Schauspielerin Marijam Agischewa wurde in China geboren und wuchs nach der Flucht vor Maos Kulturrevolution in Ostberlin auf.
Man sah sie schon im „Tatort" sowie in Herz-Schmerz-Storys nach Buchvorlagen von Rosamunde Pilcher. Einem breiten Publikum ist sie seit Ausstrahlung der Fernsehserie „Treffpunkt Flughafen" in den 80er-Jahren ein Begriff: Marijam Agischewa (eigentlich: Melan Schwarz) zählt nicht nur zu den profiliertesten Miminnen des Landes. Dieses ausdrucksstarke schöne Gesicht merkt man sich einfach. Aktuell spielt sie in der ARD-Serie „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte" eine taffe Chefärztin. Was viele nicht wissen: Agischewa ist österreichische Staatsbürgerin und wurde im chinesischen Hangzhou geboren.
„Schon seit meinem zweiten Lebensjahr bin ich aber in Berlin. Mein Vater war österreichischer Diplomat, der in China arbeitete. 1960 nahm er einen Lehrstuhl an der Berliner Humboldt-Uni an", blickt die Tochter einer Tatarin zurück. Es sei kein normaler Umzug gewesen, sondern eine Flucht vor Mao Zedongs Kulturrevolution, die alles Bürgerliche und Traditionelle ächtete und mindestens eine halbe Million Todesopfer forderte. „Wären wir geblieben, hätten wir das sicher nicht überlebt. Wir verließen China in letzter Sekunde." Doch die Aura des Landes begleitete die Kindheit Agischewas in der DDR. „Dazu gehörte Vaters riesige chinesische Bibliothek und dass ich als Mädchen noch mit Stäbchen aß. Das war ganz normal für mich." Einmal noch – 1988 – besuchte die Berlinerin Hangzhou, eine Neun-Millionen-Stadt in der Nähe von Shanghai.
In der früheren DDR-Hauptstadt habe sie eine ganz normale Ostberliner Kindheit verlebt, so Marijam Agischewa. Doch als die bildschöne junge Frau 1975 vom Schulhof weg für den Fernsehfilm „Geschwister" entdeckt wurde, veränderte sich alles. „Da war ich gerade mal 16", schmunzelt Agischewa. Auch 45 Jahre später sieht sie aus wie das blühende Leben. Ihre 61 Jahre sieht man der Mimin nicht an.
Im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain wuchs sie auf. „Ich bin in der Nähe der früheren Brauerei an der Leninallee, heute Landsberger Allee, groß geworden. Später eröffnete dort vis-à-vis das Sport- und Erholungszentrum, dahinter lag der Volkspark Friedrichshain", erinnert sich Marijam Agischewa. „Doch auch das Fontane-Land, sprich die Mark Brandenburg, war mir früh vertraut. Meine Eltern hatten ein Haus am Ruppiner See in Wustrau", schwärmt die Berlinerin von ihrer Kindheit.
„Meine Familie bleibt zurzeit so viel wie möglich zu Hause"
Bis heute sei sie oft im Brandenburgischen unterwegs: „Mein Mann und ich, wir lieben Potsdam, sitzen im Sommer gern draußen am Nauener Tor, besuchen jede neue Ausstellung im Kunstmuseum Barberini oder genießen das Flair im Holländischen Viertel." Die Havelregion erkundet das Paar gern per Ausflugskahn.
Doch alle Wege führen zurück nach Berlin, wo sie mit ihrer besseren Hälfte Georg Alexander, einem früheren ZDF-Filmchef, im schicken Stadtteil Wilmersdorf lebt. „Berlin bedeutet für mich wirklich Heimat. Jeder Bezirk hat seine eigene Dynamik und eine spezielle Ausstrahlung. Wir haben so viele Kieze, so viel Grün", schwärmt die Frau, die privat und dienstbedingt schon die halbe Welt sah. Doch in der aktuellen Corona-Krise hat auch Marijam Agischewa ihre Gewohnheiten verändert. „Ich bin ein Mensch, der sehr gern unterwegs ist. Ich liebe es, die vielzähligen Kulturangebote in Berlin zu nutzen und mag es sehr, mit Freunden kleine, neue Restaurants auszuprobieren. Das muss jetzt ausgesetzt werden. Das finde ich absolut notwendig", betont die Darstellerin. „Meine Familie bleibt zurzeit so viel wie möglich zu Hause. Wir haben uns schon vor 14 Tagen darüber verständigt, körperliche Kontakte wegzulassen. Im Supermarkt bitte ich Menschen manchmal darum, etwas mehr Abstand zu respektieren", sagt die Berlinerin. Dies sei die einzige Chance, die Verbreitung des Coronavirus zu beeinflussen.
Im früheren Ostberlin startete Agischewas Karriere. Ursprünglich wollte sie Archäologie oder Landschaftsarchitektur studieren, wie sie sagt. Doch erstens waren entsprechende Studienplätze rar und zweitens nach frühen Filmerfolgen die Würfel zugunsten der Schauspielerei gefallen.
„Ich war ja nicht ganz unbegabt. Da lag das Studium an der Schauspielschule Ernst Busch auf der Hand. Als junger Mensch macht man sich über seine Zukunft vielleicht auch nicht so lange Gedanken, sondern macht einfach", blickt die Mutter einer Tochter zurück. Heute würde sie wohl eher in die Wirtschaft gehen, sagt die Darstellerin nachdenklich. Ihr heutiger Beruf sei zwar spannend und schön, doch zuweilen auch unstet und unsicher.
Marijam Agischewa war in der DDR von Beginn an erfolgreich. Das Publikum kürte sie zum „Fernsehliebling". Trotz des Erfolgs kehrte Marijam Agischewa 1989 nach einer genehmigten USA-Reise nicht in die DDR zurück. Ost-Filme hätten sich damals immer mehr von der Realität entfernt, eine künstlerische Weiterentwicklung schien unmöglich, so die Begründung. „Ich habe lange mit dieser Entscheidung gerungen. Schule, Studium, das Erlernen meines Berufs – ich hatte diesem Staat auch einiges zu verdanken. Doch Dinge müssen sich bei mir immer bewegen. Und in diesem starren Land bewegte sich nichts mehr." Dazu sei der Stress gekommen, einfachste Lebensmittel und Konsumgüter zu ergattern. „Ich flitzte beispielsweise dreimal täglich in unsere Kaufhalle, um irgendwann Milch für mein Baby zu bekommen. Diese Nervereien summierten sich", sagt sie seufzend. Ihren Weg nach Westberlin schildert sie als hart und ungemütlich.
„Das zu spielen, ist eine Herausforderung"
„Dieser Weg führte unter anderem auch durchs Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde. Doch für mich war es der einzig richtige Schritt, denn ich erweiterte meinen Horizont und bekam neue Chancen in Film und Fernsehen." Und nicht zu vergessen: Im Oktober 1989 lernte sie beim WDR ihren Ehemann kennen. „Ich habe mich dort als Schauspielerin vorgestellt. Einer der Redakteure, mit denen ich sprach, war Georg", erinnert sich die Filmkünstlerin.
Die kommt natürlich noch auf ihre aktuelle Fernsehrolle zu sprechen, die sie seit 2015 spielt: die souveräne TV-Ärztin Professor Dr. Karin Patzelt aus „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte". Gedreht wird normalerweise das ganze Jahr über in Erfurt. Wegen Corona sind die Dreharbeiten derzeit allerdings unterbrochen.
„Besonders mag ich die Szenen, in denen der Mensch hinter dem Prof. Dr. erscheint. Das zu spielen, ist für mich die Herausforderung", gibt Marijam Agischewa Einblicke in ihre Arbeit. Besonders schätze sie, dass ihre eigenen Vorschläge immer öfter ins Drehbuch einfließen.
Damit OPs und Krankenhaus-Szenen realistisch dargestellt werden, ist medizinisches Personal vor Ort. „Eine echte OP-Schwester ist beim Dreh immer dabei, damit ich beispielsweise das Skalpell richtig halte. Einige Abläufe habe ich bis zum Abwinken geübt", plaudert die Mimin aus dem Filmalltag in Thüringen. Letztlich sei die erfolgreiche Serie jedoch Unterhaltung und keine Klinik-Doku.
Einmal habe sie um ein Haar im richtigen Leben Erste Hilfe leisten müssen – auf der Zugfahrt zum Drehort Erfurt. „Im ICE kam wegen eines Notfalls die Durchsage, ob ein Arzt an Bord sei. Ich habe kurz gezuckt, mich zu melden, sagte dann dem Zugbegleiter auch, dass er sich melden solle, falls sonst niemand helfen kann." Fünf Jahre Arzt-Rolle unter fachlicher Anleitung – da sei das eine oder andere hängengeblieben, lacht die charmante Marijam Agischewa.