In Deutschland rufen immer mehr Städte und Gemeinden den Klimanotstand aus. Mittlerweile sind es 68. Für Prof. Dr. Peter Heck von der größten Umwelt-Hochschule Deutschlands in Birkenfeld ist dies nicht der beste Weg. Für ihn beginnt wahrer Klimaschutz mit dem richtigen Rechnen.
Herr Prof. Heck, der Klimanotstand wird in vielen Städten ausgerufen – was heißt das konkret?
Per Ratsbeschluss werden alle Handlungen der kommunalen Verwaltung, aber auch folgende Ratsbeschlüsse unter Vorbehalt der Klimafreundlichkeit gestellt. Damit machen die Kommunen deutlich, wie hoch die Dringlichkeit des Klimaschutzes über alle Bereiche der Verwaltung hinweg ist.
Eine gute Idee, finden Sie nicht?
Es gibt andere, bessere Möglichkeiten, das Klima mithilfe der Kommunen zu schützen.
Also doch nur reine Symbolpolitik, wie von vielen Kritikern des Klimanotstandes gemutmaßt?
Wenn Kommunen mich zum Thema Klimanotstand befragen, sage ich: Das ist nicht der einzig richtige Weg. Ich forsche seit 30 Jahren in Sachen Umwelt und Klima und frage mich dann natürlich, was bringt ein solcher Beschluss? Nun: Zunächst einmal ändert das Ausrufen des Klimanotstandes nichts an der Verfasstheit der Kommunen. Es gibt dadurch keine neuen Finanzmittel, keine neuen Strukturen zum Beispiel im kommunalen Bau- oder Liegenschaftswesen, keine unmittelbaren Änderungen. Zunächst einmal ist es nur ein Symbol. Ein Beschluss, der kommunal viel Hektik erzeugt, denn dass wir einen Klimanotstand haben, wissen wir, und es bringt ja nichts, den Leuten das nur immer wieder zu sagen. Und unter Umständen birgt dies Frustpotenzial beim Bürger, wenn die konkrete Umsetzung fehlt oder nichts davon zu sehen ist, dass die Gemeinde etwas unter Aspekten der Klimafreundlichkeit beschlossen hat. Wir arbeiten eng mit vielen Kommunen in Deutschland in Sachen Klimaschutz zusammen, und viele Bürgermeister haben mich schon gefragt, ob sie das auch machen sollen. Sie haben Angst, so würde der Eindruck erweckt, sie hätten vorher gar nichts für die Umwelt gemacht.
Was sagen Sie diesen Bürgermeistern? Welche besseren Möglichkeiten, Klimaschutz in Kommunen umzusetzen, gibt es denn Ihrer Meinung nach?
Der komplette Metabolismus der Gemeinde muss sich ändern. Die ökonomische Situation einer Gemeinde ist ja gemeinhin eine prekäre – es fehlt Geld an allen Ecken und Enden. Nur wenige Kommunen in Deutschland haben das Geld, das es braucht, um Klimaschutzmaßnahmen sofort anzugehen. Deshalb sage ich, sollten die Kommunen in Deutschland eine aktive, eine proaktive Klimapolitik in den Räten beschließen. Und den Begriff „Notstand" weglassen, weil er zu negativ konnotiert ist.
Proaktiv heißt dann was genau?
Ein Klimaschutzkonzept nach den regionalen Gegebenheiten erstellen, einen Klimaschutzmanager einstellen, einen Klimahaushalt einstellen, sprich: Es stellt sich die Frage, wie kann eine Gemeinde mithilfe von Klimaschutz Geld verdienen? Wenn man so weit mit seinen Ratsbeschlüssen ist, kann man dazu übergehen und ganz genaue Einzelmaßnahmen erstellen: Was können wir wo mit welchen Akteuren vor Ort tun, um das Klima zu schützen; welche Investition in den Klimaschutz vor Ort kostet uns wie viel Geld, wie viel bringt es uns langfristig an Geld, wie viele Arbeitsplätze vor Ort schafft das? Dies ist ein konstruktiver Klima-Management-Plan, mit dem man zusammen mit den Bürgern positiv an das Thema herangehen kann.
Aber das heißt doch, dass die Kommunen wieder Geld in die Hand nehmen müssen?
Viele kommunale Vertreter glauben, sie haben nicht die Leute, nicht die Technologien oder nicht das Geld, um sich Klimaschutz leisten zu können. Ich aber sage: Man muss es sich heute leisten können, sich nicht um den Klimaschutz zu kümmern. Denn aus vielen Projekten wissen wir, dass aktive kommunale Klimaschutzpolitik Gemeinden weiterentwickelt, Arbeitsplätze schafft, die Kaufkraft vor Ort erhöht, Kommunen zum Teil sogar saniert und dass die konkrete Kommunalpolitik wieder für die Bürger wahrnehmbar wird. Wenn Gemeinden sich nicht um Umweltschutz bemühen, wird sie das künftig jede Menge Geld kosten.
Wie kann denn das Klima-Management vor der kommunalen Haustüre aussehen?
Vor allem für Energie fließt viel Geld aus den Gemeinden ab: für Verkehr und damit die Einwohner ein warmes und helles Haus haben. Sprit, Strom und Wärme werden geliefert, schaffen keine Arbeitsplätze in der Kommune. Niemand kann beispielsweise prognostizieren, wie sich der Heizölpreis in Zukunft entwickelt. Bauen Sie dagegen ein Nahwärmenetz, das mit dem Holzabfall aus dem eigenen Wald und den Gemeindegrünflächen betrieben wird, können Sie den Preis ziemlich genau kalkulieren. Also stellt sich die Frage, wie kann eine Gemeinde einen Teil ihrer Energie selbst herstellen? Relativ einfach, ich nehme das wenige Geld, das ich als Kommune habe, und investiere es in etwas, das mir künftig Geld bringt. Die verschuldeten Gemeinden haben das verstanden. Deswegen wollen sie Windkraftanlagen, große Photovoltaikanlagen oder Nahwärmenetze auf ihrem Grund und Boden. Sie verschulden sich also mit einem Geschäftsplan, damit investiertes Geld in der Gemeinde bleibt und eben nicht mehr abfließt und so mittelfristig für neue Einnahmen sorgt. Nehmen Sie den Rhein-Hunsrück-Kreis: 2010 ist dieser mit einem Konzept an uns herangetreten und hat gefragt, wie man es umsetzen kann. Wir haben das genau durchgerechnet und empfohlen, was man vor Ort machen kann. Heute versorgt sich der Kreis mittlerweile über einen Kreislauf von Abfall, Wärme und Strom zu 100 Prozent selbst mit Energie über Wind, Sonne und Biomasse, exportiert sogar Strom und hat 17 Nahwärmenetze installiert. Er hat heute dadurch mit die niedrigste Verschuldung in Rheinland-Pfalz (Anm. d. Red.: 173 Euro pro Einwohner bei knapp über 100.000 Einwohnern, Stand 2018). Einige Kommunen im Kreis sind durch erneuerbare Energien voll saniert. Es gibt weitere Beispiele, Steinfurt etwa, St. Wendel, hierzu liegen ganz konkrete Zahlen vor.
Warum machen es dann nicht mehr Landkreise?
Sie brauchen die Planung, die kostet Geld. Viele Kommunen machen das jetzt auch, weil die Bundesregierung es unterstützt. Dann brauchen Sie das richtige Personal, das die Planung umsetzt und nicht bremst. Dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen: Die Kommunen in Deutschland denken kameralistisch, ohne Risiko, also sie verwalten. Etwas innovativ zu gestalten, in Potenziale zu investieren und sie voranzubringen, ist da erstmal nicht vorgesehen. Potenziale, das sind kommunale Gebäude, Kläranlagen, Freiflächen, die Bürger. Danach muss Geld beschafft und investiert werden. Es muss also ein Dreiklang aus guter Politik, guter Planung und gutem Personal sein. Und guter Kommunikation. Denn irgendjemand fühlt sich immer auf den Schlips getreten, wenn Sie eine Gesellschaft dekarbonisieren.