Immer mehr Jugendliche studieren. Das hinterlässt Spuren in den Handwerksberufen, die Azubi-Zahlen sinken. Deshalb versuchen Berufsbildungszentren, ihre Attraktivität zu erhöhen – und sich zu digitalisieren.
Mal einfach in eine Druckmaschine steigen, Teile austauschen, die zuvor per 3-D-Druck gefertigt wurden, virtuell, das versteht sich im komplexen Beruf des Medientechnologen. Ein Gewächshaus für exotische und empfindliche Zierpflanzen planen, simuliert am Computer, per Mausklick, ganz speziell für angehende Garten- und Landschaftsbauer. Oder eine digitale Rezeption erstellen, in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, um Hotelfachkräfte auf ihren künftigen Beruf vorzubereiten.
Die Digitalisierung hält immer mehr Einzug in die Berufswelt von morgen. Das gilt mehr oder weniger stark auch für die Ausbildung. Wo früher geschraubt, mit der Hand gefeilt oder einfach nur die Schulbank gedrückt wurde, stehen heute intelligente Maschinen und Computer. Das Prunkstück sei die virtuelle Druckmaschine, betont Studiendirektor und Abteilungsleiter Bernhard Sander am Technisch-gewerblichen Berufsbildungszentrum 2 (TGBBZ) in Saarbrücken. „Der mit dieser Maschine ausgestattete Unterrichtsraum, Social Virtual Learning, ist einzigartig an einem Berufsbildungszentrum in Deutschland und ermöglicht den künftigen Medientechnologen, früher Drucker genannt, eine hochmoderne Ausbildung."
Und diese ist bitternötig. Denn der zunehmende Fachkräftemangel, der demografische Wandel und die fortschreitende Akademisierung junger Menschen hinterlassen bei zahlreichen Lehrberufen eklatante Spuren. Ausbildungsbetriebe, Berufsschulen, Kammern, Wirtschaftsverbände und die Politik müssen sich inzwischen ganz schön anstrengen, die Attraktivität einiger dualer Lehrberufe deutlich zu erhöhen. Gab es 2008 noch 1,8 Millionen Azubis in Deutschland, waren es 2018 nur noch 1,3 Millionen. Der Rückgang ist kontinuierlich.
Schulleiter Jörg Steinhausen vom TGBBZ 2 macht Werbung für die dualen Ausbildungsberufe: „War früher ein abgeschlossener Lehrberuf die Grundlage für das komplette Berufsleben, bietet die heutige Berufsausbildung ein ideales Sprungbrett für zahlreiche Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten oder das Fundament für einen weiteren Beruf." Die deutsche duale Ausbildung sei offen konzipiert, heutzutage viel flexibler angelegt, ebne den Weg in eine mögliche spätere Selbständigkeit und biete den Auszubildenden an, auch schulisch weiter voranzukommen. Dazu zählen zum Beispiel der Erwerb eines Hauptschulabschlusses oder das Erreichen eines mittleren Bildungsabschlusses. Selbst die Fachhochschulreife sei drin.
Offen, flexibel und digital
Rund 1.800 Auszubildende in nahezu 40 verschiedenen Berufsbildern zählt derzeit das TGBBZ 2 in Saarbrücken mit Außenstelle in Malstatt und gehört damit zu den großen Berufsbildungszentren im Saarland. Zu den vier Ausbildungsschwerpunkten zählen das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Agrarwirtschaft, die Nahrungstechnik sowie der in Malstatt befindliche kreative Bereich mit Design, Farbtechnik und Raumgestaltung, Drucktechnik und Augenoptik. Eine Ausbildung in diesen kreativen Bereichen ist im Saarland nur in Malstatt möglich.
Bindend für die Aufnahme an der Berufsschule ist der Ausbildungsvertrag zwischen Betrieb und dem Auszubildenden; in Deutschland gilt die Berufsschulpflicht. Kern ist am TGBBZ 2 die Berufsschule, hinzu kommen Höhere Berufsfachschule, Fachschule, Fachoberschule, ab kommenden Schuljahr die Berufsfachschule und die Möglichkeit zur einjährigen Ausbildungsvorbereitung. Unterrichtet wird neben den Fachspezifika in den berufsübergreifenden Fächern Deutsch, Wirtschafts- und Sozialkunde, Religion, Sport und einer Fremdsprache. Dabei geht es in erster Linie um anwenderspezifischen Unterricht. So lernen zum Beispiel angehende Köche, Rezepte zu schreiben oder der Sportunterricht wird auf die beruflichen Anforderungen wie Rückenschule ausgelegt. Die praktische Ausbildung erfolgt in den Betrieben selbst und in den Lernräumen und Werkstätten der Schule.
Gebetsmühlenartig wiederholen seit Jahren Kammern und Verbände das Lied vom Fachkräftemangel und den erheblich gestiegenen Karrierechancen für Nichtakademiker. „In den nächsten Jahren gehen viele Meister und Fachkräfte in den Ruhestand", prophezeit Bernhard Sander den jungen Menschen gute Berufsaussichten. Diese Chancen gelte es zu nutzen. Handwerk hat eben goldenen Boden – diese Weisheit könnte sich am Ende des Tages wieder einmal bewahrheiten. Denn neben den lukrativen Verdienstmöglichkeiten sorgt eine solide Berufsausbildung dafür, frühzeitig sein eigenes Leben gestalten zu können. Wer nach Lehre oder Meisterprüfung trotzdem studieren will, hat sogar Vorteile: Zum Beispiel die Aufstockung des sogenannten Aufstiegsbafög, bis zu 885 Euro für Vollzeitstudenten, die aus der Ausbildung kommen. Der Nachteil: Ausbildungsbetriebe haben oft hohe Anforderungen, mancher Beruf könnte in 20 bis 30 Jahren durch die zunehmende Automatisierung entweder völlig anders aussehen oder ersetzt werden.
Zahl der Studienabbrecher steigt
Einen besonderen Trend für bestimmte Berufe könne man nicht feststellen, sagt Bernhard Sander, obwohl die Schülerzahlen insgesamt zurückgegangen seien. Lediglich nach der Flüchtlingskrise habe es einen Anstieg gegeben und vermehrt Anfragen nach einer Berufsausbildung in den kreativen Berufen gegeben. Das Durchschnittsalter der Azubis beträgt rund 20 Jahre. Auch die Durchfallquote bei Prüfungen sei im Vergleich zu anderen Zentren unauffällig. Gleiches gelte für die Abbrecherquote. „Sie hat zwar durchaus eine gewisse Dynamik während der höchstens viermonatigen Probezeit zu Beginn der Ausbildung, aber das liegt alles im normalen Rahmen", so Schulleiter Jörg Steinhausen. Eine falsche Entscheidung bei der Berufswahl, eine andere Vorstellung oder eine Umorientierung lassen sich am Anfang noch relativ gut korrigieren. Schwierig wird es, wenn sich die jungen Menschen bereits im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr befinden. Ein Abbruch führt dann in der Regel zu Frust auf allen Seiten, im Betrieb und beim Azubi.
Gestiegen ist dagegen die Zahl der Studienabbrecher, die sich nach der abrupt beendeten Uni-Karriere für eine duale Berufsausbildung entscheiden. Brisant bei dieser Konstellation sei, dass in den Berufsschulklassen von Schulabbrechern über Schüler mit Hauptschulabschluss, Mittlerer Reife oder Abitur bis hin zu Studienabbrechern alles vertreten sei, was durchaus Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung habe, erklärt der Schulleiter. Das bedeute aber nicht zwingend, dass ein Schulabbrecher mit handwerklichem Geschick schlechter sei als jemand mit höherem Schulabschluss. In vielen Berufen komme es auf ganz andere Fähigkeiten an. Punkten will das Berufsbildungszentrum auch mit möglichen Auslandsaufenthalten im europäischen Ausland wie in der französischen Partnerschule in Montpellier mit finanzieller Unterstützung zum Beispiel durch das Erasmus-Programm der EU, aber auch durch gute Betreuung. Jörg Steinhausen: „Wir kümmern uns um umfangreiche Präventionsmaßnahmen bei gesellschaftlichen Problemen wie Drogen oder Kriminalität." Zu dem rund 100 Mitarbeiter umfassenden Lehrpersonal zählen daher auch sozialpädagogische Fachkräfte.