Er war der Trainer-Überflieger des vergangenen Jahres. Doch nun schlitterte Florian Kohfeldt mit Werder Bremen gnadenlos in den Abstiegskampf. Die Verantwortlichen schwören ihm bedingungslose Treue. Ein prominenter Ex-Bremer hinterfragt dies.
Die Aussage hat so viel Gewicht, weil sie von Klaus Allofs kam. Der ist als ehemaliger Europacup-Sieger als Spieler und langjähriger Manager und Meistermacher bei Werder Bremen nämlich eine Ikone. Und vor allem ist er jemand, der sich von der Hektik und den „Mechanismen" des Geschäfts nicht anstecken lässt. Als er im Oktober 1999 als führender Funktionär zu Werder zurückkehrte, war Thomas Schaaf gerade fünf Monate lang Trainer. Allofs hielt 13 Jahre an ihm fest, in (meist) guten wie in schlechten Zeiten. Ein halbes Jahr, nachdem Allofs nach Wolfsburg ging, trennte sich Bremen von Schaaf. In Wolfsburg traf er auf Dieter Hecking, an dem er immerhin vier Jahre festhielt. Nach 17 Jahren als Manager nahm Allofs dann mit der Trennung von Hecking 2016 seine erste und einzige Entlassung eines Trainers vor.
Wenn ausgerechnet so jemand also erklärt, dass eine Entlassung von Trainer Florian Kohfeldt kein Tabu sein dürfe, hat das durchaus Gewicht. Zumal Allofs das 0:2 gegen Union Berlin im Stadion gesehen und danach nach eigener Auskunft mit den aktuellen Verantwortungsträgern gesprochen hat. Sie seien von ihrem Trainer „weiterhin total überzeugt", schrieb Allofs in einer Kolumne für den „Kicker": „Das sagen sie nicht nur so dahin, um Ruhe zu haben. Aber: Selbst Werder kann sich den Gesetzmäßigkeiten des Geschäfts letzten Endes nicht entziehen." Eine solche Situation habe man sich im Sommer schließlich „in den schlimmsten Träumen nicht vorgestellt. In einer solchen Phase kommt zwangsläufig alles auf den Prüfstand, auch der Trainer", sagt Allofs. Und bei dieser Prüfung könne es eben passieren, „dass man zur Erkenntnis kommt: Eigentlich passen wir sehr gut zusammen – aber wir stecken in einer Sackgasse. Eine Trennung auch in den internen Gedanken absolut kategorisch auszuschließen, wäre deshalb falsch."
Es war ein Tabu, das Allofs damit brach, denn bis dahin hatte niemand an der Weser Worte wie „Entlassung" oder „Trennung" im Zusammenhang mit Florian Kohfeldt in den Mund genommen. Sie sehen diese Saison wohl alles immer noch als Betriebsunfall, den man schon irgendwie vor dem Saisonende noch beheben wird. Weil die Mannschaft zu gut ist für einen Abstieg. Und weil auch Kohfeldt eigentlich als zu gut gilt. In der vergangenen Saison hatte der Trainer schließlich die Herzen nicht nur der Bremer Fans erobert. Weil Werder erfrischenden Fußball spielte. Und vor allem auch, weil sich Kohfeldt so erfrischend abseits des Spielfeldes gab. Eloquent, authentisch, fannah, emotional, sprachlich gewandt – viele erinnerte er schon an Jürgen Klopp. Wohl auch und vor allem in Dortmund, wo sie zumindest auf lange Sicht längst ein Auge auf den früheren Amateur-Torhüter geworfen haben.
Ex-Manager Allofs hat Bedenken
So einen entlässt man doch nicht, nur weil es mal ein paar Wochen nicht so gut läuft. Würde jemand den Bremer Verantwortlichen garantieren, dass sie am Ende nicht in die Zweite Liga absteigen, würden sie sicher jedes Versprechen der Welt abgeben, Kohfeldt nicht zu entlassen. So hat man von außen das Gefühl, es sei das Beste, dem mit 37 Jahren immer noch sehr jungen Trainer mal ein paar Wochen bis zum Saisonende ein paar Wochen Sonderurlaub zu geben, die Mannschaft von einem echten Feuerwehrmann retten zu lassen, um dann im Sommer mit einem frischen Kohfeldt wieder neu anzufangen. Denn auch, wenn der Coach erstaunlich souverän bleibt, immer noch eloquent ist und immer noch authentisch, kriegt er einfach die Kurve nicht.
Dabei hat er die Fallhöhe schon selbst vor der Saison definiert. Auf die Frage nach dem Saisonziel hatte er gesagt, er könne „nur zwei Dinge ausschließen: Dass wir um die Meisterschaft spielen. Und dass wir etwas mit dem Abstieg zu tun bekommen." In Wahrheit träumten alle von der ersten Qualifikation für den Europacup nach neun Jahren. In der Vorsaison – unter Kohfeldt – hatten die Bremer erstmals wieder an den Plätzen geschnuppert, die zu einem Start im Europacup berechtigt. Nun sollte es endlich wieder so weit sein. Europacup-Nächte im Weserstadion sind schließlich seit einigen denkwürdigen Aufholjagden unter Otto Rehhagel legendär.
Mit Max Kruse war vor der Saison zwar der absolute Leader und beste Torschütze vor der Saison verloren gegangen, aber sonst hatten die Hanseaten keinen Leistungsträger verloren. Allerdings verletzte sich der über sechs Millionen Euro teure Kruse-Nachfolger Niclas Füllkrug frühzeitig schwer, die erfahrenen Ömer Toprak, Leonardo Bittencourt und Michael Lang schlugen nicht wie erhofft ein, eingeplante Leistungsträger wie Torhüter Jiri Pavlenka, Fast-Nationalspieler Maximilian Eggestein, Davy Klaassen und Yuya Osako stürzten in die Formkrise. Dazu kam ein nahezu unglaubliches Verletzungspech.
Werder träumte vom Europa-Cup
Im Dezember, nach einem 1:6 bei Bayern München am 15. Spieltag, hatte Kohfeldt die Zeichen der Zeit erkannt. „Das Wort Abstiegskampf haben wir bisher vermieden", erklärte er: „Aber jetzt sage ich es auch öffentlich. Es geht für uns darum, die Klasse zu halten." Damals stand Werder auf Rang 14, in die Winterpause gingen die Bremer zwei Spieltage später dann tatsächlich als 17. auf einen direkten Abstiegsplatz. Und auf den kehrten sie im Februar zurück, durch eine 0:2-Heimniederlage gegen Union Berlin. Vier Tage, nachdem ein furioses 3:2 im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund für fast alle als Startschuss für die erhoffte Wende gedeutet worden war.
Inzwischen haben sich einige Teams auch schon ein bisschen abgesetzt, sodass den Bremern endgültig klar sein muss: Sollten sie keine Siegesserie starten, werden die aktuell letzten Vier der Tabelle zwei Absteiger, den Relegations-Teilnehmer und einen Geretteten unter sich ausmachen. Zwar hat Werder aus diesem Quartett mit Paderborn, Düsseldorf und Mainz nominell immer noch den besten Kader.
Doch als einziges Team aus diesem Quartett waren sie auf Abstiegskampf nicht eingerichtet. Und der Kader ist nicht darauf ausgerichtet. In ihm stehen eher feine Fußballer als Malocher und Kämpfer.
Im Endeffekt wird es jetzt vor allem eine Nervensache werden. Beziehungsweise ist es das längst. Denn die Zahlen sind hochgradig alarmierend. Seit dem 10. November hat Werder von zwölf Bundesliga-Spielen zehn verloren. Zu Hause gingen die letzten fünf Spiele verloren. Die letzten vier davon ohne eigenen Treffer bei insgesamt 1:13 Toren. Das sind Bilanzen, bei denen bei anderen Vereinen – vor allem bei solchen, die mit Europacup-Ambitionen gestartet sind, längst der Trainer geflogen wäre. Vielleicht sogar unter Klaus Allofs.
Kohfeldt will auf keinen Fall zurücktreten
Doch Aufsichtsrats-Chef Marco Bode und Manager Frank Baumann halten weiter bedingungslos zu ihrem Trainer-Eigengewächs und geben auch öffentlich so deutlich zu Protokoll, dass sie sich daran messen lassen müssen. Der Aufsichtsrats-Boss hatte schon im Dezember klar gesagt: „Wir werden in dieser Team-Konstellation in der Führung zusammenhalten. Wir steigen gemeinsam ab oder wir bleiben gemeinsam drin." Als Baumann Anfang Februar gefragt wurde, ob das weiterhin gelte und man mit Kohfeldt notfalls in die Zweite Liga gehe, sagte er klar und deutlich: „Ja." Sie wollen es also zusammen durchziehen in Bremen, zumal auch Kohfeldt klarstellte, dass er sicher nicht zurücktreten werde. „Zurücktreten ist weglaufen", sagte er: Und ich werde nicht weglaufen. Unter keinen Umständen."
Aber natürlich sei Werder wichtiger als jeder Einzelne, also auch als er, sagte Kohfeldt nach dem 0:3 in Leipzig. Und nannte drei Aspekte, bei denen er ins „Wanken" käme, vielleicht doch zurückzutreten: Wenn er das Vertrauen des Vorstandes oder die Gefolgschaft der Spieler verlieren würde. Oder wenn ihm nichts mehr einfallen würde. Nichts davon sieht er aktuell als gegeben an.
Im Endeffekt geht es damit nun um sie alle. Für Kohfeldt wäre es bei allen Beliebtheits-Werten und allem Experten-Lob ein echter Karriere-Knick, den ersten Bremer Abstieg seit 1980 mindestens mitverantwortet zu haben.
Und Baumann und Bode müssten sich dann zweifellos vorwerfen lassen, dem Trainer zu blind vertraut zu haben. Schließlich hätte in einer solchen Situation sogar Klaus Allofs eine Trennung erwogen.