Kaum zu glauben, dass das fast 40 Prozent unseres Planeten ausmachende Mineral Bridgmanit erst vor wenigen Jahren nachgewiesen werden konnte. Aber nicht etwa im unerreichbar tiefen unteren Erdmantel, sondern in einem Meteoriten.
Sollte man dem Bridgmanit ernsthaft zu Leibe rücken, müsste man mindestens 660 Kilometer tief Richtung Erdzentrum vordringen. Denn ab diesem Bereich beginnt der untere Erdmantel, der weiter bis hin zu einer Tiefe von etwa 2.900 Kilometern reicht. Bei Temperaturen von 1.800 Grad und einem Druck, der 240.000-mal höher ist als auf der Erdoberfläche, kommt es genau hier zur Bildung eines Magnesium-Eisen-Silikats mit der chemischen Formel MgSiO3 das zur Gruppe der Perowskiten zählt und von dem bislang kaum jemand außerhalb eines kleinen Wissenschaftlerkreises gehört haben dürfte. Kein Wunder, hatte es doch bis 2014 noch nicht einmal einen Namen, obwohl es mit seiner würfelförmigen und stabilen Kristallstruktur, zu der die Atome durch den gewaltigen Druck hinein gezwängt werden, nicht weniger als 38 Prozent des Volumens unseres Planeten ausmacht.
Leider gibt es das unlösbare Problem, dass niemand Proben davon gewinnen kann, weil man mit der tiefsten Bohrung bislang lediglich zwölf Kilometer in die Erdkruste vordringen konnte. Die Forschung konnte anhand seismischer Messungen nur spekulieren, dass das im Erdmantel vorherrschende Magnesium-Eisen-Silikat (Mg, Fe)SiO3 ab einer Tiefe von etwa 660 Kilometern in eine noch kompaktere Mineralform übergeht. Im Labor hatte man deren Struktur bereits mittels einer sogenannten Diamantenstempelzelle, einer Art Hochdruckpresse, bei der die Mineral-Bestandteile mittels Laserhitze zwischen zwei Diamanten unter gigantischem künstlichem Druck von bis zu 110 Gigapascal zusammengepresst werden, herstellen können. Doch da die Regeln der Internationalen Mineralogischen Gesellschaft vorschreiben, dass ein Mineral erst dann einen wissenschaftlichen Namen bekommen kann, wenn es aus einer in der Natur gefundenen Probe entstammt, konnte lange nur von einem Silikat-Perowskit gesprochen werden. Von dem die Forscher auch nur annehmen konnten, dass das künstlich hergestellte Mineral tatsächlich dem im unteren Erdmantel entsprechen würde.
Da der untere Erdmantel auf absehbare Zeit unerreichbar bleiben dürfte und selbst Vulkane bislang kein Silikat-Perowskit ausgespuckt haben, vertraute die Wissenschaft auf außerirdische Hilfe. Sprich: Man untersuchte zwei Meteoriten, in denen Spuren des Minerals tatsächlich nachgewiesen werden konnten. Allerdings ging bei den Analysen zweimal etwas schief. Das Material, beispielsweise aus einer 1879 in Westaustralien aufgeprallten kosmischen Bombe, wurde so sehr beschädigt, dass keine einwandfreie Auswertung möglich war. Das Mineral in den Meteoriten konnte nur dadurch entstehen, weil beim Aufschlag auf der Erde kurzzeitig ein 250.000-facher Luftdruck erzeugt worden war und damit für Nanosekunden Bedingungen wie im unteren Erdmantel herrschten.
Der Durchbruch in der Erkundung des Minerals sollte einem Team um Prof. Oliver Tschauner von der University of Nevada durch Untersuchung des sogenannten Tenham-Meteoriten gelingen, Teil eines Meteoritenfalls, der 1879 nahe der australischen Tenham-Station niedergegangen war. Prof. Tschauner war Hauptautor der Studie, die Ende 2014 im Fachmagazin „Science" veröffentlicht wurde. Dank eines besonderen Verfahrens mit zwar energiereichen, aber das Material schonenden „synchrotonen Röntgenstrahlen" konnten die Wissenschaftler kleine Schmelzäderchen des Minerals in dem Meteoriten nachweisen. Die Röntgenstrahlen, so Prof. Tschauner, „beschädigen das Bridgmanit nicht, weil sie kaum absorbiert werden."
Weitere Forschungen sind noch nötig
Das Team konnte die genaue würfelförmige Gitterstruktur und die chemische Zusammensetzung des Minerals erstmals genau beschreiben. Auch die Abstände der einzelnen Atome im Gitter konnten exakt vermessen werden. Laut den Forschern stimmten ihre Ergebnisse bezüglich der Mineral-Struktur weitgehend mit den theoretischen Annahmen und den im Labor erzeugten künstlichen Varianten des Minerals überein. Allerdings konnten sie einen höheren Anteil von Natrium und Eisen als erwartet nachweisen. Aus ihren Analysen zogen sie den Schluss, dass sich die Mineralform erst ab Drücken von 23 bis 25 Gigapascal und Temperaturen von 2.000 bis 2.400 Kelvin bilden kann (was umgerechnet zwischen 1.730 und 2.130 Grad Celsius entspricht). Als offizielle Entdecker hatten Prof. Tschauner und Co das Recht, dem Mineral einen Namen zu geben. Sie tauften es auf Bridgmanit, womit sie dem US-amerikanischen Pionier auf dem Gebiet der Hochdruckphysik und dem Nobelpreisträger des Jahres 1946 Prof. Percy Williams Bridgman eine posthume Ehrung erteilten.
Die Eigenschaften von Bridgmanit besser verstehen zu wollen hat allerdings nicht nur akademischen Wert für die Geologen dieser Welt. Bislang ist noch wenig über die Dynamik im Erdinneren bekannt, und die Eigenschaften des Minerals scheinen ganz entscheidend dazu beizutragen, wie sich Erdbebenwellen ausbreiten. „Wenn wir die Dynamik des Erdinneren verstehen wollen, um Aufschlüsse über den Ursprung von Erdbeben und Vulkanismus zu bekommen", so Dr. Hanns-Peter Liermann vom Forschungszentrum Deutsches Elektronen-Synchrotron in Hamburg, „dann müssen wir die physikalischen Eigenschaften von Bridgmanit erforschen". Kein Wunder, dass ein internationales Team rund um Prof. Luca Bindi von der Universität Florenz Anfang Januar bereits neue Bridgmanit-Studienergebnisse im Fachjournal „Science Advances" publiziert hat. Die Forscher hatten dafür einen Meteoriten untersucht, der 1986 in der chinesischen Provinz Hubei niedergegangen war. Sie konnten in der Kristallstruktur eine chemische Reaktion, die sogenannte Disproportionierung, nachweisen, bei der sich die Elektronen zwischen den Atomen so umverteilen können, dass metallisches Eisen entstehen kann. Eine hochinteressante Entdeckung, weil Eisen eine stabilisierende Wirkung auf die Kristallstruktur von Bridgmanit hat, wie aus früheren Forschungen schon vermutet werden konnte.
Hierzulande wird derzeit beispielsweise am Bayerischen Geoinstitut der Universität Bayreuth unter Hochdruck in Sachen Bridgmanit geforscht. Der mit dem höchsten europäischen Forschungspreis ERC Advanced Grant ausgezeichnete Prof. Tomo Katsura hat die Leitung inne. Dieser vermutet, dass sich das Mineral verändert, sobald es dem im unteren Erdmantel steigenden Druck ausgesetzt wird. Während das Kristallgitter in einer Tiefe von 660 Kilometern noch zahlreiche Lücken aufweise, wodurch das Mineral hier noch eine höhere Durchlässigkeit und Beweglichkeit besitze, würden die Lücken danach bis in den Bereich von 1.000 Kilometern seltener. Das Bridgmanit wird undurchlässig und der Materialkreislauf Richtung Erdinnerem gerät ins Stocken. Diese Hypothesen möchte Prof. Katsura mithilfe seines millionenschweren Preisgeldes wissenschaftlich erhärten.