Trotz des Zusammenbruchs des „Nike Oregon Projects" wegen Dopingvorwürfen gegen seinen gesperrten Leiter Alberto Salazar hat sich die deutsche Star-Läuferin Konstanze Klosterhalfen zur Fortsetzung ihrer Olympia-Vorbereitung in den USA entschieden.
Sie läuft und läuft und läuft. Konstanze Klosterhalfen wird angetrieben vom großen Ziel Olympia. Die deutsche Star-Läuferin überzeugte nach ihrer überragenden Bronzemedaille bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Herbst in Katars Hauptstadt Doha über 5.000 Meter in den ersten Monaten des neuen Jahres schon wieder in geradezu atemberaubender Manier: mit gleich vier Rekorden in zwei Rennen.
Solche Neuigkeiten lösen bei den deutschen Leichtathletik-Fans allerdings nicht nur Freude aus. Zwar wächst die Hoffnung auf eine Medaille bei den Sommerspielen in Tokio mit jeder neuen Fabelzeit des „Wunderkindes", doch zugleich wundert sich die Szene über die bislang strikte Ablehnung von Deutschland-Starts der 22-Jährigen während der kürzlich ausgeklungenen Hallensaison zugunsten von Training und Wettkämpfen in ihrer Wahlheimat USA. Schon gilt die Rheinländerin in Fachkreisen als „das Phantom der Laufbahn".
Die damit anklingende Skepsis kommt nicht von ungefähr. Seit der Übersiedlung nach Amerika im Herbst 2018 ins Trainingscamp des berühmt-berüchtigten „Nike Oregon Projects" (NOP) des unter Dauer-Dopingverdacht stehenden Schleifers Alberto Salazar und dem Beginn der Zusammenarbeit mit Salazars Assistenten Pete Julian sind Zweifel ständige Begleiter der früheren Leverkusenerin, zumal Klosterhalfens Leistungen binnen weniger Monate geradezu explodierten. Salazars Sperre nur wenige Tage vor ihrem imponierenden Bronze-Lauf bei der WM in Katar und der anschließende Zusammenbruch des NOP angesichts immer neuer Doping-Enthüllungen über dubiose Praktiken in Portland schienen dem mutmaßlichen Spuk jedoch schnell wieder ein Ende bereitet zu haben, die „Heimkehr der verlorenen Tochter" nach Deutschland schien schlechtestenfalls nur noch eine Frage von Wochen.
Doch Klosterhalfen wollte nicht so wie alle anderen. Obwohl der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) in den Gesprächen mit „Koko" und ihrem Management (mit Vorstandschef Oliver Mintzlaff vom deutschen Fußball-Topclub RB Leipzig) zwischen Doha und dem Jahreswechsel über die Zukunft unter den dramatisch veränderten Vorzeichen aus seinem Unbehagen zumindest über ihre Nähe zum Thema Doping keinerlei Hehl machte, hielt der neue Lauf-Star an seiner ursprünglichen Planung für die Olympia-Saison fest. „Sie hat bekräftigt, dass sie weiter in den USA trainieren möchte", berichtete DLV-Generaldirektor Idriss Gonschinska betont neutral über den Verlauf der Verhandlungen. „Der Zeitraum der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele ist recht kurz, und sie wollte daher bis Tokio nichts ändern. Es ist eine Entscheidung, die sie getroffen hat und die wir respektieren." Alleine die Vermeidung des Namens von Klosterhalfens US-Coach Pete Julian ließ Gonschinskas Unverständnis über das Resultat der Beratungen erkennen.
„Eine Entscheidung, die wir respektieren"
Tatsächlich sorgt Klosterhalfens Nibelungentreue zum Ex-Helfer des NOP-Dopingpaten Salazar für Stirnrunzeln. Nur schwer vorstellbar erscheint, dass alleine Julian und das im vergangenen Neujahr nach kurzer „Probezeit" mit großem Tohuwabohu großspurig aufgenommene NOP-Neumitglied Klosterhalfen inmitten Salazars anrüchiger und offenbar auch übergeordneter Trainings- und auch Behandlungsmethoden lediglich nur durch besonders ausgeklügelte Übungseinheiten schier unbeschreibliche Leistungssteigerungen bei dem deutschen Ausnahmetalent erreicht haben sollen. Zu nah stand Julian dem tief gestürzten NOP-Chef Salazar, als dass Klosterhalfen trotz ihrer Bekenntnisse zu einem sauberen Sport über jeden Verdacht erhaben sein könnte.
Wie auch: Julian steht besonders seit den aufsehenerregenden Vorwürfen der früheren US-Topläuferin Mary Cain gegen Salazar wegen seiner unbestreitbaren Loyalität zu dem entzauberten Trainer-Guru in der Kritik. Cain beschuldigte Salazar fortgesetzten und massiven Mobbings und beklagte ausdrücklich, von Julian gegen herabwürdigende Beschimpfungen nicht in Schutz genommen worden zu sein. Der Klosterhalfen-Coach bedauerte Cains psychische und physische Probleme infolge ihrer NOP-Zeit und räumte außerdem ein, sich nicht angemessen verhalten zu haben. Das entstandene Bild wirft aber umso mehr die Frage auf, ob Julian sich Salazars Anweisungen für den Einsatz zumindest zweifelhafter Substanzen widersetzt haben könnte, wenn er sogar persönliche Beleidigungen von Aktiven durch seinen skandalumwitterten Chef tolerierte.
Dennoch verkaufte Klosterhalfens Management die Fortsetzung der Zusammenarbeit als „Business as usual" – jedenfalls so gut wie möglich. „Das NOP ist als Organisation geschlossen, aber die Infrastruktur wie Laufbahn oder Fitnesscenter besteht natürlich weiterhin und wird von Konstanze auch genutzt", teilten die Weichensteller für Klosterhalfens Karriere zu Jahresbeginn mit. Laufbahn, Fitnesscenter – angesichts der betont naiven Beschreibung der Rahmenbedingungen in Portland stellen viele Beobachter sich die Frage, welche entscheidenden Details im Training der mehrfachen Deutschen Meisterin denn nur in Oregon und nicht auch in Deutschland bereitzustellen sein sollen.
Erstmals die vier Minuten unterboten
Vor dem Hintergrund der Debatten um ihre Person beweist Klosterhalfen allerdings beachtliche Nervenstärke. In ihren beiden letzten Wettkämpfen der Hallensaison knüpfte die deutsche Olympia-Hoffnung scheinbar unbeeindruckt von der Julian-Diskussion beinahe nahtlos an ihre Rekordjagden aus dem vergangenen Jahr an und unterstrich mit absoluten Spitzenzeiten nachdrücklich ihr enormes Leistungsvermögen. Vor dem Wechsel in die Outdoor-Saison stellte Klosterhalfen Ende Februar in Boston über 5.000 Meter in 14:30,79 Minuten eine europäische Hallenbestzeit auf und blieb dabei gleich um sagenhafte 16,56 Sekunden unter der 21 Jahre alten Bestmarke der Rumänin Gabriela Szabo. Den bisherigen deutschen Rekord von Irina Mikitenko verbesserte Klosterhalfen sogar um 25 Sekunden und avancierte damit zugleich zur Nummer vier der ewigen Bestenliste. Zuletzt schneller als die Rheinländerin war unter dem Hallendach die äthiopische Weltrekordlerin Genze Dibaba – vor fünf Jahren. „Das war ein guter Test aus dem Training heraus und zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind", kommentierte Klosterhalfen ihren Glanzauftritt. Ihre Rekordlaune hatte Klosterhalfen bereits drei Wochen zuvor bei einem Hallenmeeting in New York gezeigt. Ihre Zeit von 4:17,26 Minuten im Rennen über die Meile bedeutete ebenso einen deutschen Rekord wie ihre 1.500-Meter-Durchgangszeit von 3:59,87 Minuten, durch die Klosterhalfen erstmals die Schallmauer von vier Minuten durchbrach. Ihre vorherige Bestmarke von 2019 war noch fast drei Sekunden langsamer.
Im übertragenen Sinne scheint Klosterhalfen den Zweifeln an ihrem Weg davonlaufen zu wollen. Auf dem Weg nach Tokio, wo ihr Ziel fraglos eine Medaille sein wird, dürfte sich ihre Stärke allerdings außer auf der Tartanbahn besonders auch im Umgang mit den immer bohrenderen Fragen nach den Inhalten ihrer Trainingsgestaltung und der wenigstens zweifelhaften Zusammenarbeit mit Julian zeigen.
Für ihre Fans allerdings nicht minder wichtig ist das Rätsel nach Klosterhalfens Deutschland-Starts in der Olympia-Saison. Vorbehaltlich der Absprachen zwischen Julian, Gonschinska sowie Lauf-Bundestrainer Thomas Dreißigacker und Disziplincoach Sebastian Weiß („Ich halte regelmäßig Kontakt zu ihr, um immer auf dem aktuellen Stand zu sein und einen Wissenstransfer zu haben"), gelten zumindest Rennen bei den Deutschen Meisterschaften Anfang Juni in Braunschweig als wahrscheinlich.