Welchen Beitrag leistet die Wirtschaft zur Gesellschaft? Die deutsche Finanzwelt jedenfalls wird in den kommenden Jahren Unternehmen nach ökologischen, sozialen und Management-Kriterien einteilen – wenn es nach dem Beirat für nachhaltige Finanzen im Bundesfinanzministerium geht.
Nachhaltige Lebensmittel, nachhaltige Energie, das Adjektiv „nachhaltig" gewinnt verstärkt an Bedeutung, auch im Finanzsektor. Statistiken zeigen: Die Nachfrage nach sogenannten „nachhaltigen Investments" und Geldanlagen ist in den letzten Jahren immens gewachsen, ihr Volumen überstieg laut Marktbericht 2019 des Forums Nachhaltige Geldanlagen jeweils deutlich mehr als 1.500 Milliarden Euro in Deutschland. Vor allem institutionelle Anleger wie Pensions- und Vorsorgekassen fokussieren ihr Geschäft derzeit auf nachhaltige Fonds. Investment-Plattformen wie „Pensions for Purpose" haben deutlich Zulauf, zuletzt nahm diese die Union Investment der genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken auf. Mitglieder sind unter anderem der größte internationale Vermögensverwalter Black Rock, die Allianz, Axa und eine der größten europäischen Banken, BNP Paribas. Ziel der Plattform ist es, gemeinsam gesellschaftlich wirksames Investment zu untersuchen. Auch in den deutschen Chefetagen geht es vermehrt um „Purpose Management", also Sinn und Zweck, und um einen gesellschaftlichen Beitrag der Wirtschaft, abseits vom reinen Geldverdienen. Aber was heißt das nun – für Firmen wie für Sparer?
Wer „nachhaltig" sein Geld anlegen will, sprich im Sinne moralisch einwandfreier Unternehmensführung, unter Umweltschutzaspekten und guten sozialen Bedingungen für Angestellte und Lieferanten, der kann dies schon heute tun. Immer öfter schreiben sich Banken diese sogenannten ESG-Kriterien (für Umweltaspekte, auf Englisch „enviroment", Sozialfaktoren, „social factors", und Unternehmensführung, „governance") auf die Fahnen. Eine allgemeinverbindliche Regelung für diese Kriterien gibt es allerdings in Deutschland nicht.
„Nachhaltig ist heute im engeren Sinne noch nicht definiert. Das heißt, es liegt am Anbieter, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist", erklärt Ingo Speich, Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Deka Investment GmbH. „Auf Sicht wird es aber regulatorische Vorgaben geben. Das bedeutet: Es werden klare Klassifizierungen zu einer nachhaltigen Anlage gemacht werden." Der Diplom-Kaufmann ist Teil des „Sustainable Finance"-Beirats des Bundesfinanzministeriums. Zentrale Aufgabe des Beirats ist es, die Bundesregierung bei der Erarbeitung einer nationalen Strategie zum nachhaltigen Anlegen und Investieren zu beraten und konkrete Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Das soll den Finanz- und Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig stärken. „In den nächsten zwölf Monaten werden wir sehr viel Bewegung in diesem Bereich sehen", kündigt Speich an.
„Es wird Regeln dafür geben"
Wie aber kann man sich sicher sein, dass sein Geld moralisch einwandfrei und nach ESG-Kriterien angelegt wird? Gemeinhin werden die Faktoren von „guter" Unternehmensführung, Umwelt- und soziale Aspekte herangezogen, nach denen ein Unternehmen, eine Geldanlage bewertet und als nachhaltig gekennzeichnet wird: Nur wenn alle drei Aspekte erfüllt sind, gilt die Anlage oder das Investment als vollumfänglich nachhaltig. Im Klartext: Ein Unternehmen kann so viel auf Umwelt- und Klimaschutz achten wie es möchte. Wenn es Menschenrechte verletzt, die Sicherheit seiner Arbeitnehmer nicht gewährleistet oder keinen fairen Verhaltenskodex vorweisen kann, ist es nicht nachhaltig.
Wer nun Geld anlegen möchte, kann zum Beispiel alle für eine Anlage in Betracht kommenden Unternehmen anhand verschiedener Ausschlusskriterien prüfen lassen. Je nach Kundenwunsch werden hierbei verschiedene Kriterien mehr oder weniger berücksichtigt als andere. Ausschlusskriterien sind hierbei insbesondere Risikofaktoren wie beispielsweise das Klagerisiko, das die Tabak- oder Glücksspielbranche mit sich bringt, aber auch ein unkalkulierbares Unfallrisiko, wie es in Gruben oder Atomanlagen besteht. Rendite und Risiko, so Ingo Speich, dürfen nicht vernachlässigt werden: „Nachhaltigkeit ist nur ein Bereich der Kapitalanlage. Deshalb müssen Nachhaltigkeit und die Ökonomie in Einklang stehen."
Doch nachhaltiges Anlegen soll nicht nur dem Investor einen Vorteil verschaffen, es kann auch Unternehmen verändern: „Je mehr Anleger nachhaltig anlegen, desto mehr wird Druck auf die Unternehmen aufkommen, die nicht nachhaltig sind, weil diese Unternehmen weniger Käufer für ihre Aktien finden. Das heißt, der Aktienkurs wird sinken. Hingegen werden Unternehmen, die besonders nachgefragt werden in der nachhaltigen Anlage stärkere Kurssteigungen erfahren", erklärt Ingo Speich. „Das wird natürlich dann wiederum zu Veränderungen in den Unternehmen führen, sodass damit ein dynamischer Prozess ausgelöst wird, den auch die Gesetzgebung haben möchte: dass der Finanzmarkt eine Lenkungsfunktion für die Realwirtschaft hat."
Druck auf Firmen wächst
Auch Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Investment, ist von dem Potenzial nachhaltiger Investments überzeugt. „Langfristig werden wir die Wirtschaftswelt in nachhaltige und nicht nachhaltige Unternehmen einteilen", so Kater. „Rating-Agenturen werden künftig dies für uns übernehmen." Dafür soll auch eine Richtlinie der Europäischen Union sorgen, die ein sogenanntes „Ecolabel" für Nachhaltigkeit, ähnlich wie für Lebensmittel, auch für Finanzprodukte etablieren soll. Es komme nun darauf an, wie diese Kriterien für Nachhaltigkeit gemeinsam entwickelt werden. Dies sei ein „Dauerlauf, kein Sprint", so Kater, sprich der Fokus auf ESG-Kriterien könne die Finanz- und hernach die Wirtschaftswelt mittel- bis langfristig verändern. Dann aber werden Firmen deutlich stärker gezwungen, sich auf diese nachhaltigen Kriterien prüfen zu lassen, um sich für Investitionen am Markt zu qualifizieren und Geld zu beschaffen. Prüfungen der Kriterien könnten also helfen, die Wirtschaft mehr und mehr in Richtung guter Unternehmensführung, umweltbewussten Wirtschaftens und sozial verantwortlichen Handelns verändern – „natürlich auch aus Imagegründen", so Kater.
Und der private Anleger? Generell ist der Bundesbürger wenig an Aktien investiert, das zeigen Statistiken immer wieder – und laut einer aktuellen Emnid-Umfrage fühlen sich die meisten ohnehin viel zu wenig über nachhaltige Anlagen bei ihrer Hausbank informiert. Die Frage, ob ein Kunde nachhaltig investieren möchte, werde dennoch künftig immer wichtiger werden. Drei von vier Kunden, so schätzt die Deka, werden Nachhaltigkeit als Kriterium bei ihrer Suche nach einer Anlage angeben. „Heutzutage ist es möglich, bereits mit kleinen Geldbeträgen auch nachhaltig anzulegen. Das Produktspektrum ist sehr breit", sagt Ingo Speich. „Es empfiehlt sich auch am Kapitalmarkt, nicht alles auf eine Karte zu setzen sondern breit anzulegen und nach und nach zu investieren – beispielsweise durch einen Sparplan." Wer heute bereits in ein Unternehmen investiert hat und wissen möchte, ob die Anlage nachhaltig ist, bekommt darüber bei seinem Anlageberater die nötige Auskunft.