In weniger als 1.000 Tagen rollt der Ball bei der Winter-Weltmeisterschaft in Katar. Seit Vergabe wird das Weltereignis kontrovers begleitet – zufrieden sind die Verantwortlichen aber dennoch.
Katar weiß, wie es gemacht wird. Große Namen, die lächelnd in die Kamera blicken – zufriedene Gesichter, wohin man schaut. So durfte vor Kurzem David Beckham als Maskottchen herhalten, als er im schicken grauen Anzug stolz das Trikot mit dem Schriftzug „See you in 2022" in die Kamera hielt – „Wir sehen uns 2022". Hassan Al-Thawadi, der Organisationschef, der von heftigen Kontroversen begleiteten Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, strahlt dabei mit Beckham um die Wette. Die Botschaft dabei ist klar: Was ein Star wie Beckham gut findet, kann doch nicht schlecht sein.
Was dem Weltverband Fifa und dem Emirat sicher nicht vorgeworfen werden kann, ist, dass sie sich keine Mühe geben würden, diese skandalumwobene Weltmeisterschaft als Hochglanzprodukt zu vermarkten. Für das Turnier in einem Land, das bis dahin noch nie durch große Fußballbegeisterung aufgefallen ist, hielt man sich mit starken Schlagzeilen und großen Namen als Gesichter der WM nicht zurück. „Ich war schon oft hier und sehe die Veränderung, die Entwicklung", sagte Beckham bei seinem Besuch in Katar kurz vor dem Jahreswechsel. Der 44-Jährige preist das „familiäre Umfeld" an. „Ich denke, das ist etwas, was man als Spieler und Fan bei einer WM wirklich möchte." Das Turnier werde „ziemlich unglaublich". Der Internet-Werbetext der Fifa erinnert ein wenig an die Worte von Franz Beckenbauer, der einst angab, bei seinen Besuchen in Katar „nicht einen einzigen Sklaven" gesehen zu haben.
Dabei waren es vor allem Todesfälle und teils unmenschliche Bedingungen für die Gastarbeiter auf den Baustellen, die die Schlagzeilen bei der beginnenden WM-Vorbereitung beherrschten. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und internationale Gewerkschaftsbünde kritisierten die Zustände lautstark, jede Schocknachricht von Unfällen aus dem Emirat rief auch in Deutschland Politiker auf den Plan, die eine Neuvergabe forderten. Die Organisatoren verwiesen dabei immer wieder darauf, diese Dinge verbessern zu wollen, gerade durch die vielzitierte Kraft des Fußballs. Die zahlreichen Reformen die geändert oder angekündigt wurden, lesen sich dabei zumindest schon mal ganz gut. Das ausbeuterische Kafala-System soll inzwischen Geschichte sein. „Die schwache Umsetzung früherer Reformen" hat dem aktuellen Amnesty-Jahresbericht zufolge jedoch in der Praxis dazu geführt, dass Migranten 2019 „nicht vor Missbrauch und Ausbeutung geschützt waren".
Wurden die Reformen durchgesetzt?
Der große Weltverband mahnte immer zur Geduld und scheint derzeit äußerst zufrieden: „Ich organisiere seit 20 Jahren große Fußballturniere", sagte Fifa-Präsident Gianni Infantino beim Testlauf im Rahmen der Club-WM Ende 2019. „Und ich muss sagen, dass die Fortschritte der Arbeiten in Katar beispiellos sind." Schon zwei Jahre vor dem Anpfiff werde alles bereit sein. Infantino ist sich sicher, „dass es ein fantastisches Ereignis wird, und ich glaube, dass eine WM in Katar, im Nahen Osten, das Potenzial dazu hat, die Wahrnehmung des Restes der Welt gegenüber der Region zu verändern". Organisatorisch wird es wahrscheinlich auch keinen Grund zum Meckern geben. Alle diejenigen, die eine Reise an den Persischen Golf planen, können sich in dieser Hinsicht auf eine tolle WM einstellen. Das Emirat hat Milliardenbeträge in die Aufrüstung für 2022 investiert. Die bereits fertiggestellten der acht Stadien sind hochmodern und innerhalb kürzester Zeit mit dem Nahverkehr zu erreichen. Wer will und Karten bekommt, kann sich problemlos mehrere WM-Spiele an einem Tag anschauen.
Worauf Fans sich jedoch einstellen müssen, ist die besondere Einstellung des islamisch-konservativen Landes zum Alkohol. Bei der Club-WM gab es diesen zwar, jedoch nur in den Fan-Zonen – nicht in den Stadien. Grundsätzlich ist der Verkauf alkoholischer Getränke in Katar nicht verboten, aber sehr streng reglementiert. Rückständig hingegen ist das Land im Bereich der gesellschaftlichen Gleichberechtigung von Frauen und zudem sexuell anders orientierter Menschen. „Die Gesetze diskriminieren weiterhin LGBTI-Personen", schreibt Amnesty. LGBTI ist die englische Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell und intersexuell. Das passt kaum zum angeblich weltoffenen Fußball, der Brücken bauen soll. Offenheit ist anders.
Wenig Alkohol und Freizügigkeit im Land
Unabhängig von den Dingen, die in diesem Land rückständig und vollkommen falsch laufen, gilt die Vergabe dieser WM so schon als Skandal. Unter den Mitgliedern, die damals Stimmen für den Wüstenstaat abgaben, sind mittlerweile etliche angeklagt und verurteilt worden. Das Ganze wirkte wie die Hochzeit des Selbstbedienungsladens angeführt von Joseph S. Blatter, damaliger Fifa-Präsident. Dieser soll aber nicht für Katar gewesen sein. Katar ging mit der schlechtesten technischen Bewertung aller Bewerber ins Rennen – und gewann trotzdem. Franz Beckenbauer beispielweise, damals für den DFB tätig, machte nie öffentlich, wem er seine Stimme geschenkt hat. Wäre das alles nicht schon genug, um auf eine Ausrichtung der Weltmeisterschaft in diesem Land zu verzichten, so kommt es zudem zu einer Verlegung in den Winter, was die Spielpläne fast aller großen Ligen vor große Probleme stellt. Als Grund dafür waren die unmenschlichen Wetterbedingungen in den Sommermonaten angeführt worden, ein Umstand der vielen aber schon vorher bekannt gewesen ist. Das Wetter bietet nun optimale Voraussetzungen: Im November und Dezember – das Finale steigt am 18. Dezember –
herrschen in dem Wüstenemirat angenehme Temperaturen. In Deutschland fallen die Partien mitten in die besinnliche Vorweihnachtszeit. Spiele einer Weltmeisterschaft mit einem Glühwein in der Hand zu schauen, wird dann aller Voraussicht nach Realität.
Mit Spannung wird auch zu beobachten sein, wie es sich mit der Stimmung der Fans verhält. Fröhliche Partys auf der Straße mit lauten Fangesängen sind dem Land fremd, bei Spielen der heimischen Liga herrscht eher zurückhaltende Stimmung. Jubelarien wie beim Sommermärchen im Jahr 2006, als am Brandenburger Tor eine Million Menschen und Hunderttausende auf Fanmeilen feierten, wird es in Katar mit Sicherheit nicht geben. Bei der Club-WM verwandelten die Anhänger des brasilianischen Teams Flamengo zwar die nagelneue U-Bahn in eine Feierzone, freundlich beobachtet von Katarern. Letztlich aber dürften die Feiern auf wenige Ort begrenzt bleiben, schon allein weil Doha eine Stadt ist, die komplett auf den Autoverkehr ausgerichtet ist. Belebte Straßen und Plätze gibt es nur wenige, etwa den Suk Wakif, den alten Basar mit engen Gassen, Geschäften und Restaurants.
Wohl keine Fanmeilen in Deutschland
Und wo steht eigentlich der DFB mit seiner neuen Spitze Fritz Keller, wenn es um die WM in Katar geht? Keller hatte Mitte Dezember die WM-Vergabe an Katar kritisiert und als „ganz schlechte Entscheidung" in „vielerlei Hinsicht" bezeichnet. Selbst die Verlegung in den Winter bringe eine ungeheure Energieverschwendung mit sich, um die Stadien herunterzukühlen, kritisierte der DFB-Präsident. Al-Thawadi ließ das aber nicht lange auf sich sitzen und konterte schließlich: „Ich habe Herrn Keller bisher nicht kennengelernt. Seine Äußerungen sind unglücklich und zeugen von Fehlinformationen." Laut Keller würden auch die Nationalspieler mit Blick auf das Großevent im Jahr 2022 vor keiner einfachen Situation stehen. „Von ihnen zu erwarten, sie würden Probleme lösen, an denen auch die Politik scheitert, wäre zu viel verlangt. Aber ich habe volles Vertrauen in sie, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch ihre Stimmen erheben werden."