Erst galt er für die meisten Fans schlicht als falsche Wahl. Diese Vermutung schien sich anfangs auch zu bestätigen. Doch nun ist Markus Gisdol auf einem eindrucksvollen Weg, den 1. FC Köln zu retten.
Das Bild ging Mitte Dezember durch die sozialen Medien. Markus Gisdol, Trainer des 1. FC Köln, schaute konzentriert und stolz in die Kamera. Im rechten Arm hielt er den DFB-Pokal, in der linken die Meisterschale. Es war natürlich eine Fotomontage. Gisdols Kopf war auf ein berühmtes Bild von Hennes Weisweiler nach dem Double-Gewinn des FC 1978 platziert worden. Der nicht bekannte Foto-Monteur meinte es damals wohl doppelt ironisch. Zum einen sollte das Bild sicher nicht sagen, dass die Kölner mit Gisdol nun bald wieder Meister und Pokalsieger werden würden und Gisdol der neue Hennes Weisweiler ist. Zum anderen sollte es wohl eine Parodie darauf sein, dass die Kölner Fans angeblich nach jedem Sieg im Abstiegskampf schon wieder vom Europacup und Meistertitel träumen. So, wie es Fans gern machen bei Vereinen, die schon mal viel glorreichere Zeiten erlebt haben. Nur halt noch ein bisschen extremer als anderswo.
Das Foto von Gisdol mit den beiden Pokalen ist in den zwei Monaten seit dem Erscheinen viele Male per Whatsapp verschickt und viele Male in den sozialen Medien geteilt worden. Und so manch ein Kölner Fan hält es inzwischen längst nicht mehr für eine Parodie. Nicht in der Form, dass er tatsächlich an einen baldigen Double-Gewinn des FC glaubt. Aber doch in der Hinsicht, dass Gisdol beim 1. FC Köln zum Symbol für bessere Zeiten wird.
Labbadia und Dardai wurden vorher gefragt
Dabei war kaum einem neuen Trainer in der Fußball-Bundesliga bei der Ankunft in seinem neuen Verein so viel Skepsis entgegengeschlagen. Die Bezeichnung „C-Lösung" machte die Runde, und so manch einer hielt selbst das noch für beschönigt. Fast zwei Wochen hatten die Kölner nach der schnellen Entlassung des inzwischen in Mainz arbeitenden Bundesliga-Neulings Achim Beierlorzer gebraucht, um einen Nachfolger zu finden. Und zumindest in den Fällen von Bruno Labbadia und Pal Dardai ist verbrieft, dass sie vor Gisdol gefragt wurden. Die Medien bezeichneten diesen demnach als „Notlösung" und seine Verpflichtung als „Panikaktion". 666 Tage war er bis zum Tag der Unterschrift auch tatsächlich ohne Job gewesen. Dabei hatte er 1899 Hoffenheim aus fast aussichtsloser Lage und den Hamburger SV trotz der gewohnt schwierigen Begleitumstände der letzten Jahre schon vor dem Abstieg gerettet. Die Aufbauarbeit, der Schritt in die Normalität, war ihm dann aber bei beiden Stationen nicht wie erhofft gelungen. Die Kuriositäten komplett machte die Tatsache, dass Gisdol zusammen mit dem neuen Sportchef Horst Heldt präsentiert wurde. Den empfingen auch viele Kölner Fans mit Skepsis, obwohl er gebürtiger Rheinländer ist, lange für den FC spielte und aus seiner Verbindung zu dem Verein nie einen Hehl gemacht hatte. Aber Heldt hatte auf seiner vorherigen Position – unter zugegeben teilweise chaotischen Umständen – in Hannover keine gute Figur abgegeben. Und – das war eben die Pointe – er hatte sich als Manager auf Schalke nach der Entlassung von Huub Stevens eben nicht für den extrem ehrgeizigen Assistenten Gisdol als Nachfolger entschieden, sondern diesen damals mit freigestellt.
Und der alte Chef Stevens hatte Gisdol wenige Stunden vor seiner Vorstellung noch einmal zusätzliches Gepäck mit auf den Weg gegeben. Gisdol habe hinter seinem Rücken schlecht über ihn gesprochen, erklärte Stevens dem „Express". Und auch in Hoffenheim, wo er Gisdols Nachfolger war, seien „die Verantwortlichen nicht so gut auf ihn und seine Arbeit zu sprechen" gewesen. Zudem äußerte Stevens auch noch Zweifel an Gisdols fachlicher Eignung. „Ich denke, dass er kein Trainer ist, der die nächsten drei, vier Jahre für Köln arbeiten wird." Die Skepsis der Fans schließlich ist durch eine Umfrage des „Express" dokumentiert, an der sich 30.000 User beteiligten. Nur 22 Prozent von ihnen hielten Gisdol für die richtige Wahl.
Die Kombination all dieser Punkte ist keine leichte Hypothek für einen Trainer, der auf die Rückkehr in die Bundesliga brannte und bei den abstiegsgefährdeten Kölnern eigentlich Aufbruchstimmung verbreiten sollte. „Man nimmt das natürlich wahr. Aber ich habe versucht, das auszublenden", sagte der 50 Jahre alte Schwabe bei seiner Präsentation und bemühte sich darum, nicht gleich verzagt zu wirken. „Es ist legitim, dass man sich äußert, auch in Social Media. Aber ich weiß, warum ich hier bin und was ich leisten kann", sagte Gisdol, der es als Spieler nur in die Dritte Liga geschafft hatte und seine Karriere mit 27 Jahren wegen einer Knieverletzung beenden musste. „Ich habe absolut gespürt, dass man das unbedingt mit mir und Horst Heldt machen möchte."
Heldt, der beteuerte, in seinen Vertragsgesprächen gleich proaktiv Gisdol empfohlen zu haben, und der ebenfalls recht neue Vorstand um Präsident Werner Wolf zeigten sich nach dem Verlauf der Strategie-Gespräche mit Gisdol trotz des öffentlichen Gegenwinds zunächst überzeugt von ihrer Lösung. Ob ihnen in den kommenden drei Wochen trotzdem zwischenzeitliche Zweifel gekommen sind, ist nicht bekannt. Jedenfalls fühlten sich zunächst alle Skeptiker bestätigt. Dass Gisdols Auftakt-Partie bei RB Leipzig eine denkbar undankbare war, war klar. Doch wie chancenlos die Kölner beim 1:4 waren, erschreckte dann doch viele. „Das war ernüchternd", sagte Heldt. „Heute war nicht der Tag für Wunder." Und die Spieler wurden schon gefragt, ob der Trainer-Effekt verpufft sei. Das folgende 1:1 gegen den FC Augsburg war schwer einzuschätzen, schließlich schien ein Sieg im Vorfeld Pflicht zu sein. Weil der Ausgleich erst in der 86. Minute fiel, feierten die Kölner es aber als „Punkt der Moral". Ehe sie eine Woche später durch ein 0:2 bei Union Berlin mit einer erschreckend blutleeren Leistung komplett auf dem Nullpunkt anzukommen schienen.
„Sie sind nicht so verkopft wie einige andere"
Somit schien die Ausgangslage vor dem rheinischen Derby gegen Bayer Leverkusen am 14. Dezember klar. Die Kölner lagen am Boden, was auch der 18. und letzte Tabellenplatz dokumentierte. Die Leverkusener waren dagegen gut drauf, und die Experten diskutierten im Vorfeld nur über die Höhe des Bayer-Sieges. Und als Gisdol ausgerechnet in diesem Spiel neben dem von seinem Vorgänger schon fest eingebauten Noah Katterbach (18) und dem von Beierlorzer im letzten Spiel hochgezogenen Ismail Jakobs (20) in dem gerade einmal 17 Jahre alten Jan Thielmann ein drittes Eigengewächs in der Startelf aufbot, munkelte manch einer schon, das könne ihm zum Verhängnis werden. Am Ende gewannen die Kölner mit 2:0, Heldt sprang Gisdol jubelnd auf die Schulter. Und Kapitän und Nationalspieler Jonas Hector lobte den Einsatz der drei unbekümmerten Youngster als genialen Schachzug: „Sie sind nicht so verkopft wie einige andere." Wenige Stunden später ging das Bild von Gisdol mit den beiden Pokalen im Arm bei Whatsapp auf Reisen.
Dann hatten die Kölner ein Glück, das sie zuvor selten in dieser Saison hatten: Sie bekamen zwei Gegner zu einem günstigen Zeitpunkt. Sie nutzen dies zu einem 3:2-Sieg in Frankfurt und einem 1:0 in Bremen und überwinterten nach einer Neun-Punkte-Woche noch nicht einmal auf einem Abstiegsplatz. Die Euphorie retteten sie über die Winterpause, bezwangen zum Auftakt Wolfsburg mit 3:1 und reagierten auf das 1:5 in Dortmund mit einem furiosen 4:0 gegen Freiburg, dem höchsten Heimsieg seit neun Jahren. Plötzlich hatten die Kölner sechs Punkte Vorsprung auf einen Abstiegsplatz, an denen sich auch durch die 1:4-Niederlage gegen den FC Bayern nichts änderte.
Was Gisdol ehrt, ist, dass er in diesen Wochen nie zu viel Genugtuung zeigte und nie mit seinen Skeptikern abrechnete. Er arbeitete einfach weiter, in der Hoffnung, seine dritte Chance in der Bundesliga nachhaltig zu nutzen. Er muss ja nicht gleich Meister oder Pokalsieger werden.