Etwa 15 Unternehmen bieten Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung an. Dr. Jörg Rheinländer, Vorstandsmitglied bei der HUK Coburg, und Sven Hermerschmidt, Referatsleiter beim Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, über Chancen und Risiken.
Herr Dr. Rheinländer, können Sie kurz erklären, wie der Telematik-Tarif in der Kfz-Versicherung rein technisch funktioniert?
Wenn Sie sich für diesen Tarif entscheiden, bekommen Sie eine etwa vier mal vier Zentimeter große Box zugeschickt. Diese Box kleben Sie am besten von innen an die Windschutzscheibe, und über diese Box werden alle Beschleunigungsdaten aufgenommen.
Werden diese Daten „nur" gespeichert oder werden sie auch an eine zentrale Stelle gesendet?
Sie werden erst gespeichert, aber sie werden auch gesendet, und dafür brauchen Sie auf Ihrem Handy eine App. Diese App regelt letzten Endes den Tarif. Sie nimmt die Daten ab vom Server, ergänzt sie mit der Geolocation, also jedem Punkt der Fahrstrecke.
Was genau wird gespeichert?
Es wird gespeichert, wie Ihre Beschleunigungswerte sind, die Bremsvorgänge, Beschleunigungen in den Kurven, generell die Geschwindigkeit, und es wird der Ort gespeichert, um alles damit abzugleichen.
Gibt es bei der Tarifeinstufung ein Bonus- beziehungsweise Malus-System, je nachdem wie vorsichtig oder riskant jemand fährt?
Es gibt keinen Malus. Wenn Sie letzten Endes bei diesem System, das von 0 bis 100 Punkte reicht, nur 0 Punkte bekommen, also nicht besonders vorsichtig waren, bekommen Sie den ganz normalen Tarif. Sie können also nur sparen.
Was wäre bei einem erheblichen Geschwindigkeitsverstoß oder einer staatsanwaltlichen Untersuchung eines Verkehrsunfalls? Würden Sie dann bei einer Anfrage die Daten Ihres Versicherungsnehmers herausgeben?
Dafür muss ein gerichtlicher Durchsuchungsbeschluss vorliegen. Mal einfach so anklopfen mit der Forderung, wir hätten gern die Daten, das geht natürlich nicht. Wenn ein solcher Beschluss vorliegt, dann können wir uns nicht verweigern. Tatsächlich ist es aber dazu noch nie gekommen. Unsere Kunden sind inzwischen zwei Milliarden Kilometer gefahren auf Deutschlands Straßen, und so ein Fall war noch nie da.
Herr Hermerschmidt, die Deutschen sind bekannt als Datenskeptiker. Wo sehen Sie die Hauptprobleme bei den Telematik-Versicherungstarifen?
Die Hauptprobleme sehen wir bei der Frage des Datenumfangs. Welche Daten werden überhaupt verarbeitet? Da gibt es sensible und weniger sensible. Mögliche Probleme sehe ich auch bei der Transparenz. Die Kunden müssen natürlich genau wissen, was mit ihren Daten passiert. Sie müssen darauf vertrauen können, dass die Daten nur für diesen Tarif verwendet werden und auch nur in dem Umfang, mit dem sie vorher einverstanden waren. Und generell die Frage der Datensicherheit. Das sind die Punkte, die wir im Auge haben.
Sehen sie als Datenschützer die Gefahr, dass diese Versicherungsdaten auch gehackt werden können?
Diese Gefahr ist immer gegeben. Das Risiko besteht hier natürlich auch. Zumal die Daten sensibel sind, gerade was auch die Frage der Lokalisierung angeht. Es gibt natürlich Interessen, an diese Daten heranzukommen. Deshalb muss man bei der Sicherheit als Unternehmen immer up to date bleiben und entsprechend für die Sicherheit sorgen.
Herr Dr. Rheinländer, viele könnten bei den Telematik-Tarifen zu der Vermutung kommen „Big Brother is watching you", also dass sie total überwacht werden.
Wir sagen sehr transparent in den Versicherungsbedingungen, wie diese Produkte funktionieren. Es kann aber auch jeder in den App Store hineingehen und schauen, was andere Kunden über dieses Produkt geschrieben haben. Außerdem hat der Kunde ein tägliches Kündigungsrecht. Er kann aber auch sagen, ich mache mal eine 30-tägige Probezeit, schaue mir das Produkt an und kann es dann wieder ausschließen.
Herr Hermerschmidt, wie beurteilen Sie generell solche Tarife? Es gibt ja Stimmen, die sagen, die Hersteller speichern bei modernen Autos sowieso schon alles und wissen damit auch alles.
Ob sie jetzt alles wissen sei mal dahingestellt. Aber sie wissen viel, weil in den modernen Autos wahnsinnig viele Diagnose- und Analysedaten verarbeitet werden, die in den Werkstätten danach auch ausgelesen werden können. Das passiert ja auch. Da muss noch viel bei der Transparenz geschehen. Auf der anderen Seite bietet das natürlich auch tolle Chancen für Verkehrssicherheit, für vernetzte Systeme, für einen besseren Verkehrsfluss und all diese Dinge. Da kommt es bei vielen Anwendungen darauf an, dass man von vornherein anonymisiert arbeitet. Denn es ist nicht notwendig zu wissen, wer da fährt. Das ist allerdings bei den Versicherern anders.
Kontrollieren Sie denn diese Tarife?
Das kontrollieren wir selbstverständlich. Das ist in Deutschland so, dass das die Länder in unserem föderalen System machen. Die kontrollieren bei Beschwerden von Bürgern, aber auch von Amts wegen. Es ist auch so, dass die Unternehmen die Beratung der Datenaufsicht suchen, um von vornherein ein rechtmäßiges Geschäftsmodell zu entwickeln.
Herr Dr. Rheinländer, wie groß ist denn das Interesse an diesem Telematik-Tarif, bei dem man immerhin bis zu etwa 30 Prozent der Prämie sparen kann?
Wir haben inzwischen 200.000 Kunden bei diesem Produkt. Wir sehen beim Neugeschäft Zuwachsquoten von zehn bis 20 Prozent. Im Prinzip sind junge Leute eher ansprechbar, die kennen solche Ansätze schon aus anderen Bereichen. Aber wir haben durchaus auch Abschlüsse in der Altersklasse von 70 bis 80 Jahren.
Sehen Sie in dem Telematik-Tarif die Zukunft für die Kfz-Versicherung?
Wir glauben, dass dieses eine Säule ist. Wir glauben aber auch, dass die herkömmliche Kfz-Versicherung ebenfalls weiterhin Bestand haben wird.
Herr Dr. Rheinländer, zum Schluss noch eine wichtige Frage zum Thema Verkehrssicherheit. Wenn es ums Geld geht, werden die Menschen hellhörig. Gehen Sie davon aus, dass gerade junge Leute, die in der Unfallstatistik meist vorne landen, durch den Telematik-Tarif motiviert werden, vorsichtiger zu fahren? Und gibt es dazu bereits Zahlen?
Das stellen wir in der Tat fest. Momentan sind das bei uns noch Testgruppen. Aber dort sehen wir eine Reduktion der Unfallhäufigkeit um 20 Prozent, was in Deutschland ein Wort ist.