhabe in Führungsämtern, nicht nur für Frauen, sondern überhaupt für Laien.
Beim Thema Sexualität stellt sich die Frage, wie die Kirche mit Homosexualität umgeht – in den eigenen Reihen und bei den Gläubigen. Wie sieht der Umgang mit Geschiedenen und Geschieden-Wiederverheirateten aus, wie mit denen, die keinem Geschlecht eindeutig zugehörig sind? Jeder Mensch hat seinen eigenen Lebensentwurf, den soll man akzeptieren. Da hat die Kirche einen großen Nachholbedarf.
Das Thema priesterliche Lebensform wirft die Frage auf, ob der Zölibat in unserem Raum noch adäquat ist. In anderen Regionen funktioniert er noch. Wir haben aber teilweise riesige Pfarreien ohne Pastor. Wäre es da nicht gut, das anders aufzubauen? Man könnte den Pflichtzölibat abschaffen und es den Priestern freistellen, ob sie zölibatär leben möchten. Und dann das große Frauenthema, für uns als Frauenverband natürlich das Kernthema: die Weihe von Frauen und ihr Zugang zu allen Diensten und Ämtern in der Kirche.
Für diesen „Synodalen Weg", den die Bischofskonferenz mit den Laien in Deutschland gehen will, gab es ja abwehrende Stimmen aus Rom.
Es geht natürlich um Deutungshoheit. In seinem Brief von 2019 hat der Papst das „pilgernde Volk" angesprochen. Also gerade nicht die Bischöfe, sondern uns Katholiken. Das gab es vorher noch nicht, das ist neu. Man kann es als Mut machenden Hinweis deuten.
Denn aktuell ist der Leidensdruck riesig. Da hilft die große öffentliche Aufmerksamkeit. Aber ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem Journalisten aus den USA, der sagte: Ihr seid einfach nur zu schwach in Europa. Die Konservativen, die Beharrenden müssten sich durchsetzen, dann kehrt wieder Ruhe ein in die Kirche. Wenn er sich da mal nicht irrt! Es bleibt spannend, wer sich durchsetzt. Ich glaube, am Ende gewinnen die besseren Gedanken und klügeren Ideen immer, selbst wenn die anderen mächtig sind.
Deshalb müssen wir in der Kirche die Haltung lernen: Wir akzeptieren, dass das, was ein Papst einmal gesagt hat, zu seiner Zeit klug war, heute aber in eine Sackgasse führt. Diese Offenheit, die in unserer westlichen Gesellschaft normal ist, müssen wir auch in die Kirche bringen.
Muss sich die katholische Kirche als Weltkirche auf einen Weg unterschiedlicher Geschwindigkeiten einstellen?
Das sehe ich so, weil es gar nicht anders geht. Die Weltkirche wird gerne als Druckmittel genommen und als Argument dafür, dass es keinen eigenen deutschen Weg geben dürfe. Ich sage: Wir haben in Europa eine eigene Geschichte und gelernt, dass das Zusammenleben hier gut ist. Deshalb sollten wir dafür kämpfen, dass diese Erkenntnis in der Kirche ankommt und wir aus Europa die Kirche verändern können.
Eine Bewegung wie Maria 2.0 hat erkennbar dazu beigetragen, dass Kirche wieder ein Thema gesellschaftlicher, wenn auch strittiger Diskussion ist. Also ein Erfolg?
Der Wunsch der Menschen nach Spiritualität, nach Religiosität ist da. Nur haben sich viele von der Institution Kirche und dem, was damit einhergeht, abgewendet. Es ist längst gesellschaftlich stärker akzeptiert, aus der Kirche auszutreten. Aber der Urinstinkt und die Fragen nach dem Sinn des Lebens, mit dem Woher und Wohin, sind damit nicht verschwunden.
Das fangen aber offenbar derzeit vor allem evangelikale Strömungen auf, die viele auch gesellschaftlich und politisch für eine Gefahr halten, wenn wir an die USA oder Brasilien denken.
Was heißt Gefahr? Es sind Mitbewerber. Die gab es immer schon. Entweder ist eine Idee gut und trägt und überzeugt Menschen, oder eben nicht.
Wann gibt es die erste Bischöfin, vielleicht die erste Päpstin?
Die soll es ja schon gegeben haben (lacht). Das bewegt die Menschen, aber ich glaube, die zentrale Frage ist die nach der Gleichberechtigung. Wir wären schon froh, wenn wir die Weihe für Diakoninnen hätten. Das wäre ein großer Schritt.
Das heißt, es geht gar nicht in erster Linie um die die Priesterweihe, sondern um Schritte auf den Weg dorthin?
Das würde wie eine Art Beruhigung klingen. Das kann es nicht sein. Ich finde, dass sich die Bischöfe dem stellen und sich klar bekennen müssen, das müssen wir Frauen ja auch. Wir sind auch nicht frei von Angriffen. Uns sagt man: Ihr seid nur Emanzen, wenn ihr Priesterinnen werden wollt. Ihr müsst Sachen akzeptieren, die ihr nicht könnt oder dürft. Man könne ein erfülltes Leben führen, ohne Priesterin zu werden. Natürlich kann man das, aber es geht darum, dasselbe Recht dazu zu haben wie Männer. Ob ich von dem Recht dann Gebrauch mache, ist eine andere Sache. Ich vergleiche das immer mit den Frauen, die vor hundert Jahren um das Frauenwahlrecht gekämpft haben. Auch sie brauchten einen langen Atem. Aber ich weiß nicht, wie viele wir dann noch sein werden. Die Geduld vor allem bei vielen jungen Frauen ist am Ende.