Corona-Angst: Die Börsen nehmen den Abschwung vorweg
Wenn Börsenkurse Wetten auf die Zukunft sind, dann stehen der Weltwirtschaft finstere Zeiten bevor. Die Angst der Aktienhändler hat einen Namen: Coronavirus. Weltweit grassiert die Sorge, dass die Unternehmen in Corona-Zeiten weniger Gewinne einfahren oder gar in die Miesen geraten. Folge: Die Aktionäre verkaufen ihre Unternehmenspapiere, selbst wenn sie dabei drauflegen.
Der deutsche Leitindex Dax sackte Anfang der Woche unter die Marke von 9.000 Punkten. Es war der tiefste Stand seit 2014. Mit der neuen Talfahrt summierte sich der Einbruch des Dax in den vorangegangenen gut drei Wochen auf fast 40 Prozent. Auch die Wall Street und die Börsen Ostasiens kannten nur eine Richtung: abwärts. Die Verluste an den Aktienhäusern sind die höchsten seit der großen Finanz- und Schuldenkrise vor zwölf Jahren.
„Es steht uns wohl die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Finanzkrise 2008/2009 bevor. Die Weltwirtschaft befindet sich in einer sehr schwierigen Situation", warnt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Es sei zu befürchten, dass das ohnehin niedrige Wachstumstempo in der globalen Wirtschaft deutlich zurückgehen werde. „Selbst wenn die Krise durch das Coronavirus bereits heute verarbeitet wäre, würde die europäische Wirtschaft nach DIHK-Schätzung rund einen Prozentpunkt weniger wachsen", so Treier.
Alarmierend sind bereits die neuesten Zahlen aus China, das die meisten Importe nach Deutschland liefert. Die Industrieproduktion ging im Januar und Februar im Vergleich zu den ersten beiden Monaten des Vorjahres um 13,5 Prozent zurück – das stärkste bislang gemessene Minus. „Wenn in den nächsten Wochen die Daten über den deutsch-chinesischen Handel auf dem Tisch liegen, werden wir ein böses Erwachen erleben", prophezeit DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. „Der DIHK rechnet mit zweistelligen Rückgängen im Vergleich zum Vorjahr."
Die US-Notenbank (Federal Reserve) hatte wegen des Coronavirus zu weiteren drastischen Mitteln gegriffen. In einer Notfallaktion senkte sie den Leitzins um einen ganzen Prozentpunkt auf fast null Prozent. Beruhigen konnte sie die Märkte damit nicht.
Außerdem will die Federal Reserve die US-Wirtschaft mit einem 700 Milliarden Dollar schweren Anleihekaufprogramm ankurbeln und Banken vorübergehend Notkredite gewähren. Doch die Fed handelt nicht allein, sondern im Schulterschluss. Sechs führende Notenbanken unterstrichen, dass sie über vergünstigte Bedingungen die Versorgung des Finanzsystems mit der für viele Geschäfte wichtigen Reservewährung US-Dollar sicherstellen. Beteiligt sind die US-Notenbank, die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of England, die Bank of Japan, die Schweizerische Nationalbank SNB und die Bank of Canada. Solche abgestimmten Aktionen führender Notenbanken gab es auch nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 und in der Finanzkrise 2008.
Brüssel hält ebenfalls dagegen. Die EU-Kommission kalkuliert, dass die 27 Mitgliedstaaten zusammen mehrere Hundert Milliarden Euro lockermachen, um die Folgen der Corona-Krise zu begrenzen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat seine Landsleute bereits zur mentalen Generalmobilmachung gegen Corona aufgerufen: „Wir befinden uns im Krieg" – im Krieg gegen das Virus. Brüssel will auch den Stabilitätspakt lockern: Die Staaten können sich dann ohne Limit verschulden. Zudem ist im Gespräch, einen viele Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm aufzuspannen.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es immerhin: Anders als in der Finanzkrise sind viele Banken heute in einer relativ stabilen Verfassung. Im Herbst 2008 hatte die Pleite des US-Instituts Lehman Brothers das eng vernetzte weltweite Finanzsystem erschüttert. Geldhäuser waren bei der Darlehensvergabe viel zu lax, hatten jede Menge faule Kredite in den Büchern und trauten sich gegenseitig nicht mehr über den Weg. Kreditströme drohten auszutrocknen. „Die Krise von 2008 hatte ihren Ursprung im Finanzsystem, unter anderem weil Banken ihre Risiken nicht mehr unter Kontrolle hatten, und griff von dort auf die Gesamtwirtschaft über. Diesmal ist es umgekehrt, und wir können Teil der Lösung sein", sagt Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Ein Versprechen, das in der Krise eingelöst werden muss.