Streaming- und Onlinedienste laufen dem Fernsehen als Informationsmedium den Rang ab, vor allem unter Jugendlichen. Wie diese ihre Apps nutzen, zeigten die Jugendmedientage.
Spätestens an Silvester vor etwas mehr als einem Jahr wurde klar: Die Medienwelt ist nicht mehr das, was sie einmal war. Der Musiksender Viva stellte seinen Betrieb ein, und die Generation, die mit ihm groß geworden ist, hätte es um Haaresbreite gar nicht mitbekommen. Doch nachdem selbst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im Medienteil nicht um das Ende von Viva umhinkam, haben es dann auch die letzten mitbekommen. Der Grund für das Ende des Musiksenders war eher unspektakulär: Er wurde nicht mehr gebraucht.
Musikvideos sind heute auf jedem Smartphone Beiwerk. Dafür bedarf es keines linearen, terrestrischen Senders mehr. Auch für Nachrichten oder Kochsendungen ist solch ein Fernsehprogramm eigentlich nicht mehr nötig, auch diese gibt es im Netz, in Mediatheken, Blogs oder Streamingportalen.
Medienmacher denken trimedial
Stirnrunzeln bei Franziska Giffey (SPD), der Bundesfamilienministerin und Schirmherrin der Jugendmedientage im vergangenen November in Berlin. „Ich schaue immer noch lineares Fernsehen, wenn ich die Zeit dazu habe“, brüstet sich die 41-Jährige im FORUM-Gespräch – um gleich im nächsten Satz einzuräumen, dass sie diese Zeit eigentlich nicht mehr hat. Komplett out ist das Nachrichtenschauen im Fernsehen dennoch nicht: 2019 steigerte beispielsweise die „Tagesschau“ der ARD ihren Marktanteil um ein Prozent auf 35,5 Prozent und ist damit seit Jahrzehnten unangefochten die Nummer eins unter den Nachrichtensendungen – auch bei den 14- bis 29-Jährigen, so der NDR. Doch das lineare Fernsehen verliert weiter Zuschauer, prophezeien Studien: Laut einer Studie von Roland Berger und der Universität Münster wandern immer mehr Zuschauer zu Online- oder Streamingangeboten ab, den Öffentlich-Rechtlichen drohen finanzielle Werbeeinbußen im Milliardenbereich. Die ARD warf der Studie handwerkliche Mängel vor. Fakt ist: Mediennutzer greifen verstärkt zum Handy oder zum Laptop statt zur Fernbedienung, um sich zu informieren. Und auch Bundesfamilienministerin Giffey gesteht, ihr erster Info-Zugriff am frühen Morgen beim Kaffee läuft über ihr Smartphone.
So wie bei den meisten der rund tausend jungen Menschen, die sich zum Medienkongress in Berlin versammelt hatten. Bei den Jugendmedientagen fällt im Gespräch sofort auf, dass die Zukunft drei Dimensionen hat: Die zukünftigen Medienmacher denken Informationen bereits trimedial. Vorbei die Zeiten, wo sich angehende Redakteure, Reporter oder Moderatoren am Anfang ihres Berufswegs entscheiden mussten, ob sie lieber Zeitung, Radio oder Fernsehen machen. Heute ist klar, Informationen werden gleich auf allen drei Ebenen aufbereitet.
Anico Schusterlich aus Hannover ist nur zur Orientierung auf dem Kongress. Die 23-Jährige studiert Theaterwissenschaften, denkt über die Bühnenstücke in der digitalen Zukunft nach und muss einräumen: „Nicht alles, was möglich ist, macht auch tatsächlich auf der Bühne Sinn. Irgendwann ist das Publikum mit dem Szenenbild überfordert, wenn zu viele mediale Effekte auf der Bühne produziert werden.“
Weniger ist also auch in digitalen Zeiten dann oftmals mehr. Das größte Problem in Sachen Mediennutzung sieht Schusterlich allerdings in der Auswahl der Informationsquellen. „Ich bin ein Infojunkie und habe auf meinem Smartphone zehn News-Apps. Doch wie die sich teilweise bei den News widersprechen, ist wirklich beängstigend“, berichtet sie. Dabei hat sie keineswegs irgendwelche Apps auf ihrem Phone, sondern anerkannte, seriöse deutsche Nachrichtenanbieter. „Doch das Problem scheint zu sein, dass es offensichtlich selbst bei ARD oder DPA Anweisungen zu geben scheint, mindestens dreimal am Tag eine Eilmeldung rauszujagen“, vermutet Anico Schusterlich. Dem ist nicht so, versichern jedoch die beiden Nachrichtenanbieter.
Auch Luis Schneider ist ein News-junkie und kann sich des geschilderten Eindrucks ebenfalls nicht erwehren. Der 19-Jährige entstammt bereits der „Generation Fernsehfrei“. Das heißt nicht, dass Luis aus erzieherischen Gründen sein Leben lang Fernsehverbot hatte. Er entstammt einem Elternhaus, in dem es bereits seit beinahe 20 Jahren solch ein Gerät nicht mehr gibt. Er kennt die Tagesschau-App. Aber dass die gleichnamige Sendung regelmäßig jeden Abend um 20 Uhr seit 60 Jahren ausgestrahlt wird, hat er erst als Jugendlicher begriffen. Filme schauen hieß für ihn von Kindesbeinen an „youtuben“ oder später streamen. Schon als Grundschüler lernte er mit seinem ersten Smartphone selbst das Filmeschnipsel-Produzieren. Seine Auffassung von Medien ist denkbar allumfassend. „Das ganze Leben ist eigentlich auch immer ein Medienereignis, weil ja online meine Freunde immer irgendwie mit dabei sind“, erklärt der junge Mann aus Korb bei Stuttgart seine Medienauffassung. Darum erscheint ihm auch so eine Veranstaltung wie die Jugendmedientage eher altbacken. Auch mit dem Begriff „Medienmacher“, den Schirmherrin Franziska Giffey unermüdlich bemüht, kann er daher wenig anfangen. „Leben ist auch immer medial, und dabei bestimme ich den Flow und lasse nur den Content zu, den ich konsumiere“, erklärt Luis Schneider. Übersetzt heißt das: Ich zeige euch meine Welt – und gefällt euch, was ihr seht, klickt sie an. Luis will trotzdem noch an der Filmakademie Ludwigsburg studieren, um in der visuellen Umsetzung professioneller zu werden. Denn trotz der großen Instagram- und Youtube-Unterstützung für manch semiprofessionellen Influencer: Ideen und Gedanken müssen zu nachvollziehbaren und vor allem vielgeklickten und gelikten Bildern werden.
Filme sehen heisst „Youtuben“
Dabei wird auch die Überwindung der Grenze zwischen redaktionellem Teil und Werbung in Kauf genommen. Die Grenzen sind hier fließend, wie der Erfolg mancher Influencer und neuerdings auch Gerichtsurteile zeigt, die diesen schmalen Grat betreffen. Immerhin: Plattformen wie Instagram wollen das Like-Wettrüsten, das zu psychischen Erkrankungen bei Influencern führte, begrenzen und testen derzeit den Wegfall der Like-Statistiken.
Theaterwissenschaftlerin Anico weiß durchaus um den schmalen Grat zwischen Information und Werbung, vertraut aber da auch so ein bisschen auf die Fähigkeiten der User, dass zu unterscheiden. „Irgendwie müssen sich die ganzen Portale ja finanzieren, und das geht nun mal nicht ohne Werbung“, so die 23-Jährige. „Aber ein reines Werbeportal funktioniert auch nicht, da muss dann schon ein vernünftiger Inhalt mit dabei sein, sonst springen die Follower ab.“
Dabei hat sich für die Generation Online gezeigt: Ein Bild oder ein Video spricht viel mehr User an als eine schriftliche Schlagzeile. Nicht Text generiert in den elektronischen Medien also die meiste Aufmerksamkeit, sondern das Bild sorgt für Follower. Die Kampfansage an eine ganze Generation von, um das Wort der Ministerin aufzugreifen, „Medienmachern“, die es gelernt hat, eine griffige Schlagzeile zu formulieren? Nicht ganz. Sowohl Luis Schneider als auch Anico Schusterlich räumen ein, sie lesen tatsächlich noch Zeitungen, ganz „old school“, haben sogar ein Abonnement ihrer örtlichen Zeitung. Das überrascht, hat aber einen simplen Hintergrund. Das Netz hat alle Informationen dieser Welt. Aber kaum die Neuigkeiten aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Es gibt in den elektronischen Informationswelten keinen wirklichen „Lokalteil“, wie ihn noch Zeitungen bieten. Für Anico und Luis ein Grund, warum morgens neben ihrem Smartphone noch eine Tageszeitung aus richtigem Papier auf dem Frühstückstisch liegt. Diese wird, im Gegensatz zu Viva, scheinbar doch noch gebraucht.