Glatt vergessen hätte man die Physio- und Ergotherapeuten wie Logopäden. Sie müssen die Praxen öffnen, können aber Patienten nur helfen, wenn sie ihnen sehr nahe kommen.
Wer „Rücken" hat, hat es derzeit nicht leicht. Schwimmbäder und Fitnessstudios sind geschlossen, der Reha-Sportverein hat dichtgemacht. Bleiben die Praxen für Physio- und Ergotherapie. Wenigstens die haben geöffnet. Aber dass sie laut Bundesgesundheitsministerium offenlassen müssen, ist für die Therapeuten mit den helfenden Händen eher eine Belastung. Laura P., eine erfahrene Physiotherapeutin, sagt: „Wie wollen Sie die 1,5 Meter Abstand zu den Patienten einhalten, wenn jemand mit Rückenbeschwerden kommt?" Die Nähe sei unvermeidbar, da hülfen auch Masken und Desinfektionsmittel nur bedingt. „Aber auch davon gibt es zu wenig – da werden zuerst die Arztpraxen versorgt."
Sie selbst darf keine Termine einfach absagen, sondern nur Empfehlungen aussprechen. „Wir weisen die älteren Patienten auf die Risiken hin, aber wenn jemand trotzdem kommt, können wir ihn nicht wegschicken", sagt sie. Die Gefahr, an den Folgen einer Corona-Infektion zu sterben, ist gerade bei denen, die einen Schlaganfall erlitten haben oder unter rheumatischen und neurologischen Erkrankungen leiden, besonders groß. Sie weiß von Kolleginnen, dass viele Ältere trotzdem kommen, sie beharren auf ihrem festen Termin. Es ist oft ihr einziger in der Woche.
In Lauras Praxis haben 90 Prozent der Patienten abgesagt. Ambulante Behandlungen in Heimen fallen ganz weg, die Einrichtungen sind gesperrt. Die Praxis besteht aus zwei Angestellten und der Chefin. Noch halten sie durch, doch früher oder später wird die Chefin wohl Kurzarbeitergeld beantragen müssen. Wie sie selbst zurechtkommt, wenn die fixen Kosten wie Miete, Versicherungen und Sozialabgaben weiter laufen, weiß niemand. Der Spitzenverband der Heilmittelverbände fordert deswegen Lösungen, „die die Patientenversorgung sichern und Lösungen zur finanziellen Sicherung beispielsweise in Form eines Rettungsschirms für die Gesundheitsberufe."
Die Älteren verzichten ungern auf ihren Termin
Anna M. ist Logopädin. Mit ihrer Praxis zählt sie ebenfalls zu den „Heilmittelerbringern", wie es im Amtsdeutsch heißt. Sie hilft Kindern mit Sprachfehlern, Erwachsenen, die nach einem Schlagabfall wieder sprechen lernen, oder alten Menschen mit Schluckbeschwerden und Kehlkopferkrankungen. Auch sie muss ihre Praxis offenhalten. Dabei haben von 30 festen Patienten 22 wegen des Coronavirus abgesagt. „Eigentlich könnten wir auch schließen, aber wir dürfen nicht." Ihre Praxis gehört zu einem Praxisverbund, sie ist angestellt, aber ihr Chef zögert noch, Kurzarbeitergeld zu beantragen. „Ich habe noch Glück, wenn es hart auf hart kommt", sagt Anna. „Meine Freundin ist selbstständige Logopädin, sie zahlt für ihre Behandlungsräume 2.500 Euro Miete." Anna ist alleinerziehend mit zwei Kindern, die jetzt auch zu Hause bleiben müssen. Eine Notbetreuung, die ihr die Kinder abnimmt, wie für die Kinder von Ärzten oder Pflegepersonal, gibt es für sie nicht.
Logischerweise bringen bei logopädischen Behandlungen Atemschutzmasken überhaupt nichts. „Ich muss den Mund und die Lippen sehen", sagt Anna. Sie freut sich, dass die Krankenkassen seit Mitte März Behandlungen per Facetime oder Skype übernehmen. Das sei für sie eine große Erleichterung.
Einen Ausgleich für den finanziellen Einbruch gibt es dagegen nicht. Ihr Chef dringt darauf, dass sie so viele Patienten behandeln wie möglich. Annas Praxis gehört zu einem Verbund von mehreren Praxen mit unterschiedlicher Ausrichtung. Noch kann sie als Angestellte weiter machen – doch irgendwann wird auch ihr Chef angesichts der hohen Kosten und geringen Einnahmen die Reißleine ziehen müssen. Das bedeute dann Zwangsurlaub mit finanziellen Einschränkungen, meint sie. „Aber da bin ich ja nicht die Einzige, auf die das zukommt."