Die Afrikanische Schweinepest ist bis an die polnisch-deutsche Grenze herangerückt. Jäger wollen sie stoppen und die Wildschweine als Überträger fernhalten. Denn wenn die Schweinepest erst einmal im Land ist, verfällt das Exportgeschäft für Landwirte und die Fleischindustrie.
Ein dunkler, kühler Morgen Anfang Januar im Nordosten Brandenburgs, nahe der Oder. Es ist kurz nach 6 und der Himmel ist nach zuvor heftigem Regen aufgerissen. Am Treffpunkt der Jagdgemeinschaft auf einer Lichtung mitten im Wald lodert ein Lagerfeuer, im Hintergrund scheint ab und zu der Mond durch die Wolken. „Das ist richtig gutes Schweinewetter" freut sich Torsten Reinwald, einer von 30 ehrenamtlichen Jägern, die in den kommenden Stunden durch den Jagdbezirk pirschen werden. „Die Stadtmenschen würden das als Schei…wetter bezeichnen, aber bei moderat feuchter Witterung kommen Regenwürmer und Schnecken an die Oberfläche. Eine Delikatesse für die Wildschweine, die sie jetzt ganz einfach finden", erläutert der 48-jährige Jäger. Für die Jagdgesellschaft bedeutet das, dass das Aufspüren der Wildschweine heute nicht besonders schwierig sein dürfte.
Nach einem auf dem Lagerfeuer gebrühten Bohnenkaffee teilt sich die morgendliche Gesellschaft in zwei Gruppen auf. Die Jäger ziehen zuerst los und nehmen auf den Hochsitzen ihre Positionen ein. Die Treiber können noch einen Augenblick länger den Kaffee und eine Zigarette genießen. Wobei: Das mit dem „in Ruhe genießen" ist für die Hundeführer unter ihnen nicht ganz so einfach, denn die Jagdhunde in ihren Wagen-Boxen haben längst die Witterung aufgenommen. Doch bevor es losgeht, werden die vierbeinigen Jagdhelfer mit einer Hundeschutzweste regelrecht verpackt. Diese geht von den Ohren über Hals und den gesamten Torso bis über die Hinterbeine. So sind die Hunde gegen direkte Bisse der Wildschweine, aber auch gegen die Dornen der allgegenwärtigen Brombeersträucher geschützt. Am Hals tragen sie noch einen GPS-Transponder. Noch ahnen die angereisten Hundeführer nicht, dass dieser hier im Nordosten Brandenburgs nicht viel helfen wird.
In ganz Deutschland gibt es gut 240.000 ehrenamtliche Jäger. Torsten Reinwald ist einer von ihnen. Der ausgebildete Biologe besitzt seit zehn Jahren einen Jagdschein und bezeichnet sich selbst gern als „Kochtopfjäger". Doch das ist als Jäger nicht alles: „Man sollte sich gut in Zoologie, Botanik, Forstwirtschaft und vor allem Naturschutz auskennen", bevor man an den Kochtopf denkt. Jäger zu sein, sei mehr als Tiere zu schießen, sagt Reinwald.
Die Rotten werden immer größer
Die Obhut für ein Jagdgebiet ist aufwendig. Das Jagen selbst ist dann sozusagen die Belohnung für all die anderen notwendigen Aufgaben, die im Wald anfallen. „Ich lege zum Beispiel Grüngehege an, helfe bei Sturmschäden das Geäst zu beseitigen und werde auch mal nachts bei einem Wildunfall rausgeklingelt, um das Tier von seinen Qualen zu erlösen." Seit gut einem Jahr kommt nun noch die erhöhte Wachsamkeit dazu – Stichwort: Afrikanische Schweinepest. Zwar ist bislang noch kein Fall in Deutschland aufgetreten, aber hier im Osten Deutschlands ist sie bei Stettin schon bis auf 21 Kilometer an die deutsch-polnische Grenze herangerückt.
Zwar wurde in weiten Teilen ein Elektrozaun entlang der Oder und Neiße gezogen, doch Reinwalds Jagdkollege Mark Rhinow hält das kaum für ausreichend: „Das Problem ist, dass die Rotten immer größer werden. Bis zu 50 Tiere sind da pro Familie unterwegs. Da braucht es nur drei, vier ausgewachsene Keiler und schon ist der Zaun in Nullkommanichts hinüber." Wildschweine sind entgegen der allgemeinen Annahme hochintelligente Tiere, die genau wissen – oder besser riechen – was sie wollen. Wenn auf der anderen Seite des Zaunes etwas Leckeres zu fressen ist, werden die Tiere alles tun, um es zu bekommen. Durch die Oder zu schwimmen, ist für sie das reinste Vergnügen.
Abgesehen von den immer größer werdenden Wildschweinrotten, trägt der Mensch bei der Verbreitung der Afrikanischen Schweinepest eine Hauptverantwortung, sagt Rhinow. „Es reicht doch schon aus, wenn man mit seinem Auto durch ein Waldstück fährt, in dem die Schweinepest grassiert. Schlammiger Waldboden mit den Viren landet unterm Kotflügel des Autos, wird so über die Grenze geschleppt und schon ist der Erreger bei uns." Oder er wird in Wild-Wurstwaren aus Osteuropa nach Deutschland eingeschleppt. Dagegen gibt es so gut wie keinen Schutz, außer den entsprechenden Hinweisen an den Grenzübergängen.
Für Rhinow ist klar: Der hohe Wildschweinbestand ist mit Schuld an der Ausbreitung der Schweinepest auf der polnischen Seite. Es müsste viel mehr geschossen werden, meint er. Jetzt müssten die Jäger in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg schauen, dass die Pest auf der anderen Seite bleibt und sie die Bestände auf deutscher Seite wieder klein kriegen. Was nicht einfach ist: Die Vermehrungsrate von Wildschweinen liegt bei durchschnittlich 250 Prozent – wenn im vergangenen Jahr eine Rotte von zehn Tieren unterwegs war, sind es in diesem Sommer vermutlich 35. Darum muss viel geschossen werden. Doch das kann dann für Rhinow finanziell auch zum Nachteil gereichen.
Auch der Mensch ist schuld an der Ausbreitung der „Pest"
Der 32-Jährige ist nebenbei Wildfleischhändler und wie überall wird der Preis auch dort durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Momentan ist viel Schwein aus dem Wald auf dem Markt, da kostet ein Kilo Keule bei ihm zehn Euro und das Kilo Rücken 17 Euro. „Damit werde ich nicht reich, kann aber zumindest kostendeckend arbeiten. Aber tiefer darf der Preis durch ein Überangebot nicht gehen", sagt er.
Doch diese Befürchtungen können sich ganz schnell erübrigen, nämlich in dem Augenblick, wenn die Afrikanische Schweinepest in Deutschland ankommt. Damit würde umgehend ein Jagdverbot in den betroffenen Gebieten in Kraft treten. „Die große Frage ist, wer für den Schaden aufkommt. Wir müssen die Pacht für die Jagd weiterzahlen. Und wer zahlt den Wildschaden? Das sind alles Fragen, die nicht geklärt sind", gibt Rhinow zu bedenken.
Sollte auch nur ein Fall von Pest bei Wildschweinen in Deutschland gemeldet werden, sind aber vor allem die Tierlandwirte und die Fleischindustrie extrem betroffen. Wenn Deutschland seinen Status als „pestfreies" Land verliert, würde der Schweinefleischhandel mit China von einem Tag auf den anderen zusammenbrechen, so der Bauernverband; die Chinesen würden sofort ein Importverbot über ganz Deutschland verhängen. Gerade erst hatte sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) beim Neujahrsempfang für die Bauern über die derzeit hohen Schweinefleischpreise dank der hohen Nachfrage aus China gefreut.
Klöckner und die deutschen Bauern hoffen deshalb auch auf das Jagdglück im deutsch-polnischen Grenzgebiet. Die Treibjagd im Januar ist dank des „Schweinewetters" ein Erfolg. „Die Wildschweine sind nicht nur schlau, sondern auch cool", flüstert Reinwald auf der Pirsch im Unterholz. „Die sitzen drei Meter von dir entfernt in einem Brombeergebüsch in einer Kuhle und lassen sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen." Erst die Hunde können die Tiere aufstöbern.
Schon geht es im Schweinsgalopp durchs Unterholz. Mehrere Schüsse krachen vom Hochsitz. Ein Tier hat es erwischt, ein glatter Blattschuss. Innerhalb weniger Minuten sind die beiden Treiber Torsten Reinwald und Mark Rhinow am Tier und öffnen es. Der Bauch wird mit einem 22 Zentimeter langen Jagdmesser aufgeschnitten und nach nicht einmal zwei Minuten ist das Wildschwein komplett ausgenommen und fertig für den Abtransport. Etwas entfernt im Wald steht ein weiterer Hundeführer und flucht. Seine Jagdhunde sind dem Rest der Wildschwein-Rotte aus dem Brombeergebüsch hinterher, aber per GPS an ihren Halsbändern kann er sie über sein Smartphone nicht orten. Kein Netz! Hier im Nordosten Brandenburgs ist das mit den Funknetzen noch nicht so verbreitet. Doch nach zwei Stunden hat er seine Hunde wieder beieinander. Zurück am Haupttreffpunkt schmunzeln seine Jagdkollegen nur. Sie haben ihm einen Teller heißes Wildschweingulasch aufgehoben.