Er ist saarländischer Minister für Umwelt und Verbraucherschutz, trotzdem ist Reinhold Jost unversehens in die Mühlen der Bundespolitik geraten. Glyphosat, Billigfleisch, Gülleverordnung oder Ökolandbau. Themen mit enormer Sprengkraft. Der 53-Jährige hat schon die ersten Fallstricke kennengelernt.
Herr Jost, wir treffen uns wieder mal in Berlin, 700 Kilometer entfernt von der Saar, was fehlt Ihnen hier in Berlin am meisten?
ZuHause ist es nun mal am schönsten, das wird Ihnen jeder sagen, von Ostvorpommern bis zum Saarland. Hier in Berlin ticken die Uhren doch ein bisschen anders, hier ist vor allem immer großer Theaterdonner, das kenne ich aus dem saarländischen Landtag so nicht. Das geht schon los beim Umgang miteinander. Ich war ja mal für drei Monate Bundestagsabgeordneter, bevor ich im Saarland zum Minister berufen wurde. Was mir als Erstes auffiel, war die Unsitte, nicht zu grüßen und meist kurz angebunden und geschäftig aneinander vorbeizulaufen. Dahinter steckt für meine Begriffe auch die Unsicherheit des Gegenübers. Aber es ist natürlich auch ein Privileg, hier als Vorsitzender der Agrarministerkonferenz mit meinen 15 anderen Kollegen und den Vertretern des Bundes diskutieren und arbeiten zu dürfen. Da sind sehr viele erfahrene Leute, von denen man viel lernen kann, und ich spüre, man kann hier auch was bewegen, und das macht natürlich auch Spaß.
Und sind Sie schon dahintergekommen, wer hier in der Bundeshauptstadt die Macht in den Händen hält?
Also so ein alleiniges Machtzentrum gibt es natürlich nicht. Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, das Machtzentrum, das sind die Bürgerinnen und Bürger, das sind die Wähler, die mir ja mit ihrer Stimme überhaupt erst die Möglichkeit gegeben haben, diese Position hier einzunehmen, die ich da gerade bekleide. Da gibt es dann das Parlament, die Regierungen und natürlich die Lobbygruppen, und die ringen dann um die Umsetzung von bestimmten Vorhaben. Mit Lobbygruppen meine ich aber nicht nur die Industrie, sondern im Fall einer Agrarministerkonferenz ist das dann auch der Bauernverband, Land schafft Verbindung, Greenpeace oder andere Umweltverbände. Dabei ist meine Leitlinie: Egal ob im Gespräch mit Wählern, Umweltverbänden oder Industrievertretern, man darf ihnen nicht nach dem Munde reden, sondern muss immer eine eigene Position haben.
Also ist die Macht tatsächlich auf viele aufgeteilt?
Uneingeschränktes Ja. Im Fall des gemeinsamen Treffens der Agrar- und Umweltminister haben Sie schon mal zwei Bundesministerien, die als Machtfaktor am Tisch sitzen, dann haben Sie diverse Umweltgruppen, die berücksichtigt werden wollen. Obendrein meldet die Industrie ihren Bedarf an. Dann sind da die Arbeitnehmer mit ihren Vertretern in diesen beiden Bereichen, und dazu kommen dann noch 16 Länder, die ihre Positionen einbringen. Da gibt es keine Machtzentrale, sondern das sind sehr viele, höchst unterschiedliche Interessen, die unter einen Hut gebracht werden müssen.
Sie haben es gerade erwähnt, die Agrar- und Umweltminister tagten erstmalig zusammen, warum macht das Sinn?
Wir haben in den letzten Jahren gesehen, Umwelt und Landwirtschaft gehören unmittelbar zusammen. Die Landwirte sind ja auch immer mitverantwortlich für die Umwelt, das zeigt allein schon die Debatte um den Einsatz von Glyphosat. Da stehen sich auch Landwirte gegenüber. Da sind die Bio-Bauern, die Glyphosat sofort verbieten wollen, weil der Einsatz ihre Produkte zum Teil ruiniert, wie das ja gerade erst die Imker in einer Demonstration in Berlin eindrucksvoll gezeigt haben. Auf der anderen Seite sind da die Bauern, die in großen Mengen produzieren müssen und auf keinen Fall auf das Glyphosat verzichten wollen. Beziehungsweise verzichten können, weil sie sonst gar nicht die Mengen schaffen, die sie erreichen müssen, um überhaupt von ihrer Arbeit leben zu können. Dazu kommen die Umweltverbände mit ihren Anliegen. Darum macht es Sinn, dass die Agrarminister und ihre Amtskollegen aus dem Umweltressort zusammen an einem Tisch sitzen und gemeinsam eine Strategie beraten. Also auch hier gilt, es ist besser, miteinander zu reden als übereinander.
Warum ist da eigentlich niemand früher draufgekommen?
Das hat sicherlich auch viel damit zu tun, dass wir heute sehr viel bewusster mit dem Begriff Umwelt umgehen und das Ganze heute vermutlich viel übergreifender denken, als man das noch vor zehn Jahren gemacht hat. Dazu gehört auch, dass man bei Landwirtschaft heute nicht nur an die Bewirtschaftung des Landes denkt, sondern, dass heute sehr viel mehr Menschen auch über die Folgen für die Umwelt nachdenken. Wie ich schon sagte, das eine bedingt das andere. Die Menschen wollen ökologisch wertvolle Lebensmittel kaufen, die Nachfrage ist riesig, aber Lebensmittel mit dem Ökosiegel kann nur eine Landwirtschaft herstellen, die umweltgerecht produziert. Das ist aber ganz offensichtlich erst in den letzten Jahren einer breiten Öffentlichkeit bewusst geworden. Sodass ich denke, zukünftig werden sich wohl, nicht immer, aber immer mal wieder, die Landwirtschaftsminister mit ihren Umweltministerkollegen gemeinsam besprechen.
Was ist für Sie das beste Ergebnis des gemeinsamen Agrar– und Umweltministertreffens?
Dass tatsächlich alle bis zum Schluss an einem Tisch sitzen geblieben sind und versucht haben, trotz unterschiedlichster Meinungen, für die zukünftigen Treffen zumindest gemeinsame Fragen zu formulieren und damit schon mal so eine Art Grundstein gelegt haben für eine gemeinsame Lösung. Dabei wird man auf keinen Fall alle unter einen Hut bekommen. Das geht einfach nicht, weil sich in einigen Punkten Naturschutz und Wirtschaftlichkeit nicht vereinbaren lassen. Ich hatte die Beispiele ja schon genannt, Glyphosat oder aber die Düngeverordnung. Da ist es ganz wichtig, dass wir eine einheitliche Verordnung bekommen und nicht einen Flickenteppich aus 16 Bundesländern, wo jeder in seinem Land das irgendwie anders regelt.
Aber bei der Düngeverordnung gibt es doch eigentlich wenig Spielraum für Debatten?
Das ist absolut richtig. Auch wenn ich bei dem einen oder anderen das Gefühl habe, die glauben tatsächlich noch, es ginge weiterhin darum, ob wir das jetzt machen wollen oder nicht. Die Düngeverordnung wird kommen, daran führt kein Weg vorbei, ansonsten drohen Deutschland Strafzahlungen im dreistelligen Millionenbereich. Die Umsetzung der Düngeverordnung regelt eine Verwaltungsvorschrift, und diese Verwaltungsvorschrift müssen wir jetzt erarbeiten. Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn die EU hat uns dafür genau ein halbes Jahr eingeräumt. Jeder, der sich ein bisschen mit Verwaltungsvorschriften auskennt, weiß, das ist zeitlich ambitioniert, aber das kann man schaffen. Darum bin ich als Vorsitzender der Agrarministerkonferenz auch froh, dass Bund und Länder signalisiert haben, dass wir jetzt alle Fragen auch stringent abarbeiten wollen. Ich sage es noch mal ganz klar, es geht hier nicht um die Düngeverordnung, die wird kommen, sondern es geht um die Umsetzung.
Aber trotzdem sehen sich die Landwirte als Fußabtreter bei der Verminderung des Nitrats in den deutschen Böden?
Ich weiß, dass es schwierig wird, diesen Eindruck auszuräumen. Es darf da kein Schwarz-Weiß-Denken geben, hier sind die Guten, da die Bösen. Sondern es geht hier um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe im Bereich der Landwirtschaft im Sinne des Gewässerschutzes, und die müssen wir jetzt angehen. Dort wo die Landwirtschaft Teil des Problems ist, muss die Landwirtschaft dann auch selbstverständlich Teil der Lösung sein. Jetzt geht es um die Frage: Wie bekommen wir das hin? Das geht nur miteinander und nicht gegeneinander.
Warum ist denn gerade bei der Düngeverordnung die Atmosphäre so vergiftet?
Was auffällt: Es geht da gar nicht um Bund gegen Länder oder Rote gegen Grüne oder gegen Schwarze, sondern da sind eine Reihe von Befindlichkeiten verletzt worden. Die Länder fühlten sich zum Teil übergangen, und das hat sich dann immer weiter aufgeschaukelt. Am Ende ist das alles nebensächlich, es geht nicht um Befindlichkeiten, sondern es geht um ein EU-Vertragsverletzungsverfahren und um ein Schutzgut namens Wasser, das wir schon im eigenen Interesse sauber halten sollten. Das ist die Aufgabe, und alles andere ist für mich nachgeordnet.
Aber wenn man sich den Ablauf anschaut, dann liegt es nicht an der Düngeverordnung an sich, sondern an den handelnden Personen?
Na ja, ich bin lang genug im Geschäft und weiß, der eine ist nicht wie der andere. Mein Großvater sagte immer zu mir: Bub, der Herr hat einen großen Garten und da läuft viel rum. Ich habe gelernt, mit den Leuten auszukommen, die da sind. Das geht, wenn man die richtige Einstellung hat, und vor allem darf man sich nicht über alles ärgern, was da um einen herum geschieht. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die Düngeverordnung an sich ist ein schwieriges Unterfangen, weil dort Naturschutz- und Wirtschaftsinteressen vereinbart werden sollen.
Eine weitere Baustelle von Ihnen ist der Ausbau des Ökolandbaus, da dürften Sie ja auch auf Widerstand stoßen?
Das ist kein Selbstläufer, sondern eine Daueraufgabe. Doch der Ökolandbau allein reicht ja nicht, da geht es dann ja auch um die Förderung des regionalen Absatzes der Produkte und damit zum Beispiel auch um die Entwicklung der benachteiligten ländlichen Räume. Also das ist kein Spurt, sondern dafür braucht man einen langen Atem. Ich werde das auch immer wieder auf den entsprechenden Konferenzen vortragen. Ich weiß in diesem Bereich die Verbraucher auf meiner Seite. Die Menschen wollen mehr Bioprodukte. Die Produkte schmecken gut, die Wertschöpfung bleibt vor Ort, und der ökologische Anbau ist gut für die Biodiversität, den Boden- und Gewässerschutz. Diese steigende Nachfrage nach Bio wird meine Arbeit nicht erleichtern, aber auf jeden Fall unterstützen.
Weiteres Ärgernis sind die Lebensmittelpreise, Sie fordern ein Verbot, Lebensmittel unter ihrem Produktionspreis zu verkaufen?
Diese Diskussion zeigt auch wieder, wie eng Landwirtschaft, Umwelt- und Verbraucherschutz zusammenhängen. Ich finde es schon ein Stück weit beschämend, wenn Unternehmen mit dem Slogan „wir lieben Lebensmittel" werben und dann den Liter Milch für unter 50 Cent verscheuern. Das kann schon von den Produktionskosten her nicht funktionieren, das hat nichts mit Wertschätzung von Lebensmitteln zu tun. Wir müssen aus dieser Billigheimer-Mentalität rauskommen, und deswegen bin ich auch ganz klar für ein Verbot von entsprechender Werbung für Billigpreise von Nahrungsmitteln. Wir sollten uns da anderen EU-Staaten anschließen, die Möglichkeit gibt es. Es gibt auch Gesetze gegen den unlauteren Wettbewerb, wonach man keine Produkte unterhalb des Entstehungspreises verkaufen darf.
Sind die Konzerne zu mächtig oder die Landwirtschaftsminister der Länder zu schwach?
Ersteres. Die Marktmacht der großen Einzelhändler, die Marktmacht der Nahrungsmittelindustrie gegenüber den Landwirten ist viel zu groß. Die Landwirte sind bei den entsprechenden Verhandlungen am Ende immer die Unterlegenen, die am ausgestreckten Arm verhungern. Das kann so nicht sein, darum müssen wir als Gesetzgeber die vorhandenen Instrumentarien nutzen, zum Beispiel mithilfe des Kartellrechts gegen solche Dumpingverhandlungen vorgehen. Das kann der Bauernverband nicht allein bewerkstelligen, da muss die Politik mitwirken.
Wie schwierig ist in dieser Angelegenheit der Umgang mit Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, ihr wird ja immer eine gewisse Nähe zu den Konzernen nachgesagt?
Also ich komme mit Julia Klöckner gut hin, wir tauschen uns politisch aus. Sie hat mich zum Beispiel bei der Vorbereitung des ersten gemeinsamen Umwelt- und Agrarministertreffens konstruktiv unterstützt. Natürlich gibt es viele Punkte, da bin ich mit ihr nicht einer Meinung, doch das geht mir in der einen oder anderen Frage auch so mit meinen eigenen Parteifreunden. Aber eines ist klar: Die Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen. Also, statt miteinander zu reden, übereinander herzuziehen. Ständig irgendwelche Schuldzuweisungen über die Medien zu lancieren, hilft niemandem weiter, schon gar nicht den Landwirten und den Verbrauchern. Und bei der Umsetzung der Düngeverordnung haben wir eine klare Lage. Die Bundesrepublik Deutschland sagt immer gern den anderen Europäern, wie sie sich rechtskonform zu verhalten haben. Jetzt sind aber wir wegen eines Vertragsverletzungsverfahrens rechtskräftig verurteilt. Also wir Deutsche setzen nicht das um, was wir immer gern von anderen verlangen. Das kann nicht funktionieren, wollen wir in Europa in den Augen der anderen Partner glaubwürdig sein.