Am 20. September vergangenen Jahres war Saarbrücken einer der Protestorte des dritten globalen Klimastreiks der Fridays-for-Future-Bewegung – und FORUM-Mitarbeiterin Saskia Bommer war mittendrin. Ein halbes Jahr später zieht sie Bilanz über ihren Vorsatz, den eigenen Alltag nachhaltiger zu gestalten.
Es ist fast ein halbes Jahr her, dass ich auf der Straße gelegen habe, zusammen mit Tausenden von Menschen, die alle das gleiche Ziel vor Augen hatten: ein Zeichen setzen gegen den Klimawandel, für die Zukunft unseres Planeten. Es war ein Moment der Hoffnung und der guten Vorsätze, einen nachhaltigeren Alltag zu leben, im Hinterkopf die Zukunft meiner kleinen Tochter. Viele Dinge hatte ich mir vorgenommen und auch teilweise schon in meinem Alltag integriert: Lebensmittel kaufte ich überwiegend bio und unverpackt, Fleisch und Wurst wurden vom Speiseplan gestrichen, die täglichen Routen habe ich zum größten Teil mit Bus oder Fahrrad zurückgelegt. So weit, so gut.
Nach ein paar Monaten ziehe ich nun Bilanz über das, was ich mir vorgenommen habe, und stelle fest: Nachhaltig leben stellt mich teilweise vor große Herausforderungen. Bei dem Verzicht auf Fleisch und Wurst gibt es Rückschläge zu vermelden. Es geht erschreckend leicht, das Wohl und das Leben der Tiere in die Dunkelkammer meines Bewusstseins zu packen und mich auf den Ringel Lyoner zu stürzen. Häufig mache ich Ausnahmen. Wenn ich bei Freunden zum Essen eingeladen bin und Fleisch serviert wird, traue ich mich nicht „Nein" zu sagen, da ich mit meinem Verzicht keine Umstände machen möchte. Als Beilage gibt es eine Portion Rechtfertigung. „Ist ja nur eine Ausnahme." „Ich hatte halt Lust darauf." „Meine Schwester ist zu Besuch, und die isst nun mal sowas." Ich merke, dass es mir schwer fällt, konsequent zu bleiben, da ich diese Lust in mir spüre, Fleisch zu essen, den Geschmack und die Konsistenz im Mund zu spüren, selbst wenn ich weiß, welche Qualen diese Lebewesen vor ihrem Tod ertragen müssen. Dass es mir so leicht fällt, mein Wissen darüber beiseitezuschieben, macht mich zutiefst betroffen.
Wenn sich dann das eigene Leben überschlägt, passiert es auch mal schnell, dass die guten Vorsätze in sich zusammenbrechen, und die Klimakrise scheinbar unbedeutend wird. Und dann stehe ich auf einmal wieder im Discounter, eine Wagenladung voller Plastik, und Gefühle der Scham und des Versagens steigen in mir hoch.
Denn es wird mir zu verdammt einfach gemacht, in alte Muster zurückzufallen. Wäre es nicht schön, wenn es einfach wäre, das Richtige zu tun? Unverpackt-Läden soweit das Auge reicht, gute und bezahlbare ÖPNV-Anbindungen, eine große Auswahl an vegetarischen oder veganen Restaurants, autofreie Viertel. In solchen Momenten des Gedankenspiels wird mir bewusst, wie viel Arbeit noch vor uns liegt.
Im Alltag große Herausforderungen
Aber trotz dieser Rückschläge gibt es auch Veränderungen zum Positiven. Der Drang, mich ständig neu einkleiden zu müssen, ist fast gänzlich verschwunden. Nur selten gehe ich dazu in die Stadt oder bestelle etwas im Internet. In den letzten Jahren hatte ich ständig das Gefühl, dass ich etwas Neues besitzen muss, um Anerkennung und Bestätigung von außen zu erhalten. Flohmärkte, Kleidertausch mit der besten Freundin oder gebrauchte Kleidung im Internet sind gute Alternativen. Und ich merke, dass ich darüber Kleider erwerben kann, die „bedeutungsvoll" sind, auf jeden Fall für die Person, die sie hergibt oder verkauft. Die Masse an Dingen erscheint mir im Gegensatz dazu bedeutungslos.
Etwas, was ich zudem neu für mich entdeckt habe, als eine Art persönliche Challenge, ist das Verwerten von allem, was sich in meinem Kühlschrank befindet. Ich versuche nichts wegzuwerfen. Tee- und Kaffeereste werden wieder aufgekocht, Obst zu Püree verarbeitet. Vorher habe ich oft Dinge weggeworfen, die ich nicht aufbrauchen konnte, weil ich zu viel davon gekauft hatte.
Auch meine Tochter bleibt von diesen Themen nicht unberührt. Sie spricht mich auf ein Plakat an, an dem wir vorbeifahren. Zu sehen ist ein Delfin, der sein Maul voller Plastikmüll hat. „Warum hat der Delfin das im Mund, Mami?" Ich erkläre es ihr. Immer, wenn wir jetzt vorbeifahren, spricht sie über den Delfin und dass es ihm wegen des vielen Plastiks nicht gut geht. Wenn wir durch die Stadt laufen und Müll auf dem Boden liegt, sagt sie „Das darf man gar nicht machen, das gehört in den Müll!" Auch wenn mir der positive Einfluss auf unser Klima erschreckend gering vorkommt, so habe ich die Möglichkeit, meiner Tochter eine neue Denkweise mitzugeben, sodass sie in einem anderen Bewusstsein aufwächst und nicht die gleichen Fehler macht.
Natürlich verfolge ich auch weiterhin die Nachrichten: über sogenannte Klimapakete der Bundesregierung, Naturkatastrophen und den unbeirrbaren Einsatz von Fridays for Future, Extinction Rebellion, allen voran Greta Thunberg. Und was mich dabei dennoch oft überkommt, ist das Gefühl der Ohnmacht. Denn die Erkenntnis, dass eigentlich alles was wir tun, sogar das Schreiben einer E-Mail und dieses Textes, CO₂ ausstößt, überfordert.
Kritisch sein, ohne sich zu verurteilen
Um das alles nicht mehr mit mir alleine herumtragen zu müssen, spreche ich mit Till*, einem Freund, von dem ich das Gefühl habe, dass er nachhaltig lebt. Ich will wissen, ob es ihm ähnlich ergeht und bin überrascht von seiner Antwort. Obwohl er seinen Alltag wenig konsumorientiert gestaltet, so weiß er, dass sich durch sein Umweltbewusstsein alleine wenig ändern wird. „Ich finde es deprimierend, dass es sich nicht jeder leisten kann bio und Unverpacktes einzukaufen und somit eine Abgrenzung nach unten stattfindet", sagt er. Das kollektive Ganze wird übersehen und somit dem Einzelnen überlassen. Bei FFF geht es Till zu oft um Appelle zur individuellen Verhaltensänderung statt dass generelle Fragen in Bezug auf das kapitalistische Wirtschaftssystem gestellt werden. Er selbst engagiert sich über die Plattform Foodsharing. Einmal pro Woche rettet er Lebensmittel, die im Müll landen würden, verteilt sie an Freunde und Bekannte oder verwertet sie selbst. Aber auch hier bleibt er kritisch: Das Problem der Nahrung im Überfluss werde umverteilt, aber nicht gelöst. Auf meine Frage hin, was er anderen Menschen raten würde, die etwas verändern wollen, meint er, dass es in erster Linie wichtig ist, Systemkritik in den öffentlichen Raum zu bringen und sich „für die Mitbestimmung und Demokratisierung der Wirtschaft" einzusetzen.
Das Gespräch mit Till öffnet mir die Augen und mir wird klar, dass mein Vorhaben, „nachhaltig" zu leben, dadurch, dass ich meinen Alltag verändere, ein Kratzen an der Oberfläche ist und wahrscheinlich am meisten dazu dient, das eigene Gewissen zu beruhigen. Das eigentliche Problem lösen kann es nicht. Ich verrenke mich gerade in einem konsumorientierten System, dass alles sein kann – nur nicht nachhaltig. Es ist notwendig, das eigene Leben kritisch unter die Lupe zu nehmen und Dinge zu verändern, ohne sich zu verurteilen, wenn etwas nicht direkt funktioniert. Denn das ist menschlich. Aber der Schritt, sich Menschen anzuschließen und mit klaren Forderungen an die Politik auf die Straße zu gehen ist genauso wichtig.
Die aktuelle Coronakrise zeigt uns genau auf, was zu tun ist: handeln – und zwar jetzt. Das eigene Ego zurückstellen und am allerwichtigsten: zusammenhalten, als Gesellschaft und als Menschheit. Dies gilt für das Klima gleichermaßen.
Trotz des Gefühls der Ohnmacht, der allzu menschlichen Rückschläge, ist für mich eines ganz klar: Ich werde weiter versuchen, meinen Alltag nachhaltiger zu gestalten, mit Menschen im Dialog zu bleiben, egal, welcher Auffassung sie sind, mich informieren, kritisch bleiben und Verantwortung übernehmen für mein Handeln. Und, ja, auch auf die Straße gehen oder mich auf den Asphalt legen. Nicht aufgeben, weitermachen. (*Name von der Red. geändert)