In Deutschland weiten Medizintechnik-Hersteller ihre Produktion aus, Matratzenhersteller stellen auf Atemmasken um, windige Profiteure nutzen die Angst der Menschen schamlos aus. Investoren flüchten vor dem Risiko in Gold. Das Coronavirus und seine Konsequenzen beherrschen mittlerweile den Unternehmensalltag.
Stillgelegte Werkshallen, unterbrochene Lieferketten, abgesagte Veranstaltungen, stornierte Urlaubs- und Geschäftsreisen – das Coronavirus sorgt für massive Einbußen. Während manche darüber klagen, arbeiten Unternehmen unter anderem in Deutschland daran, genügend Ressourcen zur Eindämmung der Pandemie bereitzustellen. So wie der Lübecker Konzern Dräger. Der Medizin- und Sicherheitstechnik-Hersteller erwirtschaftet Milliardenumsätze unter anderem mit Atemmasken und Schutzausrüstung, Beatmungsgeräten, Atemschläuchen, Filtern, Beatmungsmasken und weiterem Zubehör für die Sauerstofftherapie. „Wir sehen eine weltweit stark erhöhte Nachfrage nach Atemschutzmasken. Unsere Produktion in Schweden und Südafrika ist voll ausgelastet und bis in die zweite Jahreshälfte ausverkauft", so Melanie Kamann, Pressesprecherin von Dräger. Zu den Kunden gehören Krankenhäuser, aber auch die deutschen Gesundheitsbehörden. Diese haben bei Dräger nun 10.000 Beatmungsgeräte und mehr Schutzausrüstung geordert, um ihre Bestände aufzustocken. Deren Nachfrage habe sich weltweit erhöht, schwerpunktmäßig bei Einwegprodukten. „Die wöchentliche Produktion bestimmter Beatmungsgeräte haben wir zuletzt deutlich gesteigert." Dräger gehört zu den kleineren mittelständischen Unternehmen, die diese derzeit stark nachgefragten Produkte herstellen. Auf die erhöhte Nachfrage sei die Produktion vorbereitet, so Kamann. Allerdings gebe es nicht genügend Testräume für Beatmungsgeräte. Man werde die Produktion entsprechend ausweiten. „Zudem können wir Engpässe aufgrund der globalen Lieferketten und reduzierten Transportkapazitäten nicht völlig ausschließen." Preiserhöhungen wegen der erhöhten Nachfrage schließe der Konzern aus – es werden aber auch keine Rabatte gewährt.
Einen anderen Geschäftszweig bedient die Firma TIB Molbiol in Berlin-Tempelhof: Sie stellt Test-Kits zur sicheren Bestimmung von Infektionen her und liefert sie an 60 Länder aus. Mit 40 Mitarbeitern produzieren sie derzeit unter Hochdruck, Überstunden sind „normal". Seit Januar seien mehr als drei Millionen Test-Kits verkauft worden, sagt Firmeninhaber Olfert Landt. Er ist Biochemiker und hat mit einem Partner zusammen vor 30 Jahren die Firma gegründet. Molbiol liefert nur an offizielle Stellen wie Labore, Behörden, Ministerien oder Botschaften. Da die Firma bereits Tests für andere Epidemien wie SARS entwickelt hat, hat sie einen guten Kontakt zu offiziellen Stellen. Ein Set besteht aus einem Plastikbeutel mit einer etwa zwei Zentimeter langen Plastikampulle, die einige Körnchen enthält, und einem Beipackzettel. Das Set wiegt nur 14 Gramm, ist also klein und leicht genug, um es in einem Standardbrief zu verschicken. Rund 2,50 Euro koste einer seiner Tests, erklärt der Firmeninhaber. Mit Arbeitskosten und dergleichen dürften die Labore eigentlich nicht mehr als zehn Euro verlangen, rechnet er vor. Dass ein Test um die 300 Euro kosten solle, wie vielfach gemeldet, könne er sich nur mit einer „riesigen Geldverschwendung" erklären. Doch die Angaben hierzu schwanken teils erheblich.
Der Matratzenhersteller Breckle aus dem vogtländischen Weida in Thüringen reagiert mit Erfindungsgeist: Er hat einen Teil seiner Produktion komplett auf Atemschutzmasken umgestellt. Um die Masken nicht nähen zu müssen, wurde eigens eine Ultraschall-Maschine angeschafft, die die Masken zusammenschweißt.
Gestern noch Matratzen, heute Atemschutzmasken
Andere ziehen aus der Coronakrise ganz unverfroren persönlichen Gewinn. Wie ein 24-jähriger Kleinunternehmer aus der Nähe von Heidelberg. Er soll beim Geschäft mit der Angst den Vogel abgeschossen haben: Timo Klingler, der einen Onlineshop mit Merchandise-, Faschingsartikeln und Spielzeug betreibt. In einem Interview mit „Bild" erklärte er, als die Lungenkrankheit sich in China ausbreitete, habe er schon im Januar in Polen 600.000 Atemschutzmasken gekauft – und später noch mehr in Brasilien. Eine fünfstellige Summe habe er ausgegeben für Mund- und Atemschutzmasken verschiedener Güteklassen. Größtenteils habe er sie für weniger als 60 Cent das Stück gekauft und für mehr als 20 Euro verkauft. Über die Höhe des Gewinns schweigt er sich aus, Presseanfragen werden nicht beantwortet. Derzeit stehen bei Klingler auf der Internetplattform Atemschutzmasken für 13,99 Euro das Stück zum Verkauf. Ob diese etwas bringen, zweifeln Mediziner an: Sie hindern Infizierte, andere anzustecken. Aber ohne einen speziellen Filter kann eine Maske Gesunde im Umgang mit Kranken nicht schützen.
Gesund wirkt derzeit auch der weltweite Finanzmarkt angesichts der Auswirkungen des Virus nicht. So leiden unter anderem Technologie-Aktien unter dem Umsatzeinbruch durch das Coronavirus, insbesondere, wenn die Zulieferer in Asien produzieren, aber mit einer Ausnahme. Dank der Corona-Angst verkauft sich Software für mobiles Arbeiten und Konferenztechnik besser als je zuvor. Die Teamviewer AG aus Göppingen verkauft eine Software, mit der sich Computer fernwarten und -steuern lassen. Das Programm ermöglicht auch Videokonferenzen und Dateitransfers – ein äußerst nützliches Tool also für die Organisation von Homeoffice in Unternehmen. Teamviewer ist nach Herstellerangaben bereits auf zwei Milliarden Geräten installiert. Die Zahl der Verbindungen in China habe sich seit Ausbruch der Krise verdreifacht. „Inoffiziell" wird das Unternehmen nun beide Augen zudrücken, wenn sich deutsche Unternehmen die freie Version für ihre Mitarbeiter im Homeoffice installieren, berichtet das Tech-Magazin „T3N".
Haltbare statt frische Lebensmittel
Wenn sich Geschäftsleute trotz allem treffen müssen, könnte sich wohl bald das traditionelle asiatische Begrüßungsritual – die gemessene Verbeugung – durchsetzen, daneben der „Ellbogengruß" oder die „Bro-Fist", der Zusammenstoß zweier Fäuste. In Italien rät der wissenschaftliche Beraterstab der Regierung den Bürgern im Land auf das traditionelle Küsschen zur Begrüßung, auf Umarmungen und Händeschütteln zu verzichten. Stattdessen solle man einen Meter Abstand halten. Im Internet kursieren die ersten Videos, in denen sich Spaßvögel beim „Wuhan-Shake" zur Begrüßung die Ellenbogen aneinander reiben oder sich die Hände in der Luft reichen – ohne Kontakt.
Auch die Verbraucher setzen neue Akzente im Markt: Haltbare statt frische Lebensmittel, Konserven, Fertigsuppen, Trockenfrüchte, Tiefkühlartikel werden stärker als sonst gekauft. Lieferdienste wie Amazonfresh, Getnow, Bringmeister werden profitieren, wenn die Behörden raten, lieber zu Hause zu bleiben – der deutsche Dienst Deliveroo Hero hat sich durch den Kauf des südkoreanischen Marktführers Baemin besonders gut aufgestellt. Aber auch andere firmeneigene Dienste werden ausgebaut, demnächst will sogar Aldi dabei sein.
Und es gibt weitere Gewinner – zum Beispiel den Goldpreis. Der ist in den vergangenen Tagen, nach einem ersten Einbruch, wieder deutlich über 1.600 Dollar pro Feinunze, also 31,1 Gramm, gestiegen. Wirklich dramatisch war dieser Einbruch jedoch nicht angesichts einer Steigerung um 28 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten – kein Wunder in Zeiten hoher Risiken und niedriger Zinsen. Dies treibt selbst Großinvestoren in den Goldmarkt, zum Beispiel den weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock, der seine Anteile am weltweit größten Goldfonds SPDR um 318 Prozent aufstockte. Zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des Goldhandels werden weltweit mehr als 2.600 Tonnen des edlen Metalls gehandelt.
Lieferdienste profitieren, weil keiner mehr ausgeht
Thorsten Polleit, Chefvolkswirt Degussa Goldhandel: „Die erhöhte Nachfrage nach Gold und der Goldpreisanstieg sind sicherlich vor allem durch die hohe Unsicherheit zu erklären, die die Investoren vermehrt Gold als sicheren Hafen nachfragen lässt. Vor allem die Sorge um die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus verunsichern zusehends die Finanzmärkte. Aber auch die Aussicht, dass die großen Zentralbanken der Welt die Zinsen noch weiter absenken und noch mehr Geld in Umlauf bringen werden, lässt die Nachfrage nach Gold zu Versicherungszwecken in die Höhe schnellen."
Dagegen verliert der Aktienmarkt. In den USA erwarten die Börsianer spürbare Auswirkungen des Virus, nachdem die Infektionsrate dort gestiegen ist. Der „sichere Hafen" Gold erscheint für manchen Anleger mit einem Anlagehorizont von etwa fünf Jahren, so Polleit, deshalb verlockend. Auch Silber komme für solche Anleger infrage, da auch hier Preissteigerungen zu erwarten seien, doch sei der Kurs dieses Edelmetalls schwankungsanfälliger, so der Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel.
Aktien hängen nun mal an Wohl und Wehe von Unternehmen, deren Gewinne durch Produktionsausfälle, dadurch unterbrochene Lieferketten und letztlich kranke Mitarbeiter und Epidemiepläne gefährdet sind. Um die erwarteten wirtschaftlichen Turbulenzen etwas abzumildern, senkte die US-amerikanische Fed ihren Leitzins bereits vorsorglich auf fast null. Die Europäische Zentralbank hat hier keinen Spielraum mehr – sie weitet stattdessen ihr umstrittenes Anleihe-Kaufprogramm um 120 Milliarden Euro aus.