Die Schiedsrichter der deutschen Fußball-Bundesliga ziehen andere Saiten auf. Mit einer Regelverschärfung will der DFB die Profis umerziehen. Bisher ohne Erfolg. Trainer fordern mehr Respekt von den Schiedsrichtern.
Wer in den vergangenen Wochen die Bundesliga verfolgt hat, kam um das Wort Fingerspitzengefühl nicht herum. Dabei geht es um Feingefühl im Umgang mit Menschen und Dingen, welches im Fußball vor allem von den Schiedsrichtern eingefordert wird. In der momentanen Diskussion um das konsequentere Vorgehen der Unparteiischen gegen Meckern, Gestikulieren und Unsportlichkeiten wird aber vor allem eine Sache deutlich: Der Respekt vor den Schiedsrichtern fehlt.
Auslöser für die herrschende Diskussion in den vergangenen Tagen war der Platzverweis von Schiedsrichter Tobias Stieler für Möchengladbachs Alassane Pléa beim 2:2 gegen RB Leipzig. Der Stürmer der Borussia sah sich nach einem nicht gegebenen Foul ungerecht behandelt, gestikulierte in Richtung Stieler und hörte auch nicht auf, als er bereits die Gelbe Karte gesehen hatte. Die Konsequenz war eine zweite Gelbe Karte, gleichbedeutend mit Gelb-Rot. Kritiker wie beispielsweise Rekordnationalspieler Lothar Matthäus forderten danach besagtes Fingerspitzengefühl ein: „Wenn du jedes Abwinken mit Gelb bestrafst, spielst du am Ende Drei-gegen-Drei." Stieler hätte doch „einfach ein Auge zudrücken können". Doch die Zeiten scheinen im deutschen Schiedsrichterwesen vorbei – und das ist definitiv gut so.
Der Deutsche Fußball-Bund hat seine Schiedsrichter in der Winterpause angewiesen, rigoros gegen Auswüchse vorzugehen, die in den vergangenen Jahren überhand genommen haben: aggressive Konfrontationen, wildes Gestikulieren und respektlose Gebärden. Zum Schutz der Schiedsrichter. Ziel dieses Vorgehens ist es auch, wieder eine größere Vorbildfunktion für den Amateurfußball zu erreichen, wo in der Vergangenheit vermehrt gewalttätige Auseinandersetzungen öffentlich wurden. Dieser Punkt ist aber mit ein wenig Abstand zu betrachten. Ein Spieler in der Kreisliga verprügelt nicht den Schiedsrichter, weil ein Bundesligaspieler abwinkt. Das ist mehr ein gesellschaftliches Problem. Vorbilder können die Profis trotzdem sein.
Anderer Umgang in Sportarten wie Handball oder Rugby
Dass mehr Respekt vor Schiedsrichtern nicht die Emotionen hemmt, wie es in der Bundesliga immer befürchtet wird, zeigen andere Sportarten. Immer gern genannt wird der Handball, bei dem Bälle einfach liegen gelassen werden und es keinerlei Diskussionen mit den Unparteiischen gibt. Zuschauer sitzen am Rand und keiner maßt sich auch nur an, irgendetwas auf den Schiedsrichter oder die gegnerische Mannschaft zu werfen. Vor Kurzem fand auch das Six-Nations-Turnier im Rugby statt. Dort gab es Anschauungsunterricht, wie der Umgang mit Schiedsrichtern abläuft. Im Spiel zwischen Frankreich und England (Endstand 24:17) bauten die Franzosen mit einem Versuch ihre Führung auf 15:0 aus, der Spielzug wurde allerdings vom Video-Assistenten überprüft. Streitpunkt war ein mögliches Vorwärtsspiel der Franzosen, was im Rugby verboten ist. Schiedsrichter Nigel Owens konnte während der Diskussion mit dem VAR in Ruhe aus seiner Flasche trinken, blieb dann bei seiner Entscheidung, was in Anbetracht der TV-Bilder durchaus strittig war. Trotzdem ließ das benachteiligte Team Owens komplett in Ruhe, es gab im Anschluss nur eine kurze Erklärung für Englands Spieler Owen Farrell. Keine Spielertraube, die wild gestikuliert oder den Schiedsrichter belagert. Entscheidung akzeptiert, und weiter geht’s. Davon ist der Fußball noch weit entfernt. Solche Szenen sind weiterhin undenkbar. Die Realität zeigt, dass die Spieler und Trainer die Schiedsrichter bei fast jeder Entscheidung beeinflussen wollen, manchmal mehr, manchmal weniger aggressiv. Das ist mittlerweile so normal, dass die Protagonisten nicht mal den Fehler im System erkennen. Bremens Trainer Florian Kohfeldt sprach nach Gelb-Rot für seinen Spieler Niklas Moisander am 18. Spieltag – der Finne hatte Schiedsrichter Felix Brych bestürmt – von Regelmachern, „die vom Fußball aber mal gar keine Ahnung" hätten. Und Gladbachs Manager Max Eberl sagte nach dem Platzverweis für Pléa: „Ich erwarte schon, dass wir bei allem Vorbild, das wir sein müssen, uns auch ein bisschen regen dürfen und keine Zinnsoldaten werden, die nur auf dem Platz funktionieren." Das Argument der Gegner lautet: Emotionen müssen zum Fußball dazugehören.
Den Widerspruch darin zu sehen, ist dabei wirklich schwierig. Sobald Emotionen dafür sorgen, dass der Respekt zu sehr wegfällt, ist das Ganze nicht mehr zielführend. Über Tore darf man ja weiterhin jubeln, über versemmelte Großchancen darf man sich aufregen und mit dem Gegenspieler darf man mal ein wenig aneinandergeraten. Solange es im Rahmen bleibt. Der Rahmen, in dem die Schiedsrichter aber mit Anfeindungen umgehen müssen, ist definitiv gesprengt worden und nicht mehr existent. Deshalb ist die Maßnahme des DFB alternativlos. Schiedsrichter machen auch Fehler, trotzdem sollten sie in Ruhe ihre Arbeit verrichten können.
Aytekin sieht die Lage nicht so dramatisch
Um sich zu erklären, wird immer öfter der Wunsch nach einem Treffen zwischen Trainer und Schiedsrichter laut – vor allem von den Trainern. Davon hält der momentan beste deutsche Schiedsrichter Deniz Aytekin nicht wirklich viel. „Früher gab es runde Tische, man hat sich in entspannter Atmosphäre getroffen und vieles besprochen", sagte der 41-Jährige dem „Kicker". Allerdings oftmals nur, „um am Ende festzustellen, dass am Spieltag die Emotionen einen dann doch eingeholt haben und das Besprochene vergessen wurde." Aytekin ist momentan aufgrund einer Dokumentation in der ARD zu sehen – und erhält dafür sehr viel Zuspruch. Ohnehin sieht Aytekin das Verhältnis mit den Trainern nicht „so vertrackt, wie es vielleicht öffentlich und medial gerade rüberkommt". Das Gegenteil sei der Fall. „Wenn ich zehn Jahre zurückblicke, hat sich vieles sehr, sehr positiv verändert. Beide Seiten sind deutlich offener und respektvoller geworden. Der Austausch läuft permanent und gut, deshalb finde ich nicht, dass wir künstliche Gesprächsrunden benötigen." Eine solche Runde hatte Trainer Marco Rose von Borussia Mönchengladbach ins Gespräch gebracht. Auch sein Paderborner Kollege Steffen Baumgart hatte die Schiedsrichter wiederholt kritisiert. „Ich werde allen versprechen, dass ich nicht die Schnauze halte, wenn ich das Gefühl habe, es war ein Fehlverhalten der Schiedsrichter. Dann werde ich was dazu sagen", sagte Baumgart jüngst. Er mahnte zudem an, dass es für ein besseres Miteinander nicht nur auf die Trainer ankomme. „Viel schlimmer ist, dass immer gleich dieses Wort Respekt kommt. Ich habe vor jedem Schiedsrichter Respekt, ich erwarte es aber von beiden Seiten." Da muss auch den Trainern recht gegeben werden. Manche Schiedsrichter wirken arrogant und unnahbar – wohl aber aus Schutz vor den ständigen Anfeindungen. Aytekin betonte zudem: „Wir sind keine Roboter, die alle das haargenau gleiche Produkt abliefern. Gerade in der Kommunikation mit Spielern oder Trainern kommt es auf die Interpretation im Gesamtkontext an." Wie viele seiner Kollegen verteidigte auch Aytekin das konsequentere Auftreten der Unparteiischen. „Natürlich trägt kein Bundesligatrainer oder Spieler die Verantwortung für Gewalt im Amateurfußball", sagte der gebürtige Nürnberger: „Aber es ist doch ein erstrebenswertes Ziel, gerade in der Bundesliga einen vorbildlich fairen und respektvollen Umgang miteinander vorzuleben. Das wird dann auch einen Effekt auf die Basis haben."
„Das wird einen Effekt auf die Basis haben"
Inwieweit dieses neue Vorgehen Früchte tragen wird, wird wohl erst in ein paar Monaten zu bewerten sein. Das einzig Sichere ist aber: Es musste etwas passieren. Dabei sind Trainer, Schiedsrichter und Spieler gefragt. Damit endlich dieses Bild des Fußballs verschwindet. Einer der besten Rugby-Schiedsrichter sagte mal zu einem Spieler, der sich über eine Entscheidung mit ihm unterhalten wollte: „Geh weg, wir sind hier nicht beim Fußball." Genau davon muss der Fußball wegkommen. Damit er der schöne Sport bleibt, der er ist. Mit Respekt und Anstand – und Emotionen.