Zuletzt häuften sich die rassistischen Vorfälle im Profifußball. Die Empörung ist stets groß – aber reicht das alleine aus? Das Regelbuch hat diesbezüglich Schwachstellen, das wirklich wirkungsvolle Zeichen müsste von den Teams kommen.
Preußen Münster war Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga, doch die große Zeit des Clubs ist längst vorbei. In der Dritten Liga kämpfen die „Adler" gegen den Absturz in die Viertklassigkeit, was bundesweit kaum jemanden interessiert. Doch Mitte Februar war Preußen Münster plötzlich in ganz Deutschland wieder ein Thema, weil der Club auf vorbildliche Art und Weise ein wichtiges Zeichen gegen ein Problem setzte, das sich im Fußball wie ein Krebsgeschwür auszuweiten droht: Rassismus.
Das war geschehen: Im Heimspiel gegen die Würzburger Kickers wird Gäste-Spieler Leroy Kwadwo von einem Zuschauer mit Affenlauten beleidigt. Der 23-jährige ist außer sich vor Wut und fordert den Übeltäter gestenreich auf, sich zu zeigen. Der Mann hofft offenbar, sich in der Masse verstecken zu können – doch weit gefehlt. Andere Preußen-Fans zeigen mit dem Finger auf den Täter, der von Ordnungskräften aus dem Block begleitet wird. Mehr noch: Von der Tribüne dröhnt es in dem Moment: „Nazis raus!" Diese Reaktionen haben Kwadwo tief beeindruckt. „Ihr könnt euch gar nicht denken, was diese mir und auch allen anderen farbigen Spielern bedeutet", sagte er. Dennoch sei er „traurig und wütend", denn ganz offensichtlich habe nicht jeder verstanden, dass „Rassismus nicht in unsere Welt gehört".
Der Vorfall in Münster ereignete sich zwei Wochen nach dem Pokalspiel zwischen Schalke 04 und Hertha BSC, bei dem der Berliner Abwehrspieler Jordan Torunarigha von einem Fan der Königsblauen ebenfalls mit Affenlauten diffamiert wurde. Hier konnten oder wollten die umstehenden Zuschauer aber niemanden direkt ausfindig machen.
Schalke ging anschließend gemeinsam mit der Polizei auf Tätersuche, die Clubverantwortlichen distanzierten sich klar von der Aktion. „Mir fehlt jegliches Verständnis für Vollidioten dieser Art", sagte Sportvorstand Jochen Schneider. Das Problem ist nur: Ein paar Monate zuvor hatte Schneiders Chef, der mächtige S04-Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies, bei einer Rede zum „Tag des Handwerks" mit rassistischen Äußerungen („Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn‘s dunkel ist, Kinder zu produzieren") große Empörung ausgelöst.
Tönnies wurde vom clubinternen Ethikrat zu einer Drei-Monats-Sperre verurteilt, die er offenbar selbst vorgeschlagen hatte. Der Fleisch-Fabrikant beteuerte öffentlich, kein Rassist zu sein, und entschuldigte sich. Doch für Schalkes gutgemeinte Aktionen gegen Rassismus („Steht auf!") war der Skandal ein schwerer Schlag. Die Glaubwürdigkeit solcher Projekte leidet, wenn der Chef in der Öffentlichkeit den Kinderreichtum in Afrika mit einem rassistischen Spruch veranschaulicht.
Täter auf Schalke noch unbekannt
Wegen der Fan-Beleidigung gegen Torunarigha wurde Schalke vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro verdonnert. Der Schiedsrichter hatte das Fehlverhalten auf den Rängen nicht mitbekommen, ansonsten wäre laut Fifa-Regelbuch ein Drei-Stufen-Plan in Kraft getreten. Stufe 1: Der Schiedsrichter unterbricht das Spiel und verlangt eine entsprechende Stadiondurchsage. Stufe 2: Der Schiedsrichter schickt beide Mannschaften in die Kabine und verlangt eine erneute Durchsage. Stufe 3: Der Schiedsrichter bricht das Spiel ab.
Doch dieses System hat mehrere Schwachstellen. Zum einen muss der Unparteiische die Beleidigungen erst mal wahrnehmen. „Er hört es einfach nicht", sagte der frühere Fifa-Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer: „Das ist auch nicht seine Aufgabe, er ist Spielleiter und nicht Zuschauerleiter." Zum anderen dürften zwei gelbe Karten in dem Fall schon eine zu viel sein.
Nationalspieler Antonio Rüdiger will deshalb bei rassistischen Entgleisungen nicht erst auf ein Zeichen der Referees warten, sondern von sich aus den Platz verlassen. Er sei dann „der Erste, der rausgeht", sagte der Profi des FC Chelsea: „Ich habe keine Furcht vor den Konsequenzen."
Die hatte auch Moussa Marega nicht. Dem dunkelhäutigen Stürmer aus Mali waren Mitte Februar im Auswärtsspiel des FC Porto bei Vitória Guimarães Worte wie „Affe" und „Neger" entgegengeschlagen – da war für ihn das Maß voll. Der 28-Jährige verließ rund zehn Minuten vor dem Abpfiff wutentbrannt den Platz. Bei seinem Abgang flogen ihm Sitzschalen entgegen, Marega senkte zuerst beide Daumen Richtung Tribüne, eher er den Zuschauern dort den Mittelfinger zeigte.
„Mit den Beleidigungen und den Affenrufen, die ich ertragen musste, konnte ich nicht auf dem Platz bleiben. Ich habe eine gewaltige Demütigung erfahren", erklärte er später. Sein Club stellte sich komplett hinter Marega, auch die Medien solidarisierten sich mit dem Afrikaner. „Marega 5, Rassismus 0", titelte die Zeitung „Record".
„Keine Furcht vor den Konsequenzen"
Fußball-Ikone Ruud Gullit, der zu aktiven Zeiten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte, kritisierte jedoch, dass sich kein Porto-Mitspieler dem Protest angeschlossen hätte. Auch Fredi Bobic, Sportvorstand bei Eintracht Frankfurt, wünscht sich für solche Fälle ein Zusammenstehen der Mannschaft. „Notfalls muss man ein Spiel einfach mal stoppen oder beenden. Dann ist es das richtige Zeichen", sagte Bobic: „Ich bin mir sicher, dass solche Vorfälle auch helfen werden, dass es irgendwann in die Köpfe reingeht."
Da sind sich Experten nicht so sicher. Schließlich bildet das Stadion immer auch die Gesellschaft ab, und in der werden fremdenfeindliche Einstellungen laut neuesten Studien immer salonfähiger. Doch gerade deshalb ist es so wichtig, dass der Profifußball bei diesem Problem Farbe bekennt. „Es wird viel gemacht, vor allem in der Vorbeugung", verteidigte sich der DFB-Integrationsbeauftragte Cacau und brachte als Beispiel die Anti-Diskriminierungs-Stellen an, wo Vorfälle gemeldet werden können. Aber reicht das? In Italien, wo Rassismus ein noch viel größeres Problem zu sein scheint, will der Profifußball mit Hilfe von Videoüberwachungskameras die Übeltäter ausfindig machen. Die Schreihälse, die beim Länderspiel vor einem Jahr in Wolfsburg gegen Serbien einige farbige Nationalspieler rassistisch beleidigt hatten, stellten sich freiwillig der Polizei. Verteidiger Rüdiger reagierte geschockt, dass manche Menschen selbst bei Spielen der Nationalmannschaft ihre ideologisch höchst fragwürdige Gesinnung zur Schau tragen. „Das sind Dinge, die man nicht tolerieren darf", sagte der Sohn eines deutschen Vaters und einer afrikanischen Mutter: „Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch, nur mit ein paar Pigmenten mehr."