Wissenschaft und Wirtschaft setzen schon länger auf Teamlösungen. So sollen wir besser arbeiten – aber stimmt das tatsächlich? Gute Teams brauchen eine spezielle Dynamik und jeder Einzelne vor allem eine gewisse Sicherheit.
Wie Teams gestaltet werden müssen, damit sie gut funktionieren, fragt man sich seit jeher. Auch Google hat sich diese Frage gestellt. Als das Unternehmen 1997 online ging, dachten die Entwickler Larry Page und Sergey Brin, sie müssten nur die besten Leute anheuern und daraus würden sich auch die besten Teams ergeben. Weil das nicht so war, starteten sie 2012 das sogenannte Projekt Aristoteles. Angelehnt an das Zitat des Philosophen „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile". Mithilfe von Psychologen, Statistikern, Soziologen und Ingenieuren und mit einem Millionenaufwand wurden zwei Jahre lang 180 Teams untersucht, um herauszufinden, wie sie am besten funktionieren. Dabei kamen Fragen auf wie, ob ein Team besser gelingt, wenn alle Mitglieder ähnliche Interessen oder Hobbys haben? Funktioniert eine Mischung aus Intro- und Extrovertierten am besten? Wird die Arbeit besser, wenn sich die Teammitglieder auch privat treffen? Das Frustrierende: All diese Aspekte hatten keinen Einfluss auf die Qualität der Teamarbeit. Weder die Fähigkeiten noch das Wissen oder die Motivation auf individueller Ebene schienen zu beeinflussen, ob ein Team erfolgreicher war als andere.
Auch die Frage, was überhaupt ein effektives Team ist, war gar nicht so leicht zu definieren. Studienleiterin Julia Rozovsky stellte schnell fest, dass sich die Antworten unterschieden, je nachdem, wen sie fragte. Rozovsky hat die obere Führungsebene, die mittleren Teamleiter und die einzelnen Mitarbeiter gefragt, wann sie ein Team für effektiv halten. Für die obere Führungsschicht war entscheidend, dass ein Team Ergebnisse liefert – und zwar termingerecht und in hoher Qualität. Die Teamleader legten Wert auf klare Zielvorgaben, Struktur, ein gewisses Maß an Autonomie und Gemeinschaftssinn. Den einzelnen Mitarbeitern war vor allem die Kultur wichtig, dass sie sich im Team wohlfühlen. Schließlich konzentrierte sich die Studienleiterin auf die ungeschriebenen Gesetze, die Psychologen Gruppennormen nennen und die entscheidend sind.
Keine leichte Definition
Letztlich konnten sie die fünf Gruppennormen identifizieren, die den größten Einfluss auf die Teams und deren Erfolg hatten. An fünfter Stelle kam Einfluss und Effekt der Arbeit. Dabei geht es um die Frage, ob man die eigene Arbeit als wichtig einstuft. Auch der individuelle Beitrag muss relevant sein und gesehen werden, genauso wie der Beitrag des Teams. Neben der Wirkung gab es einen vierten verwandten Punkt: Sinn. Arbeiten wir an etwas, dass jedem im Team persönlich wichtig ist, fragten sich die Teilnehmer. Erkennen die Mitglieder Sinn in ihrer Arbeit selbst oder deren Ergebnissen? Der Sinn kann sich individuell stark unterscheiden, aber andere Studien deuten darauf hin, dass er als „tiefer" empfunden wird, wenn die Arbeitsergebnisse mit einem Mehrwert für die Gesellschaft verknüpft sind. Ein dritter wichtiger Baustein waren Struktur und Klarheit. Hier geht es darum, ob die Ziele, die Rollenverteilung und die Ausführungswege im Team klar sind. Die einzelnen Teammitglieder sind sich klar, welche Erwartungen an sie gestellt werden, wie sie diese erfüllen können. Sie wissen, an welchen kurz- und langfristigen Zielen das Team arbeitet. Der zweitwichtigste Faktor war Verlässlichkeit, also die Frage: Können wir uns darauf verlassen, dass jeder seine Arbeit pünktlich und gut erledigt? In zuverlässigen Teams sind alle Mitglieder diesem verpflichtet, sind gewissenhaft und übernehmen Verantwortung. Tatsächlich war es aber der erste und wichtigste Faktor, der dazu führte, dass für Julia Rozovsky und ihre Kollegen plötzlich alles Sinn ergab. Die meisten Angestellten hatten nämlich vor allem darüber gesprochen, wie sie sich in unterschiedlichen Teams fühlten. „Und das machte richtig viel Sinn für mich, vielleicht auch aufgrund meiner eigenen Erfahrungen in Yale", erzählte Rozovsky gegenüber der „New York Times". „Ich war in einigen Teams, die mich komplett ausgelaugt zurückließen und in anderen bekam ich Energie von der Gruppe." In ihrer Studiengruppe in Yale etwa wurde hart darum gekämpft, wer die Gruppe führt, und ständig wurde versucht, an anderen Mitgliedern Kritikpunkte zu finden.
In einem anderen Team hingegen freuten sich die Mitglieder über die Ideen der anderen, machten auch mal Scherze und hatten eine gute Zeit. Alle konnten sich daher entspannt fühlen und Energie aus der Gruppe gewinnen.
„Psychologische Sicherheit" ist der Fachbegriff für den wichtigsten Faktor, den Google fand. Der Begriff wurde von der Harvard-Psychologin Amy Edmondson geprägt und bedeutet, dass man sich im Team aufgehoben genug fühlt, um Risiken einzugehen und sich auch verletzlich zu zeigen. Ist die psychologische Sicherheit im Team gegeben, kann man auch mal eine verrückte oder halbgare Idee in den Raum werfen oder zugeben, dass man gerade ein großes Problem mit etwas hat. Die Mitglieder vertrauen darauf, dass einen die anderen deshalb nicht abwerten oder für inkompetent halten. Sie glauben, im Team Risiken eingehen zu können, ohne sich unsicher fühlen zu müssen. Amy Edmondson und ihre Kollegen konnten in einer Studie beispielsweise zeigen, dass Gruppen schneller lernen, wenn sie Fehler offen diskutierten und Status und Machtverhältnisse nebensächlich waren.
Bessere Arbeit mit „tieferem" Sinn
Eben diese psychologische Sicherheit, der wichtigste und wirkmächtigste Einflussfaktor ist längst nicht in allen Teams gegeben. So übersehen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in ihren Bemühungen um Teamlösungen nicht selten, dass die nicht nur nicht besonders gut funktionieren könnten, sondern möglicherweise Nachteile mit sich bringen. In der Arbeits- und Organisationspsychologie wird ein Team nach den Professoren Friedemann Nerdinger, Gerhard Blickle und Niclas Scharper als „gut eingespielte Gruppe mit problemlos funktionierender Kooperation, geringer hierarchischer Binnenstruktur und intensiver Bindung der Mitglieder an das gemeinsame Ziel" definiert. Schnell wird klar, so manches, was wir als Team bezeichnen würden, ist nach diesem Maßstab eigentlich bloß eine Gruppe. Weit verbreitet ist die Annahme, dass Gruppenarbeit gegenüber Einzelarbeit gravierende Vorteile habe. Erhofft man sich doch dadurch Informationen anders verarbeiten, Komplexes besser bewältigen und Innovatives hervorbringen zu können. Und natürlich motiviertere Mitarbeiter. Für letztere jedoch gilt: Bislang wurden mehr Motivationsprobleme als -gewinne in Gruppen nachgewiesen, und die sind auch noch besser belegt. So gibt es etwa den sogenannten Sucker-Effekt: Man will nicht der „Dumme" sein und als Einziger arbeiten während die anderen sich drücken. Auch Social Loafing, also eine Art soziales Faulenzen, weil sich keiner für das Gruppenergebnis verantwortlich fühlt, und den Free-Riding-Effekt, bei dem Gruppenmitglieder andere arbeiten lassen, um von ihnen zu profitieren, führen die Arbeits- und Organisationspsychologen Nerdinger, Blickle und Scharper an. Die Arbeit in Gruppen und die dort ablaufende Gruppendynamik werde schnell komplex, die Leistung sei nicht leicht zu messen und das Führen von Gruppen deutlich schwieriger als das einzelner Mitarbeiter.
Teams, so scheint es, sind bei Weitem kein Allheilmittel, und sie fordern auch den Einzelnen. Nicht jeder kann und will sich einfügen, mancher braucht mehr Ruhe beim Arbeiten und ist so effizienter als in der Gruppe. Dennoch kommt kaum eine Stellenanzeige ohne die Voraussetzung „Teamfähigkeit" aus, und die meisten Bewerber versichern, sie seien absolute Teamplayer. Aber was macht Teamplayer eigentlich aus? Das Jobportal Stepstone rät dazu, sich selbst oder potenzielle Bewerber auf folgende Fähigkeiten zu prüfen. Zuverlässigkeit, Rücksichtnahme und Kritikfähigkeit sind Eigenschaften, die man mitbringen sollte. Wer Fehler nicht eingestehen kann und nicht daraus lernt, behindert das Vorankommen. Ein rücksichtsvoller Umgang miteinander ist notwendig, damit jeder den Mut hat, sich einzubringen, Ideen und Vorschläge zu machen und die eigene Meinung zu vertreten. Dafür muss man sich selbst auch mal zurücknehmen können. Auch wer immer nur den eigenen Kopf durchsetzen will, wird es in einem Team schwer haben – hier ist Kompromissbereitschaft gefragt. Gleichzeitig sollte man aber nicht bloß klein beigeben, sondern sich wenn nötig auch auseinandersetzen können. Eine gewisse Meinungsstärke kann Teams davor bewahren in die falsche Richtung zu laufen oder wichtige Einwände zu übersehen. Weil Teamarbeit oft langwierig und anstrengend sein kann, sollte man in der Lage sein, sich mit einer guten Portion Durchhaltevermögen durch solche Phasen durchmanövrieren zu können. Ein Teamplayer glaubt an das Ziel und setzt sich für dessen Erreichung ein. Er oder sie engagiert sich und wälzt die Arbeit nicht auf dem Rücken der Kollegen ab.
Sich selbst auch mal zurücknehmen
Hört sich gut an, doch die Praxis zeigt, vieles ist nicht so einfach umzusetzen. Ob ein Team funktioniert, hängt von zahlreichen unterschiedlichen Faktoren ab – manche liegen in unserer Hand, andere nicht. So schön der Gedanke des Projekt Artistoteles auch klingen mag, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, lässt sich längst nicht bei jedem Team sagen.