Grenzen sind üblicherweise dazu da, etwas klar zu machen. Sie sollen Eindeutigkeiten schaffen: Bis hierhin und nicht weiter. Dabei haben sie immer auch etwas Ambivalentes. Sie grenzen ein und sie grenzen aus. Aber so klar das auf den ersten Blick auch scheint: Das mit der Eindeutigkeit ist so eine Sache. Geografisch mag es ja noch gewisse Anhaltspunkte geben. Aber schon bei Fragen nach den Grenzen des guten Geschmacks stellen sich Unschärfen ein. Richtig schwierig wird es bei grundsätzlichen Fragen, wenn Grenzen gezielt ausgetestet werden, bis sie sich fast unbemerkt verschoben haben.
Ich war vor Kurzem in Auschwitz und Birkenau. Genau an dem Tag, an dessen Abend in Hanau Menschen getötet wurden. Um möglichem Missverständnis vorzubeugen: Die Tat in Hanau, von einem offenkundig menschenverachtenden, rassistischen Psychopathen, ist das eine. Der Holocaust etwas unsagbar anderes. Aber an diesem Tag der Gleichzeitigkeiten haben sich für mich Fragen nach den Grenzen, und ab wann sie überschritten sind, neu und schärfer gestellt.
Dass Hanau – und zuvor schon Halle – auf klare Reaktionen getroffen sind, dass selbst Karnevalisten Tage und Nächte gerackert haben, um auf ihren Umzügen nach Hanau zu zeigen, wofür sie stehen, ist gut. Und auf einer anderen Ebene haben die Reaktionen in Zusammenhang mit Bedrohungen gegenüber dem saarländischen GdP-Chef David Maaß an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig gelassen.
Auch wenn manche Grenzen nicht durch Stopp-Schilder und Barrieren markiert sind, ist ihre Eindeutigkeit offensichtlich auszumachen, wenn es darauf ankommt. Diese Eindeutigkeiten sind auch zwingend nötig. Attacken und Bedrohungen gegen Kommunalpolitiker und Hilfskräfte sind längst nicht mehr nur krasse Ausnahme und Ausfälle von irgendwelchen Durchgeknallten. Von dem, was sich teilweise im Netz abspielt, ganz zu schweigen.
Vieles davon ist ein Fall für die Justiz. Alles aber ein Fall für klare Grenzziehung, auch im scheinbar noch so kleinen Fall. Dass eine „schweigende Mehrheit" zu leise ist gegen eine sich überbietende Aggressivität, vor allem die im Netz, stimmt. Aber es geht auch nicht vorrangig um einen Lautstärke-Contest. Es geht um beharrliche und klare Eindeutigkeit, in der „großen Politik" und in unserem „kleinen Alltag".