Spontane Verabredungen, das zwanglose Gespräch am Stand, zufällige Begegnungen auf den Gängen – mit der Messe fällt alles weg, was einen Branchentreff ausmacht. FORUM sprach mit dem Verleger Jörg Sundermeier darüber, wie er den Ausfall verkraftet.
Die Leipziger Buchmesse ist abgesagt. Das wurde angesichts der um sich greifenden Corona-Epidemie am 3. März von Messedirektor Oliver Zille in Absprache mit dem Gesundheitsamt Leipzig bekannt gegeben. Das Amt bestand darauf, dass eine Rückverfolgbarkeit von Kontaktpersonen bei Großveranstaltungen gewährleistet sein müsse. Das bedeutet, dass jeder Messeteilnehmer schriftlich belegen müsse, nicht aus definierten Risikogebieten zu stammen oder Kontakt zu Personen aus Risikogebieten gehabt zu haben. „Das ist angesichts von rund 2.500 Ausstellern und rund 280.000 erwarteter Besucher nicht sicherzustellen. Die Gesundheit unserer Aussteller, Besucher, Gäste, Partner und Mitarbeiter steht für uns an erster Stelle", so Zille in seiner Pressemitteilung.
Schlimmer als der wirtschaftliche ist der ideelle Schaden
Für den Bücherfrühling ist das ein herber Schlag: Nicht nur müssen zahlreiche Verlage ihre Stände wieder zurückbauen und Bücherlieferungen stornieren. Auch zahlreiche Groß- und Kleinveranstaltungen auf der Messe und im gesamten Stadtgebiet wurden abgesagt, Preisverleihungen wie der Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung und der Preis der Leipziger Buchmesse müssen verlegt und Buchpremieren, Lesungen und Autorengespräche, die fest eingeplant waren, neu angesetzt werden.
Was die Absage einer Buchmesse für unabhängige Verlage und die Literaturbranche insgesamt bedeutet – immerhin ein einmaliges Ereignis in 70 Jahren Messegeschichte – darüber sprachen wir mit Jörg Sundermeier, Verleger des Berliner Verbrecher Verlags und Mitglied des Vorstands der Kurt-Wolff-Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene, die sich besonders für unabhängige Verlage einsetzt.
Herr Sundermeier, wie erleben Sie die Absage der Leipziger Buchmesse für Ihren Verlag?
Zunächst muss ich sagen, dass ich voll und ganz hinter der Entscheidung von Oliver Zille stehe. Angesichts der aktuellen Lage hatte die Messe keine andere Wahl, als diese Entscheidung zu treffen, nachdem auch schon für die Kinderbuchmesse Bologna und den Salon du livre in Paris ähnliche Entscheidungen getroffen worden waren. In einem Interview mit dem „Börsenblatt" hat Oliver Zille etwas sehr Zutreffendes gesagt: „Ein Fest, vor dem sich jeder fürchtet, ist kein Fest." Denn das ist die Leipziger Buchmesse vor allem anderen ja auch: Ein Fest für das Lesen.
Wie gehen Sie jetzt damit um? Ist die Absage ein schwerer wirtschaftlicher Schlag für Sie als unabhängiger Verlag?
In dieser Hinsicht ist es für uns eher glimpflich ausgegangen: Werbematerialien, die wir bereits produziert haben, werden wir anderweitig einsetzen können. Die Standgebühren wird die Messe erstatten. Allerdings geht es da nicht allen so: Denken Sie nur an Verlage, die auf der Messe ein Jubiläum feiern wollten, wie etwa der Lukas Verlag, da geht jetzt viel Potenzial verloren. Für uns ist aber der ideelle Schaden viel größer: Zahlreiche bereits vereinbarte Gespräche, Treffen, Rundgänge und Interviews werden nun so nicht mehr stattfinden können, der berühmte „Beifang", jemanden zufällig auf dem Gang zu treffen und ihm ein Buch zustecken zu können. Dann Kooperationen, Verabredungen, die spontan getroffen werden: All das fällt weg und kann auch nicht so einfach durch E-Mails und Telefonate ersetzt werden, da eben der persönliche Austausch fehlt, für den die Messe nach wie vor der ideale Ort ist.
Trifft das auch die Autoren des Verlags?
Natürlich! Wir hatten mit unserer Debütantin Alexandra Riedel und ihrem Roman „Sonne, Mond, Zinn" fünf bis sechs Lesungen geplant, beispielsweise im Forum der Unabhängigen und auf dem Blauen Sofa. Eine Lesung in einem solchen Format, mit einer so großen Zuschauerzahl, das ist schon etwas Besonderes. Für jemanden, der gerade sein erstes Buch veröffentlicht, ist es immens wichtig, auf der Buchmesse sichtbar zu werden und in den Betrieb hineinzufinden. Das ist kaum zu ersetzen und tut mir sehr leid für sie. Und stellen Sie sich vor, eine Autorin ist auch noch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert so wie bei uns Anke Stelling mit „Schäfchen im Trockenen" letztes Jahr, die ihn dann auch gewonnen hat: Das ist ein Publikumseffekt, der nun – wie auch immer die Preisverleihung dieses Jahr durchgeführt werden wird – völlig wegfällt.
Welche Bedeutung hat die Leipziger Buchmesse generell für kleinere Verlage wie den Verbrecher Verlag?
Wir leben in einer Zeit, in der das Buch ohnehin schon einer großen Marginalisierung unterworfen ist und selbst in den Feuilletons der Tageszeitungen um seinen Platz kämpfen muss. Zur Buchmesse konnte man sich immer sicher sein: Zumindest zu dieser Zeit ist das Buch einmal Thema in der Tagesschau! Das ist unschätzbar wichtig für die Sichtbarkeit von Literatur in der Öffentlichkeit. Zusammen mit anderen unabhängigen Verlagen bilden wir darüber hinaus auf der Leipziger Buchmesse jedes Jahr die Leseinsel für unabhängige Verlage, und es wird der Preis der Kurt-Wolff-Stiftung verliehen. Da haben Sie als kleiner Verlag Publikum wie sonst das ganze Jahr nicht. Und dann kommen auch noch die Buchverkäufe dazu, die auch kein unwesentlicher Posten sind. Das macht in der Summe die Situation für Verlage nicht leichter.
Einige Veranstaltungen sollen nun doch durchgeführt werden, es gibt ein kleines Lesungsprogramm in der Stadt – werden Sie auch ohne Messe nach Leipzig fahren?
Ich freue mich, dass es jetzt zahlreiche Initiativen gibt, die sich für das Buch einsetzen und Veranstaltungen auf die Beine stellen, wie etwa die alternative Buchmesse des „Katapult"-Magazins in Greifswald. Wir gönnen uns aber mit dem ganzen Verlagsteam stattdessen eine kleine Auszeit an der Ostsee, zum In-sich-gehen und Ideensammeln. Wir nennen es scherzhaft unsere „Teambuilding-Maßnahme". Denn auch das hat die Buchmesse noch jedes Jahr erreicht: Uns als Team noch fester zusammenzuschweißen.