Dass der Trenchcoat auch diesen Sommer der Trendmantel Nummer eins wird, dürfte wenig überraschen. Wohl aber die Innovationen des Klassikers, die von geschlitzten Ärmeln über ein gekapptes Vorderteil bis hin zur Verwendung von Tüllmaterial reichen. Und die Trench-Dresses nicht zu vergessen.
Wenn Anna Wintour, die legendäre Grande Dame des internationalen Fashion-Business in ihrer Funktion als US-„Vogue"-Chefredakteurin den Trenchcoat neben Flats und Shorts zum wichtigsten Trend der kommenden Sommersaison kürt, will das etwas heißen. Nicht sonderlich überraschend dürfte dabei sein, dass mit dem Trench genau diese Mantel-Variante wieder die Nase vorn haben wird. Bei ihrem Streifzug durch die zahllosen Kollektionen ist Mrs Wintour nicht entgangen, dass speziell dieser Klassiker das besondere Interesse vieler Designer auf sich gezogen hat, die ihn dabei teilweise so grundlegend neu gestaltet haben, das dabei kaum mehr das Original durchzuscheinen vermag. Es wird diesen Sommer aber auch jede Menge schlicht-minimalistisch im Casual Chic gehaltene Modelle geben, die sogar dem Trenchcoat-Erfinder Thomas Burberry sicherlich gefallen würden.
Die Nachfrage nach neuen Trenchcoats scheint diesen Sommer extrem hoch zu sein. So vermeldete die Londoner Fashion-Onlineplattform
„modaoperandi.com" unlängst bereits einen Sprung der Verkaufszahlen um 140 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wobei sich vor allem die Mäntel von Loewe, J. W. Anderson und Proenza Schuler großer Nachfrage erfreut hätten. „Harper’s Bazaar" hat seinen Leserinnen jüngst, noch vor der Corona-Krise, einen hochinteressanten Best-Buy-Tipp gegeben: Einen puristischen Trenchcoat in A-Linien-Schnitt von Rejina Pyo/Label Mix Capsule für weniger als 200 Pfund, den man auf verschiedenen internationalen Web-Portalen erstehen kann.
Wir möchten im Folgenden nicht in erster Linie auf die aktuell unübersehbare Vielzahl von mega-hochpreisigen Leder-Trenchcoats von Hermès, Joseph und Prada über Vetements und Dorothe Schumacher bis hin zu Loewe, Boss oder Tod’s oder die zahlreichen Trenchcoats mit Karomuster (schöne Pieces von Paul Smith, Topshsop, Burberry, Marc Cain oder Rokh) hinweisen. Auch nicht auf die vielen Modelle im Oversize-Format oder die in allen nur erdenklichen Farben abseits des traditionellen Beiges verfügbaren Varianten. Schon eher möchten wir von den Trenchcoats im Patchwork-Stil aus unterschiedlichen Materialien wie von Burberry, Junya Watanabe, Proenza Schouler, Tibi oder Unravel, Mustern (wie bei Ports 1961) und teils asymmetrischen Schnitten sprechen. Die mit Puffärmeln aufgehübschten oder wechselseitig tragbaren Trenches nicht zu vergessen.
Der Patchworkstil ist stark gefragt
Und noch viel Aufmerksamkeit verdienen die dekonstruierten Stücke, die mal ganz ärmellos daherkommen wie bei J. W. Anderson, Maison Margiela oder wie bei Givenchy, wo Clare Waight Keller dem Trenchcoat zusätzlich eine gewachste Oberfläche verpasst hat, mal die Ärmel gänzlich aufgeschlitzt sind, die Trenchcoats mal Richtung Blazer oder Jacke abgewandelt sind oder an der Vorderseite einfach radikal ihres Materials beraubt wurden. Von den Trenchcoats aus wenig wasserfesten Materialien wie Tüll, Satin oder Seidenorganza ganz zu schweigen.
Der Japaner Junya Watanabe trieb das Ganze auf die Spitze, indem er scheinbar einen schlichten beigefarbenen Trenchcoat komplett auseinandergenommen und danach zu einem pfiffigen Ballkleid zusammengesetzt hat. Vom Dekonstruieren und Neukomponieren eines klassischen Stücks hat die Mode seit jeher immer wieder neue Impulse erhalten. Auch wenn diese Vorgehensweise vor allem ein besonderes Kennzeichen der Avantgarde war. Diesen Sommer hat es den Anschein, als ob sich eine vergleichsweise große Zahl von Designern in diese gewagte Ecke vorgetraut hat und nun versucht, am Beispiel des Trenchcoats eine tragbare Avantgarde-Mode zu präsentieren. Ob die normale Kundin bereit ist, in solche Statement-Trenchcoats zu investieren, deren Alltagstauglichkeit doch sehr infrage gestellt werden kann, bleibt abzuwarten.
Ganz anders sieht es diesbezüglich mit den neuen Trench-Dresses aus, die dank Details wie Volants am Saum beispielsweise bei Modellen von Valentino, Cut Outs, Rüschen (wie bei Simone Rocha), kurzen Ärmeln, Plisseefaltung oder Spaghetti-Trägern tatsächlich wie richtige Kleider wirken. Manche Brands wie Tod’s, Bottega Veneta oder Agnona haben sogar gänzlich auf spezielle Kleider-Elemente verzichtet und stattdessen ihre Mäntel aus so dünnem Material oder weichem Leder gearbeitet, dass die Coats problemlos als normale Kleider getragen werden können. Die Frage, ob das aktuelle Dekonstruieren des Trenchcoats wirklich sein musste, mag sich durchaus stellen. Aber die lapidare Antwort darauf kann eigentlich nur lauten: „C’est la mode!"
Avantgarde-Mode, die tragbar sein soll
Was würde wohl Thomas Burberry (1835–1926), der Erfinder des Mantelklassikers, zu all dem sagen? Wahrscheinlich würde er sich zunächst mal grundsätzlich darüber wundern, dass der Coat aus der extrem maskulinen Herrenabteilung überhaupt den beschwerlichen Weg in die Damenmode bewältigen konnte. Basis seiner Mantel-Innovation war 1879 seine Entdeckung des Stoffes Gabardine, der noch heute bei vielen Trenches neben anderen Materialien wie Baumwolle, Leder, Vinyl oder Kunstfasern verarbeitet wird. Aus seinem ersten, 1895 vorgestellten und 1912 patentierten Modell namens „The Tielocken" wurde wenig später durch den Zusatz von Schulterklappen, Gürtel und D-förmigen Schnallen der noch heute bekannte Trenchcoat, der dank der massenhaften Bestellung durch die britische Armee in Windeseile zu einem Bestseller wurde.
Wegen seines Einsatzes in den Schützengräben (englisch: trench) während des Ersten Weltkriegs erhielt er seinen Namen „Trenchcoat" und bestand etwa in der gleichen Zeit auch bei den Antarktis-Expeditionen etwa von Roald Amundsen seine Feuertaufe in Sachen Widerstandsfähigkeit, zumal man ihm wenig später auch noch einen Regenblende-Schlitz im Rücken und eine zweite Lage Stoff über der Schulterpartie, Koller genannt, verpasst hatte. Das für Burberry typische Check-Muster-Innenfutter sollte erst in den 20er-Jahren hinzugefügt werden. Der Trenchcoat war damals so etwas wie eine modische Revolution im Bereich der Funktionskleidung und wurde nicht zuletzt dank Humphrey Bogart im 1942 gedrehten Kultfilm „Casablanca" in der Herrenwelt sehr populär. In der Damenmode schaffte er seinen Durchbruch vor allem dank Audrey Hepburn im Leinwandklassiker „Frühstück bei Tiffany" 1961 und wurde danach dank Filmikonen wie Brigitte Bardot, Sophia Loren oder Catherine Deneuve zu einem zeitlosen Must-have des Damenkeiderschranks.