Corona hat weite Teile Europas lahmgelegt. Eine weitere Herausforderung für europäische Solidarität. Und die steht auch bei der erneut zugespitzten Flüchtlingsfrage auf der Probe.
Die neue Europäische Kommission von Ursula von der Leyen ist jetzt 100 Tage im Amt. Grosse Projekte wie der European Green Deal und das Digitale Europa sollen die Eckpfeiler dieser Legislaturperiode sein.
Wie schnell sich die politische Agenda ändern kann, zeigten die letzten Wochen. Der Corona Virus hat Europa im Würgegriff und an der türkisch-griechischen Grenze drohte eine neue Flüchtlingswelle in die EU wie im Jahre 2015. Beide Ereignisse zeigen deutlich, dass nicht weniger, sondern mehr Europa notwendig ist. Auch in der Gesundheitspolitik braucht es bei großen Problemen wie Seuchen und Epidemien eine koordinierte europäische Aktion und keine widersprüchlichen nationalen Empfehlungen.
Außerdem ist ein gemeinsamer Europäischer Grenzschutz überfällig. Die Außengrenzen der EU sind gemeinsame Grenzen. Die Europäische Grenzschutz Agentur FRONTEX muss deshalb gestärkt werden und operativ tätig werden können. Der Erpressungsversuch von Erdogan gegen Europa sollte deshalb als „Hallo wacht auf"-Ruf verstanden werden.
Endlich aufgewacht ist die EU bei unfairen Wettbewerbsbedingungen ihrer Industrie auf den Weltmärkten. Mit der neuen „Industriestrategie" sollen Anbieter von außerhalb der EU schärfer auf die Einhaltung von europäischen Standards überprüft werden. Darüber hinaus sollen Forschungs- und Fördergelder gezielt in Vorhaben von „gemeinsamen europäischen Interesse" eingesetzt werden, wie der Batteriezellentechnik, dem grünen Wasserstoff oder der Halbleitertechnologie. Im Wettbewerb mit China und den USA muss Europa besser werden und Zukunftstechnologien „Made in Europe" zur Marktreife bringen.
Corona, Grenzschutz und EU-Außenpolitik
In der modernen Welt der Elektronik gibt es eine zu große Verschwendung von Rohstoffen. Handy und Tablets können oft nicht repariert werden, andere Geräte geben nach der Garantiezeit den Geist auf. Das neue Kreislaufwirtschaftsprogramm der EU will deshalb ein „Recht auf Reparatur" und Garantien gegen frühzeitigen Verschleiß durch eingebaute Schwachstellen. Geräte müssen in Zukunft nicht nur recyclingfähig sondern auch reparaturfähig sein. Der Müllberg in Europa soll schrumpfen.
Frau von der Leyen kündigte in ihrer Antrittsrede eine „geostrategische" Europäische Kommission an. Europa soll selbstbewusster in der Welt auftreten. Als ersten Schritt wurde in Brüssel die „Afrikastrategie" aus der Taufe gehoben. Die Entwicklungspolitik soll von der traditionellen Armenhilfe zu einer industriellen Partnerschaft weiterentwickelt werden. Europäisches know how und Investitionen sollen dem Nachbarkontinent helfen, ein grünes und digitales Afrika zu entwickeln und damit Anschluss andienen Zukunft zu gewinnen. Auch die deutsche Industrie sollte Afrika entdecken. Dieser Kontinent mit seiner jungen Bevölkerung ist die nächste Wachstumsregion der Welt.
Wie wenig Einfluss Europa an anderen Brennpunkten hat, zeigt sich in Libyen, Syrien sowie im Israel-Palästina Konflikt. Ausser Gipfelkonferenzen mit Appellen und Ratschlägen hat Europa wenig zu bieten. In einem Machtpoker spielen Russland, die Türkei, Saudi-Arabien und natürlich die USA mit anderen Karten. Präsident Macron hat recht: die EU braucht eine eigene durchsetzungsfähige Außen-und Sicherheitspolitik. Vor diesem unangenehmen Thema kann sich auch Deutschland nicht ewig weg ducken. Die Kosten des Nichtstuns sind höher als das gemeinsame Agieren für Frieden und Stabilität in unserer Nachbarschaft.
Ach ja: da wäre noch der Brexit. Wie von Boris Johnsons Truppe zu erwarten war, versuchen die Briten falsch zu spielen und ein Rosinenpicken durchzusetzen. Gut, dass mit Michel Barnier ein harter Verhandlungsführer auf Seiten der EU steht. Der Austritt aus der EU darf nicht auch noch belohnt werden. Da sind sich die 27 zum Glück alle mal einig.