Die „Bristol Bar" hat eine lange Historie: Seit 1952 werden in der Bar des ehemaligen „Kempi" und heutigen „Bristol Hotel" am Ku’damm die Drinks geschüttelt und gerührt. Ganz gleich, ob Star oder Stammgast – Barchef Andreas Jochem sorgt dafür, dass sich seine Gäste bei Kaltgetränk und Nüsschen wohlfühlen.
Träte Sophia Loren in die „Bristol Bar" und setzte sich zu Marcello Mastroianni an den Tresen, würde uns das nicht wundern. Es mag am gedämpften Licht der Muranoglas-Leuchter, dem Tresen aus Walnussholz und an der Live-Klaviermusik von Carsten Lindner liegen, dass die 50er-Jahre auf einmal ganz, ganz nah sind. Vielleicht liegt es aber auch am Wissen um die an Stars nicht arme Geschichte des 1952 eröffneten Hotels am Kurfürstendamm. Große Porträts von Schauspielerinnen wie Claudia Cardinale und Romy Schneider hängen an den Wänden und verstärken das „Berlinale der Frühzeit"-Gefühl. Das damalige „Kempinski" war einige Jahre das einzige Luxushotel der geteilten Stadt und läuft heute noch bei so manchem alten Westberliner unter „Kempi" und nicht unter „Bristol Hotel", wie es seit 2017 heißt.
Durch die überzeugende Wirkung des Italian Spritz, den uns Barchef Andreas Jochem zur Begrüßung kredenzt, mag dieser Eindruck ebenfalls entstehen. Wären wir nicht zum „dienstlichen Trinken", also zum Probieren durch mindestens vier, fünf Drinks, angetreten, hätte für die begleitende Freundin und mich der Bar-Abend gleich mit diesem prizzelnden Leichtgetränk weitergehen können. Es weht uns ein wenig rauchig-zitrusartig, mit frischem Rosmarin und Kumquat an. Wir starten ins heitere Spirituosen-Raten: „Was meint ihr, wo der Geschmack herkommt?", will Jochem wissen. Wir pusseln in Richtung Mandarine oder Rosmarin weiter, sind aber nicht recht erfolgreich. Die türkisblaue Flasche schließlich, die er vor uns auf den Tresen stellt, lüftet das Geheimnis. Der Likör Rosolio di Bergamotto mit seiner duftigen Earl-Grey-Note ist der Geschmacksträger. Er hat nur 20 Prozent Alkohol und wird im Ein-Drittel-zu-zwei-Drittel-Verhältnis mit Prosecco „gespritzt". Ich weise die Freundin, mit der ich sommers häufig Aperol Spritz trinke, an, künftig diesen „Italicus" zu kaufen und ihre Rezeptur zu ändern. Sie erklärt sich einverstanden. Schon geht das traute Gespräch der Begleiterin mit dem Barchef über die beiderseitige Herkunft aus dem Sauerland weiter.
Andreas Jochem und sein langjähriger Co-Bartender Marco Breithaupt heißen uns so locker und herzlich willkommen, als wären wir die Stars des Abends. Sie lassen uns gar nicht erst in Ehrfurcht vor dunklem Gehölz, Hotel-Atmosphäre und Star-Überaufgebot aus alten Zeiten verfallen. 1992 kam Jochem nach Berlin und ziemlich zeitgleich ins damalige „Kempinski". Er lernte dort bei Siggi Zeitträger, seinerzeit „die Institution unter den Barchefs in Berlin". Seither ist Jochem dort und sieht selbst seit zehn Jahren mit dem Chef-Barlöffel in der Hand zu, dass es seinen Gästen bei Mai Tai und Mojito, aber auch bei einem schön gezapften Bier gut geht.
Likör mit duftiger Earl-Grey-Note als Geschmacksträger
Drei Tumbler mit alkoholischem Rotgetränk und Minzbüschelchen auf einem Hügel von gestoßenem Eis wandern für die nächste Runde vom Brett zu uns. „Aber nur probieren, wir sind erst beim zweiten Drink!" Aye-Aye, Käptn! Die Warnung ist nicht ganz unberechtigt, denn der Himbeer-Mojito täuscht mit Frucht und einem Hauch von Popcorn darüber hinweg, dass auch er nicht von schlechten karibischen Rum-Eltern ist.
Wie gerufen taucht Food-and-Beverage-Managerin Marina Exner auf: „Das ist auch der Lieblingsdrink von meiner Chefin." Mit dem Beeren-Longdrink setzt sich unsere kleine Heiterkeitsparade fort. Wir modeln und prosten einander für den Fotografen zu. Lichten uns gegenseitig für Selfies in den Cocktailsesseln unter den Bildern der Stars ab, die dort keineswegs seit den 50er-Jahren hängen. Sie sind vielmehr zeitgenössische Werke des Künstlers Devin Miles, die für ein Jahr ihren Aufenthaltsort in der „Bristol Bar" gefunden haben.
In der nächsten Tasting-Runde wird’s ernst. Wir steigen um auf einen „Männerdrink". Kein Geringerer als der Prince of Wales war Namenspate des cognacbasierten Hartgetränks. „Das ist mein absoluter Lieblingscocktail", sagt Jochem. Serviert wird der Drink, der ebenfalls Cointreau, Angostura und Champagner beinhaltet, in einem originalen silbernen Bierbecher aus „Kempinski"-Zeiten. Hui, für mich ist das mit den vielen kumulierten Prozenten und der vollen Bitter-Breitseite nichts. Der Prince of Wales ist einer, der die Bargänger splittet, weiß Jochem. Man mag ihn oder mag ihn nicht. Einer mochte ihn sogar so gern, dass der Bartender ihn diskret aber nachdrücklich darauf hinweisen musste, den Becher doch lieber wieder aus der Jackettasche hervorzuziehen. Solches Verhalten gehört aber keineswegs zu den täglichen Vorkommnissen.
Die Freundin steckt den Hardliner deutlich besser weg als ich. Ob die „Reling" an der geschwungenen Kante der hölzernen Bar-„Gondel" für solche Fälle, die an die Substanz gehen, angebracht wurde? Das Interieur in der „Bristol Bar" soll an Venedig und an die Stimmung beim Karneval in der Lagunenstadt erinnern. Die Einrichtung ist zwar nicht mehr von 1952, sondern von 1995, als die Bar umgestaltet und die schweren Clubmöbel im britischen Stil Cocktailtischen und Sesseln weichen mussten. Aber auch direkt am Tresen lässt sich’s bestens festsitzen: Die Barhocker sind gemütliche Hochstühle, die auch bei einem längeren Aufenthalt nicht plagen.
Die Kaltgetränke sind fair kalkuliert
Damit wir aufnahmefähig bleiben, ordert Andreas Jochem ein Club-Sandwich aus dem benachbarten „Reinhardt’s". Die Bar-Nüsschen verschiedenster Ausprägung sind zwar lecker und auch reichlich vorhanden, haben aber gegen den Prinzen im Silberbecher keine große Chance. Der Doppelstöcker unter den Toasts setzt dem Alkohol mit Salat, Bacon und Huhn sowie einer ordentlichen Begleitportion Pommes deutlich mehr entgegen. Schmeckt und ist eine gut nachgeschobene Grundlage. „Wir bleiben jetzt bei einem Alkohol, bei Whiskey, Rum oder Gin und mischen das nicht", sagt Jochem. Die Gäste auch vor sich selbst zu schützen, gehört mit zur dezenten Care-Arbeit. „Wir sind eine Genießerbar, keine Absturzbar." Das hätte der richtige Prince of Wales nicht distinguierter ausdrücken können.
Die Freundin probiert in der letzten Runde einen klassischen Mai Tai. Sie nippt am rumbasierten Tiki-Drink und fühlt sich hawaiianisch. Ich dagegen nehme einen „Cappuccino". Der mit einem Vanille-Wodka, Kahlua, Likör „43" und im Shaker angeschlagener Sahne versetzte Espresso von den „Flying Roasters" ist der süße, kühle Wachmacher aus einem „Kurland"-Tässchen. Woraus auch sonst? Die KPM-Manufaktur hat einen Laden im „Bristol Hotel" und einen nach ihr benannten Salon im Restaurant „Bristol Grill". Da gehört es sich einfach, den „Cappuccino" aus dem feinsten Porzellan der Stadt zu trinken. Ich kann nicht genau ausmachen, ob das Schlückchen noch zu den Drinks mit wenig Alkohol für zehn Euro oder schon zu den steileren Vertretern für 14 Euro zählt. Die Kaltgetränke zeigen sich fair kalkuliert – ein alkoholfreier Drink kostet 7,50 Euro und das Glas vom Taittinger-Champagner 13 Euro.
So bleibt in jeder Lebenslage sichergestellt, dass wirklich niemand diejenigen in der „Bristol Bar" sieht, die dort waren, aber nun schon lange fort sind. Hildegard Knef etwa, die in den 70er-Jahren zeitweise mit ihrer Familie in einer Suite residierte. Die Knef ließ sich gern in der Bar Champagner und Wodka servieren. Hellmuth Karasek dagegen bevorzugte einen „Borgmann 1772"-Kräuterschnaps. Wir nehmen vom nun aber wirklich letzten Getränk nur ein winziges Schlückchen und stellen überrascht fest, dass Literaturkritik und „süßer Hustensaft" mindestens in der „Bristol Bar" bestens zueinanderpassen.