Mit der Eröffnung des ersten deutschen Autokinos in Gravenbruch bei Frankfurt sprang vor 60 Jahren ein weiterer Funke des American Way of Life und zugleich ein Mythos der US-Kulturgeschichte auf die junge Bundesrepublik über.
Der Wettergott meinte es nicht gut mit den etwa 1.000 Besuchern, die sich als Premierengäste zur Eröffnung des ersten deutschen Autokinos auf einem riesigen von Wald eingerahmten Wiesengrundstück vor den Toren Frankfurts eingefunden hatten. Eine Gewitterfront mit reichlich Niederschlag und heftigen Blitzen beeinträchtigte am Abend des 31. März 1960 im hessischen Gravenbruch nicht unerheblich den Spaßfaktor bei der Vorführung des oscarprämierten Dramas „Der König und ich" mit Yul Brunner und Deborah Kerr in den Hauptrollen. Die Scheibenwischer der Käfer und Isettas, in denen die Insassen von Komfort und Geräumigkeit amerikanischer Cadillacs nur träumen konnten, waren im Dauereinsatz. Und beschlagene Scheiben behinderten die Sicht auf die 540 Quadratmeter große Leinwand.
Auch das Hörvergnügen dürfte recht bescheiden gewesen sein, schließlich erschallte der Filmton lediglich aus kleinen Mono-Lautsprechern. Diese wurden jedem Autobesitzer am Einlass ausgehändigt, nachdem diese jeweils 2,75 Mark berappt hatten. Die kleinen Lautsprecher wurden durchs Seitenfenster an eine der insgesamt 600 über das gesamte Gelände verteilten Stromzapfsäulen angeschlossen. Die Technik war in Gravenbruch bis 1996 State of Art, ehe auch hier die bis heute weltweit in Drive-in-Kinos übliche Übertragung des Filmtons via UKW-Frequenz ins Autoradio eingeführt wurde. Doch trotz alledem waren die bei der Premiere anwesenden Pressevertreter regelrecht aus dem Häuschen. Die „Frankfurter Rundschau" sprach von „unheimlicher Zauberei", die „Welt" von „okkulter Vision".
Die Zuschauerzahlen stiegen kontinuierlich an und bescherten dem Autokino Gravenbruch, das bis heute existiert, in Spitzenjahren bis zu 500.000 Besucher. Der schnelle Erfolg des von einem deutschstämmigen Südafrikaner namens Hermann Franz Passage gegründeten Gravenbrucher Autokinos war auch dem hierzulande neuartigen Verpflegungskonzept geschuldet. Denn gut zehn Jahre vor Etablierung der ersten deutschen McDonalds-Filiale gab es hier schon die ersten Hamburger, wegen denen auch viele im Frankfurter Großraum stationierte US-Soldaten regelmäßig das Autokino aufsuchten. Passage, der in Gravenbruch sicherheitshalber am 29. März 1930 eine Testvorführung organisiert und in das Projekt die stolze Summe von 1,5 Millionen Mark investiert hatte, war kein Newcomer in diesem speziellen Business, sondern hatte in Südafrika schon 20 Autokinos betrieben. Daher konnte er die Gravenbrucher Stadtväter offenbar für seine Idee begeistern, nachdem 1956 noch ein Bevollmächtigter der bekannten US-Filmproduktionsgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer bei ihnen abgeblitzt war. Und das, obwohl dieser dabei jede Menge überzeugender Argumente aus dem längst boomenden US-Drive-in-Cinema-Markt vortragen konnte: Familienfreundlichkeit, Kinder und Hund mit an Bord, Einsparung eines Babysitters, günstige Eintrittspreise, große Freizügigkeit betreffs Kleidung, keine Beschränkungen bezüglich Rauchen, Essen oder Gesprächen während der Filmvorführung, keinerlei Parkplatzprobleme im Unterschied zu klassischen Kinos in Innenstädten.
250.000 Zuschauer strömten allein in den ersten fünf Monaten
Womöglich war die Zeit 1956 einfach noch nicht reif für deutsche Autokinos, wie ein 1954 in Erlangen durchgeführtes Pilotprojekt gezeigt hatte. Damals hatten die meisten Besucher offenbar weniger den Heimatfilm „Schloss Hubertus" in ihren Autos sitzend verfolgt, sondern sich eher im Freien oder auf der Kühlerhaube in trauter Zweisamkeit verlustiert.
Nach Gravenbruch, wo in den ersten fünf Monaten 250.000 Besucher gezählt wurden und sich die Gemeinde schon im ersten Jahr über eine satte „Lustbarkeitssteuer" von 100.000 Mark freuen durfte, dauerte es dennoch einige Jahre, bis in Berlin in urbanem Umfeld 1965 das zweite deutsche Autokino mit Platz für 1.030 Autos auf dem Dach eines Einkaufszentrums in Siemensstadt eröffnet wurde. Auf einer 450 Quadratmeter großen Leinwand aus Eternit- und Glasplatten wurde zum Start der Kriegsabenteuerfilm „Beim siebten Morgengrauen" gezeigt. Wer Hunger verspürte, konnte seine Bestellung beim Verpflegungsservice an den Stromanschlusssäulen mittels Ruftaste durchgeben. Für die kalte Jahreszeit war man schon ganz fortschrittlich mit ausleihbaren Heizlüftern bestens gerüstet.
In den 60er- und 70er-Jahren konnten die deutschen Betreiber von Autokinos richtig gutes Geld verdienen, kein Wunder, dass schon Ende der 60er die meisten größeren Städte der Republik über solche Freilfuft-Etablissements verfügten, meist am Stadtrand gelegen und auf Flächen ansässig, für die es keine sinnvollere Nutzungsmöglichkeit gab. Dennoch sollte die Gesamtzahl der deutschen Autokinos nie über etwa 40 hinausgehen. Gemessen an amerikanischen Verhältnissen mit in der Hochphase Ende der 50er- bis Anfang der 60er-Jahre gut 4.000 vornehmlich in ländlichen Regionen etablierten Drive-in-Kinos ziemlich bescheiden. Im Unterschied zu den USA, wo die Zahl der Autokinos geradezu dramatisch auf heute schätzungsweise etwa 300 zusammengeschmolzen ist, hält sich der Schwund hierzulande in Grenzen – auch wenn es aktuell in der Bundesrepublik nur noch rund 20 Autokinos gibt.
Bis heute gibt es noch etwa 20 Autokinos in Deutschland
Im übrigen Europa sind sie schon komplett verschwunden – auch in Italien, wo im September 1957 in Castelfusano bei Rom das erste Autokino des alten Kontinents seine Pforten geöffnet hatte. Ähnlich wie in den prüden USA, wo sich die Freiluftkinos schnell unter Teenagern zu beliebten Rendezvous-Treffs entwickelten und für die hinterste Reihe in den Autokinos daher der Name „Lover’s Lane", also Liebesspur, gebräuchlich wurde, lernte auch die hiesige Jugend in der sexuell verklemmten Bundesrepublik schnell die Vorzüge dieser Örtlichkeit kennen. Hier konnte man sich relativ ungestört der Erkundung des anderen Geschlechts widmen, was den Autokinos schnell den Spitznamen „Knutschkino" einbrachte. Dementsprechend sahen viele Eltern einem geplanten Autokino-Besuch ihrer Töchter und Söhne mit ziemlich gemischten Gefühlen entgegen oder untersagten ihn gleich ganz – zumindest bis zur Aufweichung der rigiden Sexualmoral infolge der 68er-Bewegung. In den 80er-Jahren begann der weltweite Niedergang der Autokinos, ausgelöst durch den wachsenden Heimvideo-Markt, die Privatisierung des Fernsehens und die Eröffnung moderner Multiplex-Lichtspielhäuser. In Europa wurde zudem die Wiedereinführung der Sommerzeit zum Problem, die den Filmstart im Freien häufig erst sehr spät am Abend möglich machte. Nach der Wiedervereinigung kam es kurzzeitig zu einigen Neueröffnungen in den Neuen Bundesländern. Offenbar herrschte dort noch Nachholbedarf, da es in der DDR nur ein einziges, 1977 in Zempow etabliertes, Autokino gegeben hatte.
Inzwischen schwimmen die hiesigen Autokinos etwas auf der Nostalgiewelle und verzeichnen wieder leicht ansteigende Besucherzahlen. Zum einen, weil auch sie längst mit moderner Leinwand-Technik aufwarten können, zum anderen, weil mobil-temporäre Autokinos mit aufblasbaren Leinwänden einen gewissen Eventcharakter haben. 2017 wurden rund 314.000 Karten verkauft und so ein Umsatz von 2,6 Millionen Euro erzielt. Innerhalb der Kinobranche fristet man damit dennoch nur ein Randdasein. Ohne das lukrative Catering-Geschäft mit Fast Food und Co käme keines der Autokinos über die Runden. Zusätzlich versuchen heute einige Betreiber tagsüber mit Flohmärkten oder Gebrauchtwagenbörsen etwas zusätzliches Geld auf ihrem Areal zu verdienen.
Filmische und musikalische Denkmale fürs Autokino
Die Beach Boys widmeten den Autokinos 1964 den Song „Drive-in", auch in Leinwandstreifen wie „Crease", „Die Ousider" oder „Zurück in die Zukunft III" wurde den Drive-in-Theatern ein filmisches Denkmal gesetzt. Als früher Vorläufer des Autokinos gilt das „De Lux Theater" in Las Cruces in New Mexico, wo 1916 der Film „A Bag of Gold" gezeigt wurde. Als eigentlicher Erfinder der Drive-in-Cinemas wird heute der US-Amerikaner Richard Milton Hollingshead angesehen, der am 6. Juni 1933 in Camden/New Jersey den Film „Wife Aware" auf einer geweißten Steinmauer präsentierte. Schon drei Jahre später musste er sein Kino-Unternehmen allerdings wieder schließen, weil die Anwohner wegen der Lärmbelästigung durch drei große Lautsprecher Sturm gelaufen waren.
Auch Hollingsheads Nachfolger konnten das Lärmproblem nicht lösen. Erst dank der von RCA 1941 entwickelten Mini-Lautsprecher, die in jedes Auto eingehängt werden konnten, war der Weg frei für den Aufstieg der US-Autokinos, deren Zahl zwischen 1947 und 1951 von 155 auf 4.151 geradezu explodierte. Günstige Eintrittspreise von anfangs 25 Cents pro Person machten die sogenannten Ozoners schnell zu einem beliebten und preiswerten Ausflugsziel für Familien, die vor Ort auch noch Zusatzangebote wie Spielplätze, Hotels oder Imbiss-Stände aller Art vorfanden.