Ein Kaschmirpullover zählt zu den absoluten Lieblingsstücken der Alltagsgarderobe. Allerdings kann sich niemand sicher sein, dass bei dem Teil nur der kostbare weiche Flaum der Himalaya-Ziege verarbeitet wurde. Denn im Handel gibt es viele Mogelprodukte. Was kann man dagegen tun?
Noch bis vor rund 50 Jahren waren Klamotten wie Pullover oder Mäntel aus Kaschmir ein Luxus, den sich eigentlich nur wenige leisten konnten. Das Geheimnis der Kaschmirproduktion wurde vor allem von den Schotten gehütet. Nur sie waren lange Zeit in der Lage, die heiß begehrten ultrafeinen Härchen aus dem Unterfell der Kaschmirziege von den groben und unerwünschten Deckhaaren zu trennen. Die Tiere stammen aus der Region des ehemaligen Fürstenstaates Kaschmir im Himalaya, in den abgelegenen Hochebenen der Mongolei, Afghanistans, Chinas und des Irans.
Doch seit den 1980er-Jahren erwarben sich die Chinesen selbst nach und nach das nötige Know-how in der Verarbeitung des kostbaren Rohstoffes. Das hatte zur Folge, dass inzwischen fast das komplette Angebot an Kaschmir auf dem Weltmarkt nur noch aus China oder der Inneren Mongolei stammt und viele Kaschmir-Produkte längst nicht mehr in Ländern wie Schottland oder Italien hergestellt werden. Plötzlich tauchten im Handel immer mehr Kaschmir-Teile auf, sogar zu Preisen, die selbst für den Normalverbraucher erschwinglich waren. Inzwischen ist es keine Seltenheit mehr, dass speziell Kaschmir-Pullover bei großen Bekleidungsketten schon für 60 Euro angeboten werden.
Die Tiere brauchen extreme Bedingungen
Die Vermutung liegt nahe, dass dabei nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann. Denn trotz gesteigerter Nachfrage der Kunden und entsprechend höherer Kaschmirproduktion ist die Menge gewonnener Edelhaare mit 8.000 bis 9.000 Tonnen weitgehend gleich geblieben. Natürlich hatte man in der Himalaya-Region versucht, durch Aufstockung der Ziegenherden die Kaschmir-Gewinnung zu steigern. Doch das hatte zu erheblichen ökologischen Problemen geführt, nämlich einem Pflanzenkahlschlag verbunden mit Bodenerosion. Das Populations-Ausweitungs-Experiment wurde daher längst wieder eingestellt, in ökologisch besonders gefährdeten chinesischen Gebieten dürfen die Ziegen inzwischen sogar nur noch auf Farmen weiden. Die Tiere in anderen klimatisch vergleichbaren Regionen zu züchten ist theoretisch zwar kein Problem, aber nur in der Himalaya-Region sorgen die extremen Wetterbedingungen für den perfekten fein-weichen Flaum am Unterfell der Tiere.
Beim Auskämmen kommen pro Tier zwischen 150 und 300 Gramm Unterfell-Härchen zusammen, für einen Pullover wird der Flaum von drei bis fünf Ziegen benötigt. Ein Kilogramm Kaschmir wird derzeit auf dem Weltmarkt laut Dr. Kim-Ho Phan, dem global wohl angesehensten Kaschmir-Experten, je nach Qualität zwischen 50 und 130 Euro gehandelt. Ein Preis von 60 Euro für einen vermeintlich hochwertigen Kaschmirpullover dürfte daher einige Fragen aufwerfen. Die Antworten wurden denn auch schon mehrfach gegeben. Selbst das Fernsehen in Deutschland oder der Schweiz hatte sich der Problematik in den letzten Jahren schon mal angenommen. Das SRF hatte für sein Verbrauchermagazin „Kassensturz“ Damen- und Herrenpullover aus laut Etikettangaben 100 Prozent Kaschmir zu Preisen zwischen 79 und 398 Franken von einem Textillabor untersuchen lassen. Ergebnis: Bei jedem vierten Pulli wurde ein unzulässig hoher Anteil an Fremdfasern, beispielsweise von Yaks, Alpakas oder Schafen, festgestellt.
Die ARD ging noch offensiver unter dem Titel „Kaschmir-Schwindel – Wie bei der Edelwolle geschummelt wird“ ins Rennen. Dabei stellte die ARD den Pilling-Effekt, die unschöne Knötchen- oder Fusselbildung auf der Pullover-Oberfläche, in den Mittelpunkt. Diesen Makel führte den Edelhaarhändler und Kaschmir-Experten Michael dal Grande auf die Verarbeitung von nicht so hochqualitativen Garnen zurück. Bei Spitzenprodukten sollten nämlich nur sehr lange und extrem feine Fasern verarbeitet werden. Während die Knötchenbildung als klares Indiz für die Verwendung von kurzen Fasern deklariert wurde, die im Garn viel schlechter festgehalten werden. Die Beimengung von Synthetik-Fasern mit glatter Oberfläche zu Kaschmirwolle kann den Pilling-Effekt noch weiter verstärken. Besonders bei Massenware aus China ist laut der ARD-Sendung das Einmischen von Fremdfasern, beispielsweise aus Schafswolle, nichts Ungewöhnliches.
Laut Dr. Kim-Ho Phan werden die Kaschmir-Schummler immer geschickter. Der Käufer ist ihnen hilflos ausgeliefert, weil sich das Material weder beim Fühlen noch durch optische Begutachtung als Mischprodukt erkennen lässt. Selbst Experten sind auf ein spezielles, von Phan mitentwickeltes Rasterelektronenmiskroskop angewiesen, um letzte Zweifel an der Reinheit eines Kaschmirprodukts auszuräumen. Sofern der Anteil beigemischter Wollfasern unter 15 Prozent liegen sollte, hat selbst Dr. Phan zugegeben, dass er das beim Anfassen der Ware nicht bemerken könnte. Erst bei Beimischungen von 20 bis 30 Prozent könne er meist eine untypische Härte erfühlen. Laut Phan wird bei billigen Fälschungen meist Viskose beigemischt, bei besseren möglichst feine Wolle. Zur Verschleierung können laut Dr. Phan selbst harte Wollfasern nach einem Säurebad mithilfe von Weichmachern wie Silikon so behandelt werden, dass sie das typische Kaschmir-Flauschgefühl aufweisen. Erst nach mehrmaligem Waschen kann selbst der Laie gegebenenfalls die Mogelpackung erkennen, weil dann der Weichspüler verschwunden ist und sich das Material deutlich härter anfühlt.
Dr. Phan geht davon aus, dass von den offiziell als reines Kaschmir deklarierten Kleidungsstücken auf dem Weltmarkt 25 bis 30 Prozent gefälscht sind. Das Schummeln geht auf vielen Ebenen vonstatten, vom Verspinnen der Garne bis hin zum Kauf oder Verkauf des Rohmaterials. Als Richtwert: Ein hochwertiger Kaschmirschal sollte schon um die 100 Euro kosten. Da es bislang kein verbindliches Gütesiegel für Kaschmir gibt und die Kontrollen in den meisten Ländern lasch sind, wird sich daran wohl so schnell nichts ändern. Die Situation in Deutschland empfindet der Experte gar so dramatisch, weil die Kleidungsstücke hierzulande ständig kontrolliert werden. „Nicht von den Importeuren selbst“, so Dr. Phan, „sondern von den Mitbewerbern. Das heißt, der Markt ist in den letzten fünf, zehn Jahren viel sauberer geworden“.
Zum Trocknen flach ausbreiten
Generell wird man beim Kauf eines ultraleichten Kaschmirprodukts davon ausgehen können, dass für mehr Geld auch eine höhere Qualität der Ware erhalten wird. Je feiner, länger und heller die Faser ist, desto hochwertiger ist das Rohmaterial und desto höher ist letztendlich auch der Preis. Kaschmir-Härchen haben einen Durchmesser von 15 bis 19 Mikrometern, ihre Länge schwankt zwischen 25 und 90 Millimetern. Für Spitzenprodukte sollte der Querschnitt maximal 16,5 Mikrometer betragen. Die groben Deckhaare sollten bei gereinigtem Rohkaschmir möglichst vollständig vom Unterfell-Flaum getrennt worden sein. Und nicht jede Kaschmirziege hat ein weißes Fell, aber gerade die helle Farbe ist besonders gefragt, da sie sich am leichtesten colorieren lässt. Neben dem aus einem Faden (englisch: „one ply“) bestehenden herkömmlichen Kaschmir gibt es auch höherwertigere Qualitäten, bei denen mehrere Garne verzwirnt sind („two ply“). Das wiederum gewährleistet eine bessere Formbeständigkeit. Pflegetipp: Der gute Kaschmirpullover verträgt das Wollprogramm in der Waschmaschine, auch Handwäsche ist natürlich möglich, nur sollte dabei ein anschließendes Auswringen auf jeden Fall vermieden werden. Zum Trocknen den Pulli flach ausbreiten, damit er seine Form behält.
Wer sich mal etwas ganz Besonderes gönnen möchte, sollte sich an die Spezialisten aus der Luxusabteilung halten – mit den beiden italienischen Kaschmir-Königen Loro Piana und Brunello Cucinelli an der Spitze. Aber auch Labels wie Allude, Iris von Arnim, Agnona, Fedeli, Hemisphere Cashmere, Cashmere Victim oder Hawico of Scotland haben einen hervorragenden Namen. Für den kleineren Geldbeutel dürfte Repeat Cashmere eine gute Wahl sein.