Entwicklungsorganisationen drängen auf ein Gesetz, das Firmen für die Arbeitsbedingungen ihrer Lieferanten in anderen Ländern verantwortlich macht. Die Bundesregierung arbeitet nun daran.
Fast jedes scheinbar einfache Produkt ist heutzutage zusammengebaut aus vielen Einzelteilen, die aus vielen Ländern der Welt stammen. Am Ende werden sie zwar von einem Konzern unter dessen Marke verkauft, aber die Produktion hängt an einem komplizierten Netz aus Herstellern und sogenannten Lieferantenketten. Auch wenn die Produkte selbst manchmal noch recht einfach aufgebaut sind, werden sie oft von Maschinen hergestellt, die wiederum komplexe Fertigungen hinter sich haben.
Wer alles seinen Beitrag zu einem Produkt wie einem Auto geliefert hat, ist für den Verbraucher kaum noch zu durchschauen. BMW etwa gibt an, mit 12.000 Zulieferern aus 70 Ländern zusammenzuarbeiten. VW hat angeblich sogar 40.000 Zulieferer. Ein wesentlicher Teil der Leistung und des Gewinns eines Markenunternehmens besteht daher darin, in diesem gigantischen Netz der Lieferanten den Überblick zu behalten und dieses System zu steuern.
Produziert wird immer weniger in den eigenen Fabriken. Dabei entstehen oft Abhängigkeiten, die in guten Zeiten unsichtbar sind, aber mitunter plötzlich zum Vorschein kommen können, wenn es gerade sehr ungünstig ist. So musste VW 2016 an einigen Standorten die Produktion für kurze Zeit einschränken, weil der Zulieferer Prevent für einige Einzelteile der Autos Preise verlangt hat, die VW wiederum nicht zu zahlen bereit war. Hier zeigte sich, was es heißt, die Lieferketten nicht gut im Blick zu haben.
Derzeit zeigt das Corona-Virus, welche Gefahren dem Welthandel und der globalen Produktion drohen, wenn man sich zu sehr auf wenige Lieferanten und schlanke Lieferketten beschränkt. Es drohen Engpässe in der Pharma- und Automobilproduktion, und nicht nur da.
Seit einigen Jahren drängen Entwicklungsorganisationen und Kirchen darauf, auch die Menschenrechte in den Produktionsländern, die am Anfang dieser Lieferkette stehen, in den Blick zu nehmen. So hat Deutschland seit 1903 ein Kinderschutzgesetz, das Kinderarbeit verbietet – in der Landwirtschaft übrigens erst seit 1960. In vielen Ländern der Welt ist das bis heute nicht so. Gewerkschaften und Betriebsräte gehören bei uns selbstverständlich in jedes großes Unternehmen, in vielen Teilen der Welt sind das Fremdworte. Sicherheitsstandards sind oft wesentlich laxer als in Deutschland, Vorschriften zum Feuerschutz oftmals nur rudimentär vorhanden.
Das dramatischste Beispiel hat sich ins Gedächtnis gebrannt. Im September 2012 starben 258 Arbeiter bei einem Brand in einer Textilfabrik in der Stadt Karatschi in Pakistan. Arbeiter erstickten oder verbrannten, weil viele Fenster vergittert, Notausgänge verschlossen waren und nur eine Tür des Gebäudes geöffnet war. Wichtigster Kunde der abgebrannten Fabrik war das deutsche Textilunternehmen Kik. War Kik mitverantwortlich für die Brandkatastrophe, moralisch und rechtlich?
Kompliziertes Netz der Lieferketten
Im März 2015 reichten vier Betroffene beim Landgericht Dortmund Klage gegen die Textilmarke ein und forderten jeder 30.000 Euro Schmerzensgeld. Es war die erste Klage dieser Art in Deutschland. Im Januar 2019 wies das Gericht die Klage zwar wegen Verjährung nach pakistanischem Recht ab. Interessanterweise aber hat das Gericht die Klagemöglichkeit damit nicht grundsätzlich verworfen.
Unternehmen lagern immer mehr Produktionsschritte aus dem eigenen Haus aus. Die Folge: Sie werden zunehmend verantwortlich gemacht für die Arbeitsbedingungen überall dort, wo das Unternehmen einkauft. Verbraucher achten zunehmend darauf, dass Kaffee, Bananen und T-Shirts ein „Fair Trade"-Siegel haben. Solche Waren sind zwar meist etwas teurer, dafür garantieren die Marken, dass die Bauern etwas besser bezahlt werden, und Kinderarbeit ist sowieso tabu. Im vergangenen Jahr hat Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) das Textilsiegel Grüner Knopf ins Leben gerufen. Es soll nachhaltige und soziale Produktion gewährleisten.
Doch da machen lange nicht alle Unternehmen mit. Bislang passiert viel – aber nur auf freiwilliger Basis. Aus Sicht von Kirchen und Entwicklungsorganisationen reicht das nicht aus. Eine Kampagne „Initiative Lieferkettengesetz" will, dass Unternehmen in Deutschland Verantwortung übernehmen müssen für die Bedingungen außerhalb ihrer Fabriken und auch außerhalb von Deutschland. „Gegen Gewinne ohne Gewissen hilft nur ein Gesetz", so das Bündnis.
Große Marken „müssen die Lieferketten transparent machen, damit es nicht zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung kommt", so die Forderung. Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Geschädigte aus den Produktionsländern sollen dann vor deutschen Gerichten gegen in Deutschland ansässige Firmen klagen können. Das Lieferkettengesetz würde eine Grundlage für solche Klagemöglichkeiten bieten. „Es würde sowohl für Betroffene als auch für Unternehmen Rechtssicherheit schaffen", schreibt Greenpeace dazu.
Wie groß ist der Einfluss auf die Lieferanten?
Die Organisatoren scheinen bei der Großen Koalition und vor allem bei Entwicklungsminister Müller auf Gehör zu stoßen. Er hat ein solches Gesetz derzeit in Vorbereitung. Was bei den einen auf Zustimmung stößt, ruft in der Wirtschaft jedoch Ärger und Empörung hervor.
Der Unternehmensverband Gesamtmetall betont, dass die meisten Unternehmen der Metallindustrie in Schwellen- und Entwicklungsländern ohnehin bereits auf die Einhaltung von Menschenrechten ihrer Zulieferer vor Ort achten und sie bei der Erfüllung von Umwelt- und Sozialstandards unterstützen. „Es ist aber die Kernaufgabe der lokalen Regierungen, die grundlegenden Umwelt- und Sozialstandards um- und auch durchzusetzen. Diese Aufgabe kann nicht an Unternehmen delegiert werden."
Während Entwicklungsorganisationen und Bundesregierung die Unternehmen mehr in die Pflicht nehmen wollen, heißt es von Unternehmerseite bei Gesamtmetall: „Die tatsächliche Möglichkeit der Unternehmen, auf die eigene Zulieferkette Einfluss auszuüben, hängt ganz wesentlich von der Anzahl der Zulieferer, der Branche, der Struktur und Komplexität der Zulieferkette sowie der Größe und Marktposition des Unternehmens ab." Eine „Standard-Lieferkette" gebe es dabei nicht, die Glieder der Lieferkette seien ständigen Veränderungen unterworfen. Eine Kontrolle sei also schwierig.
Andere zweifeln am Sinn eines solchen Gesetzes. Wie Ökonomen immer wieder betonen, sind Firmen, die nach Europa oder Nordamerika exportieren, in den Entwicklungsländern oft relativ fortschrittlich: Sie bezahlen besser und achten eher auf Arbeitsbedingungen als andere, die nur für den Bedarf im eigenen Land produzieren, wo die Verbraucher wesentlich weniger kritisch sind.
Das geplante Lieferkettengesetz würde von den großen deutschen Unternehmen verlangen, ihre Zulieferer viel besser zu kennen und zu beobachten. Sie müssten sich dann auch viel mehr in die Produktionsabläufe dieser Firmen einmischen und zwar unabhängig von den rechtlichen Vorschriften des jeweiligen Landes. Große Konzerne machen das teilweise bereits jetzt. Kleinere Firmen dürfte es überfordern, was die Wettbewerbsmacht der Großen weiter stärken dürfte.
Allerdings liegt das Thema im Trend: Andere europäische Länder wie Frankreich, die Niederlande und Großbritannien haben bereits Gesetze zu den Produktionsbedingungen verabschiedet, etwa zum Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit in der Lieferkette. Da wird Deutschland nicht abseits stehen wollen.