Nach 36 Jahren hat Sir Bob Geldof mit den legendären Boomtown Rats („I Don’t Like Mondays") wieder ein Album aufgenommen. Bei der Präsentation in Berlin tritt der 68-jährige Ritter und Aktivist nicht nur mittels seines Outfits den Beweis an, dass es noch echte Punks gibt.
Sir Bob, 1979 verschickte Ihre damalige Plattenfirma Mercury 1.000 tote Ratten an Radio-DJs in den USA. Hat diese schräge PR-Aktion die Karriere der Boomtown Rats in Amerika beflügelt?
Nein, sie hat sie ruiniert, denn die Amis haben diese Punk-Sache überhaupt nicht kapiert. In den USA war zu der Zeit Disco-Musik angesagt. Oder aalglatte Rockbands wie Boston und REO Speedwagon. Und da bekam ein DJ solch eine Scheißratte auf den Schreibtisch gestellt! Das fanden alle widerlich. Unser Debütalbum bekam drüben noch hervorragende Kritiken, weil den Amis die Sex Pistols zu rau und The Clash zu politisch waren. Wir hingegen haben Geschichten erzählt mit griffigen Refrains. Der Promoter Mike Bone von Mercury Records hatte die Idee, uns als die neueste Punk-Sensation zu vermarkten. Großartig, dachten wir, und ließen ihn einfach machen. 30 Jahre vor Damian Hurst hat er 1.000 in Formaldehyd eingelegte Rattenpräparate verschickt. Leider ging die Aktion nach hinten los und alle sind ausgeflippt. Das war’s dann für uns.
Haben Sie schon eine zündende Idee, wie Sie das Comeback-Album der Boomtown Rats promoten könnten?
Wir haben einen zweistündigen Dokumentarfilm gedreht und Old-School-Drucksachen wie Poster hergestellt. Der Film heißt wie die Platte: „Citizens Of Boomtown". So was macht heute keiner mehr, weil sich alles im Netz abspielt.
Welche Beziehung haben Sie persönlich zu Ratten?
Keine. Der Name Boomtown Rats stammt ursprünglich von Woody Guthrie. Was er mit Musik gemacht hat, fand ich sehr inspirierend. Mit elf Jahren war er in einer Gang, die sich The Boomtown Rats nannte. Man hatte in seiner Stadt Öl gefunden. Dort streunten die Jugendlichen herum wie Ratten. Für mich ist Woody Guthrie John Steinbeck in Musik. Auch Dylan hatte einen großen Einfluss auf meine Generation. Diesen Namen gefunden zu haben, war sehr wichtig, weil unsere Band damit einen Zweck hatte. Unsere Musik sollte etwas bedeuten. Wir wollten die Welt mit Rock’n’Roll verändern. Mit Musik konnte man das, das hatten Leute wie John & Paul und Mick & Keith und Bob von Woody Guthrie gelernt. Ich war elf, als ich davon das erste Mal hörte.
Wie war die Gesellschaft in den 60ern?
Die Welt, in der ich aufwuchs, war scheiße. Ich habe irgendwann angefangen, den Rock’n’Roll als Plattform und als Sprache zu benutzen, um über die Dinge zu sprechen, die mich quälten. In der Absicht, damit etwas zu verändern.
Sie gründeten die Boomtown Rats 1975 in Irland, als der Punk explodierte. Fühlten Sie sich von Anfang an als Außenseiter?
Ja. Die Gesellschaft stempelte uns als Außenseiter ab, die lokalen Bands hassten uns, die Obrigkeiten ebenso. Aber wir wurden trotzdem immer populärer. Ich fing dann an, im Fernsehen nicht über Musik, sondern über die korrupte Kirche zu sprechen. Über die Killer im Norden und die Regierung. Da brach die Hölle aus. Aber es machte mir Spaß, eine kulturelle Revolution mit loszutreten. Elvis Presley und Little Richard wussten anfangs gar nicht, was sie da taten. Sie waren Avatare einer kulturellen Revolution. Auch Paul & John und Mick & Keith ahnten in ihrer Fuck-off-Unverschämtheit nichts von ihrer Symbolträchtigkeit. Aber die Sex Pistols, die Ramones, The Clash, die Talking Heads und die Boomtown Rats existierten später nur aus dem Grund, weil wir das System verändern wollten, das uns keine Zukunft versprach. Und es ist uns sogar gelungen.
„Citizens Of Boomtown" ist das erste neue Studioalbum der Boomtown Rats seit 36 Jahren. Wie schaffen Sie es, immer noch wie eine junge Band zu klingen?
Indem wir wiederentdeckt haben, wie mächtig der Krach klingt, den diese Gruppe von Individualisten imstande ist zu produzieren. Unser Sound ist sehr speziell. Wir sind ehrgeizige Musiker. Das war uns zuerst gar nicht bewusst, wir waren ja noch Kids und haben viel darüber gegrübelt, wie wir unser letztes Album noch toppen können. Heute glaube ich, dass der Antrieb dieser Band ein gemeinsames Charakteristikum ist, nämlich Wut. Deshalb können wir die alten und neuen Songs in den Zeitgeist überführen. Ich wollte eine Platte machen, die die konfuse Gegenwart reflektiert. Das Album ist voller Energie und Lebensfreude, aber es ist auch dunkel. Damit klingt es wie eine klassische Boomtown-Rats-Platte.
Der Rock’n’Roll hat die Gesellschaft weltweit verändert. Welche Kraft hat er heute noch?
Er hat heute nicht mehr die Kraft, etwas zu verändern. Nach dem Krieg sah eine typische amerikanische Werbung wie folgt aus: Der Vater mit Pfeife und Hut, neben ihm eine blonde weiße Ehefrau in einem neuen Cadillac. Dahinter ein Junge und ein Mädchen. Sie alle fuhren in die himmelblaue Zukunft Amerikas. Und dann tauchten plötzlich dieser 18-jährige weiße Lkw-Fahrer und dieser verrückte schwule schwarze Junge auf. Elvis Presley und Little Richard waren sich ihrer Anstößigkeit noch nicht bewusst. Ihr „A bop bapa loop a lap a loom bam boom" ist kein Englisch, es ist ein unartikulierter wütender Schrei, der um die Welt ging: „Ich bin jung, und das ist mir scheißegal!" – das haben alle verstanden. Daran habe ich als junger Mensch festgehalten, weil es nichts anderes gab, das mir irgendwelche Möglichkeiten bot. Es waren Zeiten, die alles verändert haben. Man konnte sich dem nicht entgegenstellen. Ich war dafür bereit. David Bowies Auftritt bei „Top Of The Pops" sahen 17 Millionen Kids. Als er mit dem Finger auf die Kamera zeigte, fühlte sich eine ganze Generation angesprochen. Das funktioniert heute nicht mehr. Das Internet hat die Gesellschaft in Bruchstücke zerlegt. Wir leben in einer Welt der Solo-Anliegen.
Warum machen Sie trotz allem weiterhin Rockmusik?
Weil die Musik der einzige Weg ist, mir selbst zu erklären, was mit mir passiert. Ich bin auf der einen Seite ein Glückskind, andererseits war mein bisheriges Leben sehr extrem und anstrengend –
sowohl privat als auch beruflich. Manchmal verstehe ich überhaupt nicht, warum ausgerechnet mir all diese Sachen passieren. Songschreiben ist in meinem Fall ein eher unbewusster Vorgang. Ich habe zum Beispiel noch nie ein Stück über „Live Aid" gemacht. Das interessiert mich nicht. Erst wenn ich einen Song fertig habe, verstehe ich, wo er hergekommen ist. Auf diese Weise kann ich traurige Erfahrungen verarbeiten. Wenn mir etwas Schreckliches passiert, dann komme ich mir vor wie eine Qualle in einem Ozean der Trauer. Ich muss nur wissen, dass ich ein- und wieder auszuatmen habe. Die Alternative zum Rock’n’Roll wäre, wieder im Schlachthof in Dublin oder im Straßenbau zu arbeiten.
Dieses Jahr touren Sie als Solokünstler durch Deutschland. Werden Sie später mit den Boomtown Rats wiederkommen?
Das würde ich gern. Ich liebe es, in Deutschland zu spielen. Es ist ein wunderschönes Land, das die Künstler wirklich zu schätzen weiß. Ihr seid auch ziemlich lustige Leute, das ist euch wahrscheinlich gar nicht bewusst. Solo bin ich übrigens Bob Geldof und mit den Boomtown Rats Bobby Boomtown, dieser verrückte Fucker. Mit den Rats möchte ich gern Festivals spielen, aber sie sagen mir dauernd, sie hätten keinen Platz mehr für uns. Wären wir fucking Pink Floyd, würden sie einen Platz für uns finden. Garantiert! Das ärgert mich. Aber es gibt ja auch schöne Theater. Die Boomtown Rats brauchen Größe, weil es eine wichtige Band mit einem fetten Sound und einer großen Idee ist.
Ihr Auftritt im legendären Musikladen lässt erahnen, wie wild die Boomtown Rats 1977 waren.
Im Publikum saßen lauter Leute mit langen Haaren. Bei diesem Auftritt bin ich ziemlich ausgeflippt und auf jemandes Tisch gesprungen. Sein Bier schwappte über. Der hat bestimmt ganz schön gestaunt.
Wie unterscheidet sich Bobby Boomtown von Bob Geldof?
Bobby Boomtown hat „Live Aid" möglich gemacht. Ohne seine verrückte Energie wäre das nicht zu schaffen gewesen. Denn Bobby akzeptiert kein Nein. Der Satz „Das können wir nicht" existiert in seinem Wortschatz nicht. Der Organisator darunter war Bob Geldof, der nach Bobbys Schlägen immer aufräumen musste. Bob war bei „Live Aid" für das Strukturieren zuständig, damit das Ganze stattfinden konnte.
Was wäre Bobby Boomtown ohne seine Bandkollegen?
Seine Bandkollegen setzen Bobbys ungezügelte Energie in Klänge um. Sonderbar, dass in den 40 Jahren, die wir uns jetzt kennen, zwischen uns immer ein stilles Einverständnis geherrscht hat. Wir müssen über diesen Shit nicht mehr sprechen, weil wir uns blind verstehen. Nicht ein einziges Mal ist zwischen uns ein böser Satz gefallen. Ich meine, die Band hat sich durch mein Gerede richtig Ärger eingehandelt. Ich habe unsere Karriere in den USA gekillt. Damals habe ich jedem gesagt, dass ich amerikanische Musik scheiße finde. Aber meine Jungs waren mit dem ganzen Zeug, das ich von mir gegeben habe, immer einverstanden. Sie konnten darüber sogar lachen.
Waren das Band-Aid-Projekt und das Live-Aid-Festival daran schuld, dass die Boomtown Rats 1984 aufhörten, Alben zu veröffentlichen?
Nein. Wir haben damals aufgehört, weil wir an unser natürliches Ende gekommen waren. Ein neues Jahrzehnt war angebrochen mit einer neuen Generation. Mit neuen Bands, die neue Ideen hatten. Wir hätten natürlich so tun können, dass wir dieser Generation etwas zu sagen haben, aber das wäre eine Lüge gewesen. Wir hatten zehn Jahre als Live-Band, die Beatles hatten nur sechs. Wenn du als Gruppe wirklich zusammenbleiben willst, musst du Kompromisse eingehen. Du wächst ja zusammen mit deiner Gang auf. In der Zeit wirst du erwachsen, heiratest, zeugst Kinder. Deine Interessen verlagern sich. Dieses Kumpel-Ding ist eher was für junge Leute. Eine Band, die dauerhaft zusammenbleiben will, muss sich irgendwann mit Managern an einen Tisch setzen, vielleicht sogar mit Anwälten. Sie müssen sich fragen, warum sie noch zusammen Musik machen wollen. U2 und die Rolling Stones haben das getan, sonst gäbe es sie nicht mehr. Die Leute von Metallica reisen heute einzeln zu den Shows an und jeder von ihnen hat einen Psychotherapeuten im Schlepptau. Pete und Roger von The Who können sich nicht ausstehen. Sie übernachten in verschiedenen Teilen der Stadt, in der sie gerade auftreten. Aber sie verstehen, dass diese Dynamiken sie immer wieder auf die Bühne treiben.
Und wie ist das bei den Boomtown Rats?
Natürlich fragten wir uns: Wie sollen wir „Live Aid" übertreffen? Es war das größte Konzert aller Zeiten. Glücklicherweise haben wir uns persönlich weiterentwickelt und können uns heute über andere Dinge unterhalten. Ich habe aber auch eigene Themen, über die ich sprechen will. Deshalb existiert neben den Rats meine Solo-Band, mit der ich ganz andere künstlerische Abenteuer erlebe. Die ist übrigens auch ziemlich erfolgreich; ich habe als Solokünstler mehr Preise bekommen als mit den Rats. Auf „Sex, Age & Death" bin ich besonders stolz, weil die Scheibe so verzweifelt klingt. Ich habe genug Songs für weitere eigene Alben, aber jetzt sind erst einmal die Boomtown Rats dran.
Mit „Band Aid" und „Live Aid" wollten Sie etwas gegen die akute Hungersnot in Äthiopien tun. 35 Jahre nach dem größten Benefiz-Konzert der Musikgeschichte reisen Sie noch immer regelmäßig nach Afrika. Was tun Sie dort?
Ich kümmere mich noch immer jeden einzelnen Tag meines Lebens um „Band Aid". Ich habe ein „Private Equity Fund Investing" in Afrika. Wir haben 10.000 Jobs. Ich arbeite mit Kofi Annan und dem Afrikanischen Fortschritts Panel und Bonos Organisation One zusammen. Sie setzt sich für das Ende extremer Armut und vermeidbarer Krankheiten bis zum Jahr 2030 ein. Das ist meine politische Arbeit.