Lange hatten die Grünen Umweltschutz als zentrales Thema gepachtet. Mit Fridays for Future gibt es nun außerparlamentarische Konkurrenz, von der die alte Ökopartei selbst überrascht war, sagt Jamila Schäfer, Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis90/Die Grünen.
Frau Schäfer, die Grünen bewegen sich in Umfragen seit geraumer Zeit auf Platz zwei. Was ist aus Ihrer Sicht das Geheimnis für dieses Allzeithoch?
Da gibt es kein Geheimnis. Ich denke, dass gerade in Zeiten des Umbruchs das Denken in alten Schablonen nicht mehr hilft. Wenn wir eine realistische Politik machen wollen, brauchen wir radikales Umdenken. Wenn wir die europäische Einigung bewahren wollen, müssen wir sie weiterentwickeln. Wenn wir stabile Wirtschaftsverhältnisse wollen, müssen wir die soziale Spaltung und die Umweltzerstörung stoppen. Mit dem Aussprechen des Notwendigen haben wir uns auch von alten Widersprüchen verabschiedet, die die Debatten früher bestimmt haben. Wir versuchen uns an den realen gesellschaftlichen Fragen zu orientieren. Ich denke dass es mittlerweile viele Leute nervt, dass in der Politik Probleme viel zu oft in die Zukunft verlagert werden, statt sie ehrlich anzugehen. Deshalb stecken viele Menschen wahrscheinlich auch so viel Hoffnung in zuversichtliche Politik, die nicht nur verwaltet, sondern wirklich gestaltet. Lösungsorientierte Politik ist auch das beste Rezept gegen die Angst und das Gefühl von Ohnmacht, aus dem rechte Populisten so gern Kapital schlagen.
Haben Sie Bedenken, dass dieser Selbstläufer irgendwann ins Stolpern kommt?
Es ist kein Selbstläufer, sondern kontinuierliche Arbeit. Klar gibt es immer die Möglichkeit, Vertrauen zu verlieren. Aber sich von ständiger Angst vor Fehlern leiten zu lassen, ist wahrscheinlich selbst einer der größten Fehler. Wir sehen ja, dass das ständige Schielen auf Umfragen zu Orientierungslosigkeit von Parteien führen kann. So geht die eigentliche Substanz von Politik verloren. Natürlich muss man auch immer im Blick behalten, wo gerade die gesellschaftlichen Probleme sind und wie unsere Vorschläge dazu diskutiert werden. Aber eigentlich kann man sich nur bemühen, die Probleme im Blick zu haben, möglichst gute und überzeugende Vorschläge zu machen und dabei Grundwerte nicht aus den Augen zu verlieren.
Aber die Konkurrenz schläft nicht und die kommt im Falle der Grünen im wahrsten Sinne des Wortes von der Straße.
(lacht) Sie spielen auf Fridays for Future an. Ich sehe Bewegungen und Parteien nicht als Konkurrentinnen. Sie ergänzen sich. Wir sind als Partei selbst aus verschiedenen Bewegungen heraus entstanden. Aus eigener Kraft als Partei hätten wir nie geschafft, so viele Leute für den Klimaschutz zu mobilisieren. Dafür braucht es immer den gesellschaftlichen Rückhalt, den Druck von der Straße, die Mobilisierung über Parteistrukturen hinaus. Nur so kann auch das Umdenken in der Gesellschaft stattfinden, das wir brauchen, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Ich bin Fridays for Future sehr dankbar, dass sie die Debatte verstärkt haben.
Waren Sie von der Wucht von Fridays for Future überrascht? Immerhin waren sie zwei Jahre Sprecherin der Grünen Jugend.
Noch eineinhalb Jahre vor Greta Thunbergs Protest vor dem schwedischen Parlament haben wir als Grüne Jugend beim Bundestagswahlkampf fieberhaft überlegt, wie wir damit durchdringen, dass es beim Klimaschutz nicht nur um Eisschollen, sondern um die Zukunft der menschlichen Existenz geht. Dank Fridays for Future ist die Debatte nur kurze Zeit später sehr viel weiter als die Politik. Solche Entwicklungen kann man weder planen noch vorhersehen. Man kann nur versuchen, die Herausforderungen der Zeit auf dem Schirm zu haben.
War denn der Rest des Grünen- Bundesvorstands ebenfalls davon überrascht?
Niemand sitzt vor der Glaskugel. Aber von Anfang an hatte sowohl die Partei, als auch die Grüne Jugend viel Kontakt zu den Aktivistinnen und Aktivisten bei Fridays for Future. Viele Mitglieder der Grünen Jugend sind selbst bei der Bewegung aktiv. Insbesondere progressive Politik ist auf einen guten Draht zwischen Bewegungen und Parteien und parlamentarischer Politik angewiesen. Gemeinsam lässt sich mehr bewegen. Aber Fridays for Future ist unabhängig. Die Bewegung hat natürlich ihren eigenen Kopf.
Ist denn Fridays for Future eine Generationenfrage?
Natürlich wird die junge Generation noch länger die Folgen der Klimakrise spüren. Aber Klimaschutz betrifft alle. Auch meine Oma hat ein Interesse daran, dass ihre Enkel und deren Mitmenschen noch gut auf dem Planeten leben können. Gerade bei uns in der Partei sind viele, die Umweltschutz schon vor 40 Jahren auf die politische Agenda gesetzt haben. Damals galt die Erkenntnis, dass wir Menschen die Umwelt eher brauchen als die Umwelt uns Menschen, noch als Spinnerei. Heute wird daran eigentlich kaum noch gezweifelt. Die, die in den 80ern gegen Atomkraft auf die Straße gegangen sind, hatten und haben das gleiche Ziel wie Fridays for Future heute: Sie wollen nicht zuschauen, wie die Welt zerstört wird.
Das heißt aber, dass wir uns von bestimmten Bequemlichkeiten verabschieden müssen?
Sich von gewohnten Verhaltensweisen zu verabschieden, kann unbequem sein. Aber je länger wir mit den notwendigen Klimaschutzmaßnahmen warten, desto ungemütlicher wird es auf der Welt. Je schneller wir jetzt handeln und den CO2-Ausstoß verringern, desto besser lässt sich die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft noch gestalten.
Aber es geht ja dann auch immer um Arbeitsplätze?
Ja, mit der Energiewende zum Beispiel gehen Arbeitsplätze in der fossilen Energieversorgung verloren. Deshalb werden die negativen Effekte auch durch Investitionsprogramme abgefedert, sodass der Ausstieg aus der fossilen Energie nicht zu finanziellen Lasten von Arbeitnehmern umgesetzt wird. Andererseits entstehen durch die Energiewende neue, zukunftsfeste Arbeitsplätze. Auch in Zukunft brauchen wir Strom. Dazu müssen zum Beispiel die Solar- und Windkraftanlagen erst mal gebaut und dann auch gewartet werden.