Das Treffen von David Ben-Gurion und Konrad Adenauer am 14. März 1960 in New York war der Beginn der Annäherung zwischen Deutschland und Israel. Vor dem Hintergrund des Holocaust schaute die ganze Welt hin – nicht alle waren begeistert davon.
Zweimal nur sind sie sich persönlich begegnet, der Staatsgründer Israels, David Ben-Gurion, und der Gründungskanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer. Doch diese Begegnungen sorgten für großes internationales Aufsehen, weil sie als vorsichtige, aber wichtige Schritte der Annäherung zwischen Deutschland und Israel nach den schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten galten. Vor 60 Jahren, am 14. März 1960, trafen sich die beiden Staatsmänner zum ersten Mal: auf protokollarisch neutralem Boden im „Waldorf Astoria" in New York.
Nach zweistündigem Gespräch in freundlicher und offener Atmosphäre stellten sie sich den Journalisten. Ein Bild ging um die Welt und machte Geschichte, kommentiert der Historiker Rainer A. Blasius: „Ein Vertreter des Volkes der Opfer und ein Vertreter des Volkes der Täter gemeinsam wie alte Freunde an einem kleinen Couchtisch sitzend, freundlich lächelnd, freundschaftliche Gesten austauschend und einander die Hände schüttelnd."
Es war eines der kleinen Wunder in den deutsch-israelischen Beziehungen, dass sich der katholische Konservative Adenauer und der sozialistische jüdische Skeptiker Ben-Gurion auf Anhieb so gut verstanden. Beide hatten ihre Regierungsgeschäfte mit einer tonnenschweren Hypothek übernommen: Adenauer, den die Hitleranhänger einst als „Blutjuden" verhöhnt hatten, begann als Kanzler vor dem Hintergrund des millionenfachen Mordes an den Juden, der den deutschen Namen geschändet und die Verachtung der Welt auf das deutsche Volk gezogen hatte.
Ben-Gurion proklamierte am 14. Mai 1948 die Gründung des Staates Israel als „die moralische und historische Antwort auf den Versuch, das jüdische Volk von der Erde zu tilgen", sagte Staatspräsident Shimon Peres am 26. Januar 2010 im Bundestag. Nur wenige Stunden später musste er im Unabhängigkeitskrieg den Angriff von sieben arabischen Heeren abwehren, die den kaum entstandenen Staat Israel wieder zerstören wollten. Ben-Gurions Hauptsorge galt fortan der Sicherung des Existenzrechts Israels. Adenauers oberstes Ziel war die Wiedergewinnung des Vertrauens der Welt.
Zwei Realpolitiker und Visionäre
Als Ben-Gurion und Adenauer später Regierungschefs geworden waren, handelten beide unter schwierigen äußeren Umständen als Realpolitiker und Visionäre, als sie gegen manche Widerstände in den eigenen Ländern so kurz nach den Holocaust-Verbrechen daran gingen, schrittweise Beziehungen zwischen Israel und Deutschland aufzubauen. Ben-Gurion hatte schon früh darauf gesetzt, dass aus der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges ein neues, ein anderes Deutschland entstehe. Diese Überzeugung traf bei vielen seiner Landleute auf wenig Verständnis.
Adenauer seinerseits hatte das „neue Deutschland" – nach vorheriger Absprache mit dem Bundespräsidenten und allen Fraktionen – am 27. September 1951 im Bundestag zur „moralischen und materiellen Wiedergutmachung" gegenüber Israel verpflichtet, „um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern". Israels Staatspräsident Peres erinnerte am 27. Januar 2010 anlässlich des Gedenktags für die Opfer der Shoa (des nationalsozialistischen Völkermords, Anm. d. Red.) im Bundestag an jene Rede Adenauers und sein Versprechen, dem Nahost-Staat beim Aufbau unter die Arme zu greifen.
Am 6. Dezember 1951 erklärte sich die Bundesregierung bereit, Verhandlungen über Wiedergutmachungsleistungen aufzunehmen. Das Kabinett Ben-Gurion in Jerusalem willigte ein. Das löste eine weltweite jüdische Protestwelle aus. Holocaust-Überlebende mit eintätowierten KZ-Häftlingsnummern bewarfen das israelische Parlament mit Steinen. Schweren Herzens stimmten auch die Abgeordneten der Knesset der Kontaktaufnahme mit dem verfemten Deutschland zu. Das existentiell bedrohte Israel brauchte deutsche Zuwendungen, Unterstützung und Militärhilfe, um in feindlicher Umgebung bestehen und das Land zügig entwickeln zu können. Die Verhandlungen fanden vom 20. März bis zum 23. August 1952 in Wassenaar statt, einem kleinen niederländischen Ort bei Den Haag, wo sich die deutschen und jüdischen Delegationsteilnehmer vor Anschlägen rechtsradikaler jüdischer Verbände sicher fühlten.
Das Wiedergutmachungsabkommen selbst wurde am 10. September 1952 von Bundeskanzler Adenauer und Israels Außenminister Mosche Scharet im Rathaus von Luxemburg unterzeichnet. Die polizeilichen Sicherheitsvorkehrungen waren streng, die Atmosphäre betont kühl, die üblichen Begrüßungsansprachen unterblieben, kein öffentliches Händeschütteln. Das Abkommen sah als Wiedergutmachung für die durch das NS-Regime an Juden begangenen Verbrechen Leistungen – zumeist Warenlieferungen – in Höhe von drei Milliarden Mark (etwa 1,5 Milliarden Euro) in einem Zeitraum von zwölf bis 14 Jahren vor. Die „Claims Conference" erhielt 450 Millionen Mark (230 Millionen Euro) zur Unterstützung verfolgter Juden, die außerhalb Israels in Not lebten. Am 18. März 1953 verabschiedete der Deutsche Bundestag das denkwürdige Abkommen. Nach einer Schätzung des Bundesfinanzministeriums wurden bis 1964 Leistungen in Höhe von etwa zehn Milliarden Mark (5,1 Milliarden Euro) erbracht.
Werner Abelshauser beziffert in seiner Studie „Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945" die offizielle Gesamtsumme der Entschädigungszahlungen auf 103 Milliarden Mark (52,7 Milliarden Euro). Adenauer rechtfertigt die Zahlungen in seinen „Erinnerungen" als eine „zwingende moralische Verpflichtung": „Wir wollten ein anderes Deutschland als das Deutschland Hitlers. Wir mussten die Probe bestehen, und zwar nicht nur mit schönen Worten, sondern auch mit materiellen Opfern."
Tief bewegt von der Herzlichkeit
Im Vorfeld des Eichmann-Prozesses, der am 11. März 1961 in Jerusalem begann, unterstrich Kanzler Adenauer in einer Fernseherklärung den Wunsch, dass in dem Verfahren die volle Wahrheit über die Gräueltaten der Nationalsozialisten ans Licht komme und Gerechtigkeit geübt werde. Der frühere SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann hatte als Verantwortlicher für die „Endlösung der Judenfrage" entscheidend zur fabrikmäßigen Ermordung von Millionen im deutschen Machtbereich lebenden Juden beigetragen. Der spektakuläre Prozess endete mit dem Todesurteil, das am 31. Mai 1962 vollzogen wurde.
Da sich die Bundesrepublik lange vor einer Anerkennung der DDR durch die arabischen Staaten gefürchtet hatte, kam es erst im März 1965 – nach dem Empfang des DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht im mit Israel verfeindeten Ägypten – zur Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Jerusalem. Erster deutscher Botschafter Bonns in Tel Aviv war von 1965 bis 1968 Rolf Friedemann Pauls. Als Berufsoffizier hatte er im Krieg den linken Arm verloren und war nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 nur knapp der Verhaftung entgangen.
Am 2. Mai 1966, wenige Monate nach seinem 90. Geburtstag, betrat Konrad Adenauer, seit drei Jahren nicht mehr im Amt, erstmals israelischen Boden. Vor dem „King David Hotel" in Jerusalem sah er sich mit schimpfenden Demonstranten und unfreundlichen Flugblättern konfrontiert. Der Altkanzler ertrug es mit Gelassenheit. Tief bewegt aber war er von der Herzlichkeit seines Besuchs bei David Ben-Gurion, der zurückgezogen im Kibbuz Sde Boker in der Wüste Negev lebte: „Das ist einer der ernstesten und schönsten Augenblicke meines Lebens." Es war die letzte Begegnung der beiden Patriarchen. Adenauer starb im April 1967. Beim Trauerakt im Bundestag erwies auch der 81-jährige Ben-Gurion dem Gründungskanzler der Bundesrepublik die letzte Ehre. Eine eindrucksvolle Geste, die Adenauers Verdienste um die Wiederherstellung des deutschen Ansehens in der Welt unterstrich.
Die Bundesrepublik ist heute nach China und den USA der weltweit drittwichtigste Partner Israels in Wirtschaft und Handel. Reger Austausch und vielfältige Partnerschaften zwischen Städten, Kultur- und Bildungseinrichtungen beleben die deutsch-israelischen Beziehungen. Deutschland nimmt die aus der Vergangenheit erwachsene Verpflichtung ernst. Auch und gerade bei der Bekämpfung des derzeit wieder aufflammenden Antisemitismus.
Die Verantwortung für die Shoa sei „Teil der deutschen Identität", hatte Bundespräsident Horst Köhler 2005 vor der Knesset in Jerusalem erklärt. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte 2006 vor dem American Jewish Committee das Eintreten für das Existenzrecht Israels eine „unverrückbare Konstante deutscher Außenpolitik". Daran hat sich nichts geändert.