Prof. Dr. Jörg Loth, Vorstand der IKK Südwest und Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG), und Dr. Lutz Hager, ehemaliger Geschäftsführer der IKK Südwest, beschäftigen sich in dem Buch „Patient & Sicherheit" mit neuen Chancen durch Kompetenz und Kommunikation im Behandlungsprozess.
Jedes Jahr sind in Deutschland zwischen 400.000 und 800.000 Menschen von vermeidbaren unerwünschten Ereignissen allein bei der stationären Behandlung betroffen", sagt Jörg Loth. „Davon sterben jährlich 20.000 Patienten. Das sind Werte, die wir alle gemeinsam als Verantwortliche im Gesundheitssystem und als Gesellschaft nicht akzeptieren dürfen." Werte also, die es zu vermeiden gilt. Diese hohe Zahl der unerwünschten Ereignisse bei Behandlungen hat Jörg Loth und Lutz Hager dazu inspiriert, in „Patient & Sicherheit" ein Herausgeberwerk mit Experten aufzulegen. „Man kann sagen, wenn die geltenden Sorgfaltsregeln eingehalten werden, kann eine Vielzahl der unerwünschten Ereignisse vermieden werden", erklärt Loth, der etwa von multiresistenten Keimen spricht, die besonders gefährlich für Patienten sind. Wenn ein Patient ins Krankenhaus komme, der eine bisher unbekannte Penizillinunverträglichkeit habe, seien Komplikationen tragisch, aber nicht vermeidbar. Anders ist es, wenn er zuvor extra angegeben hat, dass eine Unverträglichkeit bei ihm vorliegt. „Es gibt aber auch simple Szenen, in denen Fehler vermeidbar sind, etwa dann, wenn der Patient sieht, dass der Arzt seine Hände nicht desinfiziert und es deshalb zu einem Infekt kommt."
An solchen Stellen müsse man den Patienten schützen und stärken, warnt Loth. Die Beiträge im Fachbuch haben deshalb einen gemeinsamen Zielpunkt: eine stärkere Einbeziehung des Patienten und seiner Angehörigen. Patientenkompetenz soll systematisch ausgebaut und aktiv in den Behandlungsprozess eingebunden werden. Das soll Patienten in die Lage versetzen, Risikosituationen zu erkennen und anzusprechen. Auch außerhalb des Arztkontakts helfen Kommunikation und Kompetenz, Therapietreue zu steigern und Risiken – etwa bei der Medikamenteneinnahme – zu verringern. Dazu haben sich Loth und Hager Unterstützung durch renommierte Autoren geholt. „Da sind einige Koryphäen dabei", sagt Loth. „Wir haben eine gute Mischung aus Wissenschaftlern auf der einen Seite und Praktikern auf der anderen." Das Spektrum ist breit. Hardy Müller vom Aktionsbündnis Patientensicherheit arbeitet hauptberuflich in einer Krankenkasse. Prof. Kirstin Börchers von der Universität Essen ist eine anerkannte Expertin für Medizinmanagement. Auch regionale Zitatgeber kommen im Buch vor. Ministerpräsident Tobias Hans übernimmt gemeinsam mit dem Präsidenten der Berliner Ärztekammer, Dr. Günter Jonitz, das Geleit- und Vorwort. Zudem haben die Herausgeber den Sozialverband VdK mit einbezogen. Das Thema Arzneimitteltherapiesicherheit spielt darüber hinaus eine große Rolle.
Patienten aktiv miteinbeziehen
Alles in allem sei es vor allem wichtig, die Patienten aktiv miteinzubeziehen. „Wir haben hier im Saarland mit PIKKO ein Pilotprojekt, bei dem Patienten bei Krebserkrankungen Onkologie-Lotsen zur Seite gestellt bekommen", sagt Loth. „Es gibt ein Füllhorn an Maßnahmen, wie sich der Patient aktiv einbringen oder wie der Arzt auf den Patienten zugehen kann." Im sogenannten Teach-Back-Verfahren fragt der Arzt regelmäßig nach, ob der Patient alles verstanden habe – eine einfache aber effektive Lösung, die Kommunikation zu verbessern.
Doch weshalb steht der Patient bislang in zu vielen Fällen nicht im Vordergrund der medizinischen Behandlung? „Ich glaube, dass es immer noch eine sehr hohe Hemmschwelle gibt seitens des Patienten, auf den Arzt mit kritischen Fragen zuzugehen", sagt Jörg Loth. „Wir haben in Studien gesehen, dass Patienten zu Beginn einer Operation einen Fehler bemerken und dann sagten, der Arzt werde schon wissen, was er macht. Da ist eine Autorität aus der Vergangenheit da. Es muss Vertrauen in die Behandlung des Arztes vorhanden sein, aber der Patient muss bei einer solchen Beobachtung oder bei Unsicherheit nachfragen."
Hier gibt das Buch Anregungen und Hinweise. Die Beiträge behandeln unter anderem eine Informationsbroschüre für Krankenhauspatienten und Ansätze in der Arzneimitteltherapiesicherheit. Ein Beispiel sind die Beiträge des VdK und Prof. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken: „Dort wird ganz konkret beschrieben, was passieren kann, wenn Patienten von verschiedenen Ärzten Medikamente verordnet bekommen, ohne dass ein Arzt vom Rezept des anderen weiß. Gleiches gilt beim Kauf von mehreren frei verkäuflichen Arzneimitteln in der Apotheke, ohne dass ein pharmakologischer Abgleich zu sogenannten Interaktionen stattfinden konnte", sagt Loth. Die Lektüre versteht sich dank solcher Beiträge also nicht nur als Informationsmedium für die Fachpresse. „Es ist durchaus eine Handreichung für die Patienten selbst", erklärt Loth, der sich wünscht, dass die Öffentlichkeit noch viel stärker in die Prozesse eingebunden wird. Das bundesweite Bündnis Patientensicherheit, das durch das Bundesministerium für Gesundheit unterstützt wird, würde er sich als Institution in den einzelnen Bundesländern wünschen. „Ich war durchaus angenehm überrascht, dass mir die Ärzte in vielen Gesprächen hierzu ihre Unterstützung zugesagt haben. Sie wollen aktiv daran mitarbeiten, dass es uns gelingt, Patienten fitter zu machen, zu befähigen, sie mitzunehmen und einfach auf Augenhöhe zu bringen. Gemeinsam mit der saarländischen Ärztekammer und vielen anderen Akteuren im Gesundheitswesen planen wir konkret, ein solches Aktionsbündnis im Saarland einzurichten". Die bis zu 800.000 vermeidbaren Ereignisse allein in der stationären Behandlung sei eine Zahl, die es tunlichst zu reduzieren gelte. „Die Bundesärztekammer und weitere Organisationen diskutieren jedes Jahr intensiv über Behandlungsfehler", sagt Loth. „Dabei geht es um die Frage, ob es 1.400 oder 1.700 festgestellte Behandlungsfehler pro Jahr gibt. Das ist eine Diskussion, die durchaus geführt werden kann, aber warum redet niemand über die 500-fach höhere Zahl?"
Behandlungsfehler reduzieren
Jörg Loth und Lutz Hager tun es. Sie treten als Herausgeber dafür ein, dass das Thema stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. „Der Patient muss den Mut haben, alle seine Fragen beim Arzt zu stellen und ihn auch auf Fehler hinweisen. Er muss noch mündiger werden. Ziel ist eine individuelle, gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient – und zwar auf Augenhöhe, fordert Jörg Loth. „Und wir merken, dass das Interesse da ist und kontinuierlich zunimmt. Das Buch ist grundsätzlich an die wissenschaftliche Zielgruppe adressiert, aber es interessieren sich auch immer mehr Patienten selbst. Wir bekommen Anfragen auch von Leuten, die nicht bei der IKK versichert sind. Deshalb bin ich froh, dass wir auf diese Weise die wichtigen Informationen weitergeben können."