Greta Thunberg und ihre Fridays-for-Future-Bewegung sind ein Phänomen. Sie hat geschafft, woran viele vor ihr gescheitert sind. Sie lässt die Medienlandschaft wie einen Kinderspielplatz aussehen – mit ganz viel Platz für Interpretationen, wie eine Betrachtung zeigt.
Ein „Fuck You Greta"-Aufkleber über dem Auspuff und daneben noch ein stolzes Diesel-Bekenntnis: „Feinstaub statt Ökostrom". Ist so viel geballte Aversion wirklich notwendig? Dabei handelt es sich doch nur um ein 17-jähriges Mädchen mit zwei Zöpfen und einem Demonstranten-Schild. Oder geht es um viel mehr?
„Ikone einer Generation", „Heldin", „Marionette", „trotziges Kind" – alles Namen für ein und dieselbe Person. Greta Thunberg. Sie und die von ihr angestoßene Fridays-for-Future-Bewegung sind in aller Munde.
Medien stürzen sich geradezu auf die Schülerin. Aber was kommt am Ende dabei heraus? Das amerikanische „Time Magazine" kürte Greta Thunberg zur Person des Jahres 2019. Man findet sogar eine eigene Internetseite dazu. Ähnlich dramatisch wie auf dem Cover des Magazins läuft ein Kurzfilm in Dauerschleife, der Greta mit offenem, vom Wind zerzausten Haar und klaren blauen Augen zeigt. Das kindliche Gesicht blickt in die Ferne. Dahinter ist das türkisfarbene Meer zu sehen, mit beginnendem Sonnenuntergang in zarten Blau-, Orange- und Rottönen. Die Gischt spritzt gegen die Felsen. Der Artikel der Internetseite endet mit einer Rückenansicht Gretas auf den Felsen vor dem Horizont. Romantik-Maler Caspar David Friedrich hätte es nicht besser treffen können. Im Vergleich zum „Time Magazine"-Cover ein paar Monate davor hat sich einiges verändert. Das zeigte Greta noch in einer langen grünen Robe vor einem dunklen Säulengang. Der Blick ist ernst und das Gesicht halb getaucht in Schatten, halb in Licht. Die Fotografin entschied sich für die Farbe Grün, weil sie das Leben darstellt, und der dunkle Säulengang dahinter soll einen Hinweis darauf geben, was passiert, wenn die Menschheit nicht auf Greta hört. Greta Thunberg selbst soll sich nicht dazu geäußert haben, wie sie das Cover findet – gepostet hat sie es.
Wie also soll man Greta sehen? Als kleines Mädchen vor dem endlosen Horizont, umgeben von der Kraft und Schönheit der Natur oder als stolze Anführerin am Scheideweg zwischen Licht und Schatten?
Rummel wie um einen Popstar
Das amerikanische Lifestyle-Magazin „GQ" sieht das ganz anders. Es stellt Greta als „Game Changer of the Year" dar, im schwarzen Business-Look mit ernstem Blick und gestrecktem Zeigefinger. „Can you hear me?" steht in weißen Lettern auf ihrem schwarzen Blazer. Ebenso wie die meisten Medienberichte erzählt die „GQ" Gretas Krankheitsgeschichte, die ihren Höhenpunkt in ihrem Zusammenbruch fand, als Greta weder aß noch trank oder sprach. Anders als die meisten bleibt das Magazin aber nicht bei der Opferdarstellung Gretas, sondern hebt ihr Asperger-Syndrom als „superpower" hervor. Eine „cynical version" geht auf die Vorurteile ein, die seit dem Anstieg ihres Ruhms kursieren. Es heißt, ihre Eltern hätten sie dazu gedrängt, all das zu tun, um jetzt Profit daraus zu schlagen. Warum sonst unter dem Titel „No one is too small to make a difference" ein Buch veröffentlichen? Die „optimistic version" beinhaltet die Wahl einer Mutter, die entschied, ihrer Tochter zuliebe ihre Karriere als Opernsängerin aufzugeben und nicht mehr zu fliegen, damit diese endlich wieder isst und trinkt. Und wieder stellt sich die Frage: Trotziges Kind oder doch Superheldin?
Das französische liberal-konservative Magazin „Valeurs Acutelles" lacht über diese Darstellungen. Es setzt Greta ebenfalls auf das Cover. Diesmal ist allerdings nur der Oberkörper bis auf Brusthöhe zu sehen. Sie wirkt kindlich mit Zöpfen und Mütze. Das Kinn ist nach unten gesenkt, die Augenbrauen leicht zusammengezogen, ein zögerliches Lächeln umspielt ihre Lippen. Das Cover vermittelt Unsicherheit, als würde sie sich unbehaglich fühlen. Das wäre auch sicher der Fall, wüsste sie, was in dem Artikel über sie geschrieben steht. Der Wirtschaftswissenschaftler Rémy Prad’homme kritisiert Greta und behauptet, ihre Bewegung habe alle Aspekte einer Religion, die Wissenschaft und Technik verachte. Von Bedeutung sei nicht Greta Thunberg selbst, sondern die Art, wie sie in der westlichen Welt empfangen würde. Deshalb sage die Bewegung auch nichts über die Jugend aus, sondern über die Erwachsenen, die die „Marionette Greta" auch noch ernst nehmen würden. Der Philosoph Pascal Bruckner schließt sich dieser Kritik im „Figaro" an und wirft Greta die Inszenierung einer Apokalypse vor. Für sie selbst beschwört der Kritiker eine schreckliche Zukunft herauf, weil sie von Medien aufgebauscht und nach Abflachen der Bewegung tief in ihrer Popularität sinken würde. Für ihn ist Greta Thunberg nur eine temporäre Erscheinung. Wie heiße es so schön: Hochmut kommt vor dem Fall?
Die „Junge Freiheit", die von Politikwissenschaftlern als „Sprechrohr der neuen Rechten" qualifiziert wird, hat Greta von Anfang an zur Ikone der anderen Art erhoben. In einem Kommentar vor Jahresfrist wurde sie kurzerhand unter der Überschrift „Ideologische Blendgranate" zur „Neufunkelnden Ikone zur Verzierung altlinker Ökothesen" erklärt. Ein Denken, von dem „Fuck you Greta"-Aufkleber („aus einer hochwertigen Outdoor-Folie in Deutschland hergestellt", wie ein Versand wirbt) künden.
Die BBC kündigte vor Kurzem an, eine dokumentarische Fernsehserie über Greta zu produzieren. Der Executive Producer bezeichnet die junge Schwedin als „Ikone und eines der berühmtesten Gesichter auf dem Planeten". Auch die amerikanische Videoplattform Hulu, mit Nathan Grossman an der Spitze, hat einen Dokumentarfilm über Greta Thunberg geplant.
Bei allem Ehrgeiz das Klima zu retten, hat der Hype um Greta auch nervende Züge. Und das Erstaunliche ist, dass bislang nicht zu erfahren ist, wie sie es selbst empfindet.