„Essen ist politisch" – sagen die Kämpfer für eine konsequente Agrarwende. Die anderen kämpfen mit Traktorendemos gegen „Bauernbashing". Zwischen diesen widerstrebenden Interessen steht Reinhold Jost als Vorsitzender der Agrarministerkonferenz.
Corona beherrscht derzeit unser Leben. Themen, die noch vor wenigen Wochen für heftige Debatten gesorgt haben, sind fast schon vergessen. Etwa die großen Bauerndemonstrationen, bei denen es auch um die Frage fairer Lebensmittelpreise und auskömmlicher Einkommen für die Produzenten ging. Dass es heute sicherlich an einigen Tagen kaum Toilettenpapier zu ergattern gab, hat für Verärgerung gesorgt. Von einem wirklichen Engpass in der Versorgung mit Lebensmitteln kann aber keine Rede sein. Und wenn es mal hakt, dann hängt es eher am Transport als an den Produzenten. Was die grundsätzliche Leistungsfähigkeit zeigt. Aber die Diskussion um die Bauernproteste hat deutlich gemacht, dass hier einiges in Schieflage ist.
Saar-Umweltminister Reinhold Jost ist derzeit Vorsitzender der Agrarministerkonferenz. Und in dieser Eigenschaft landet einiges auf seinem Schreibtisch, was vor allem zeigt, dass Agrarpolitik kein isoliertes Feld ist, an dessen Rand Bauern mit grünen Kreuzen symbolisch vor einem Höfesterben warnen. Es geht um Verbraucherschutz und Umweltschutz, um Produktionsmethoden, Wirtschafts- und Handelsstrukturen. Und das auf den unterschiedlichsten Ebenen.
Agrarpolitik ist seit Beginn eine tragende originäre Säule der Europäischen Gemeinschaft, heute EU. Ging es zunächst um die sichere Versorgung der Bevölkerung im Nachkriegseuropa, stehen heute Nahrungsmittelqualität und Umweltschutz ganz oben auf der Agenda. Landschafts-, Natur- und Tierschutz gehören heute zu den selbstverständlichen Aufgaben der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU, die in einem ständigen Veränderungsprozess steht. Über ein Drittel des EU-Budgets geht in die Agrarpolitik, für Beihilfen aber auch die Entwicklung des ländlichen Raums.
Reinhold Jost hat als einen nicht nur symbolischen Akzent deshalb auch erstmals eine gemeinsame Konferenz von Agrar- und Umweltministern organisiert. Nicht nur am Streit um die Düngemittelverordnung, auch in anderen Bereichen hat sich der Tonfall in jüngster Zeit deutlich verschärft. Der Protest der Landwirte mit spektakulären Traktorensternfahrten richtete sich auch gegen ein „Bauernbashing" und „Für mehr Anerkennung, faire Preise, praxisnahe Politik".
Zu Hause im Saarland kann Reinhold Jost auf den höchsten Anteil an Öko-Landwirtschaft blicken, aber auch auf den Traktoren-Demo-Aufzug vor dem Landtag oder von Trekkern blockierte Kreisel. In Berlin betonte Bauernpräsident Joachim Ruckwied mit Blick auf Umwelt- , Klima- und Tierschutzfragen: „Es geht uns nicht um das Ob, sondern um das Wie." Dagegen stehen Natur- und Tierschützer und fordern unter dem Motto „Wir haben es satt" eine grundlegende Agrarwende. Dazwischen versucht Reinhold Jost den Spagat von miteinander reden und im Zweifel klaren Ansagen. Nach einem gesprächsintensiven Jahresauftakt hat die Corona-Krise zwar den Zeitplan für Agrarminister über den Haufen geworden, die Herausforderungen aber bleiben auf der Agenda.