Wie Architektur und Stadtplanung auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren können, zeigt eine Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum Berlin. „Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise" stellt Projekte vor, die die Erde „reparieren" sollen.
Das Haus der Statistik am Berliner Alexanderplatz soll nach zehn Jahren Leerstand neu genutzt werden. In dem ehemals als Haus der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik der DDR erbauten 46.000 Quadratmeter großen Gebäudeensemble sind Wohnungen für Menschen geplant, für die der Wohnungsmarkt nur wenige Angebote eröffnet, wie Geflüchtete, Studenten und Senioren. Es soll Räume für Kunst, Kultur, Bildung, Gewerbe und eine bürgernahe Verwaltung geben. Außerdem wird der Bestand durch einen Neubau ergänzt. Das gemeinwohlorientierte Leuchtturmprojekt steht für eine demokratische und verantwortliche Stadtentwicklung – ein Beispiel aus der Ausstellung „Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise".
Aus dem Englischen übersetzt, bedeutet „critical care" Intensivpflege. Die Situation der Erde ist mehr als besorgniserregend, sie ist äußerst kritisch. Menschengemachte ökologische und soziale Katastrophen drohen den Planeten unbewohnbar zu machen. Anhand von 21 internationalen Beispielen im Deutschen Architektur Zentrum Berlin (DAZ) soll demonstriert werden, dass es auch anders geht. Dazu zählen: erdbebensichere Gebäude in China, Überschwemmungsschutz durch traditionelle CO₂-arme Bautechniken in Pakistan und Bangladesch, die Umnutzung vorhandener Bauten in Brasilien und Europa und die Revitalisierung historischer Bewässerungssysteme in Spanien. Großformatige Fotos, Modelle, Objekte, Filme und kurze Videos vermitteln Hintergründe zur Entstehung und lassen die verschiedenen Akteure zu Wort kommen. Gegliedert ist die Schau in die Themen Sorgetragen für Wasser, Grund und Boden, Sorgetragen für Reparatur und Sorgetragen für den öffentlichen Raum.
Die Ausstellung ist ein Plädoyer für eine neue Haltung. Sie zeigt, dass Architekten und Stadtplaner dafür sorgen können, den Planeten „wiederzubeleben". Die von Angelika Fitz und Elke Krasny kuratierte Präsentation veranschaulicht, dass sie sich nicht dem Diktat des Kapitals und der rücksichtslosen Ausbeutung der Ressourcen unterwerfen müssen. „Wir müssen die Zukunft nicht neu erfinden, sondern reparieren", sagt Angelika Fitz, die Direktorin des Architekturzentrums Wien, wo die Ausstellung zuerst gezeigt wurde. Schließlich habe die Zukunft längst begonnen, denn die Folgen der Klimaerwärmung sind bereits spürbar. Um einen Richtungswechsel zu ermöglichen, müssten die Beziehungen zwischen Ökonomie, Ökologie und Arbeit neu gestaltet werden. Dazu bedürfe es der Zusammenarbeit von Stadtverwaltungen, NGOs, der Zivilgesellschaft, internationaler Organisationen sowie nachhaltiger Unternehmen. Gefragt sind außerdem Erkenntnisse aus der Anthropologie, Soziologie, Umwelt- und Rechtswissenschaften, Landschaftsplanung sowie der Kunst.
Von CO²-Armen Bautechniken bis zur Umnutzung
Susanne Wartzeck, die Präsidentin des Bunds Deutscher Architekten (BDA) ist stolz, diese vom Architekturzentrum Wien konzipierte Ausstellung jetzt im DAZ zeigen zu können. Krise und „Sorgetragen" sind ihre beiden Pole. Sie fügen sich bestens in das Jahresthema des BDA „Reparatur und Sorge" ein. „Sorgen ist ein gutes Wort", sagt Susanne Wartzeck. Es bedeute: sich kümmern, damit es einer Person oder in diesem Fall unserem Planeten wieder besser geht. Bestehende Gebäude, also Bestandsarchitektur, biete dazu wie beim Haus der Statistik viele Möglichkeiten. Es gehe darum, aus Gebäuden, die ihrem Nutzen nicht mehr standhalten, etwas Neues zu machen.
Ein weiteres Beispiel in der Ausstellung ist die Umnutzung des ehemaligen Mesbla-Kaufhauses in der Innenstadt von São Paulo in Brasilien. Das zum urbanen Kulturerbe zählende Bestandsgebäude wurde in einen öffentlichen Raum mit Freizeit- und Dienstleistungseinrichtungen umgewandelt. Auftraggeber ist Serviço Social do Comércio (Sozialdienst des Handels, SESC). Diese 1946 von Handels-, Dienstleistungen- und Touristikunternehmen gegründete Non-Profit-Organisation ist auch der Projektbetreiber. Das sogenannte SESC 24 de Maio ist öffentlich zugänglich und ermöglicht eine neue Nachbarschaft durch mehrere Umgestaltungen: ein großer offener Platz im Erdgeschoss, das einstige Parkdeck wurde zu einem Café und Theater, überdachte Plätze und ein solarbeheiztes Schwimmbecken. SECS 24 de Maio kombiniert die Wiederverwendung urbanen Erbes mit der Schaffung öffentlichen Raums. Angesichts hoher Kriminalität und Grundstücksspekulation ist dies ein Beispiel für räumliches Sorgetragen für Zivilgesellschaft, Kultur und Gesundheit.
Dem Thema Sorgetragen für Wasser widmet sich ein Beispiel aus Spanien. Caldes de Montbuà ist eine Stadt bei Barcelona mit einem in römischer Zeit erbauten Thermalbad. Die Landschaft des an die historische Altstadt angegliederten Hortes de Baix war vom ökologischen und sozialen Niedergang gekennzeichnet. Die Wasserverschmutzung nahm zu, es war schlecht erreichbar und der Zerfall der Bewässerungsanlagen war nicht mehr aufzuhalten.
Langfristiges Handeln
Traditionell wurden die Gemüsegärten durch das Restwasser aus dem Thermalbad versorgt sowie durch das Regenwasser, das durch den Hauptbewässerungskanal floss. Dieser Kanal war zu einer offenen Kloake verkommen. Durch die Zusammenarbeit von Gärtnern, Wissenschaftlern, Architekten, der Abteilung für öffentlichen Raum und Nachhaltigkeit konnte das Bewässerungssystem innerhalb von zwei Jahren wiederbelebt werden.
Heute wird wieder das Restwasser der Thermalquellen aufgefangen und zur Bewässerung der Obstgärten genutzt, was die konstante Wasserversorgung sicherstellt. Außerdem wurde ein neues Becken errichtet, um das Thermalwasser zu sammeln und zu kühlen.
Mit der Ausstellung wollen die Kuratorinnen der Umweltzerstörung etwas entgegensetzen. Einschüchternde Diagnosen vom Klimawandel über das Artensterben bis zu verheerenden Waldbränden und dem Versinken von Flussdeltas gebe es genug. „In unserer Zeit der katastrophalen Zerstörung begreifen wir die Care Perspektive, als wichtigste für Architektur und Urbanismus", erklären sie. Dabei würde nur ein langfristiges Handeln und Sorgetragen menschliches und nicht-menschliches Leben ermöglichen.
„In Wien ist mir aufgefallen, dass die Ausstellung viele Besucher optimistisch stimmte", sagt Angelika Fitz. Viele Leute seien frustriert, denken, sie könnten sowieso nichts machen. Die Ausstellung zeige, dass doch noch etwas geht.