Das Coronavirus hat Europa kalt erwischt. Seuchen waren auf unserem Kontinent nicht vorgesehen. Ebola oder Sars, das war doch in Afrika oder Asien, also weit weg von uns.
Entsprechend hilflos waren die ersten Reaktionen in der Europäischen Union. Schon heute lässt sich sagen, vieles kam zu langsam und war zu egoistisch. Die Exportverbote für Atemmasken und die abrupte Schließung von Grenzen wird bei den Menschen noch länger in Erinnerung bleiben. Europa fand in der ersten Phase schlichtweg nicht statt. Langsam dämmert es in den Mitgliedsstaaten der EU, dass dieser Virus keinen nationalen Pass hat. Nur durch Kooperation über die Grenzen hinweg ist diese Pandemie zu bezwingen. Wo Not ist, wächst auch das Rettende! Diese Weisheit ist auch jetzt zu beobachten. Mittlerweile gibt es erste Anzeichen der grenzenlosen Solidarität. Corona-Patienten werden auch in der Krankenhäusern anderer Länder versorgt, Exportverbote sind aufgehoben und die Lkw-Schlangen mit wichtigen Gütern werden kürzer.
Ärgernisse bleiben dennoch. In diesen Tagen könnten wir das 25. Jubiläum des Schengen-Vertrages feiern. Just in diesem Moment sind die Grenzkontrollen im Schengener-Land wieder da oder die Grenzen sind ganz geschlossen. Diese Maßnahmen sind ein nationaler Reflex und nicht immer sinnvoll oder logisch. Warum können Bürger und Bürgerinnen nicht von Kleinrosseln (Pétite Rosselle, Frankreich) nach Großrosseln (Saarland) fahren, um im Lebensmittelmarkt den täglichen Bedarf zu decken? Das Département Moselle ist kein Hochrisikogebiet. Nur weil es in Grand Est liegt? Dann müsste man auch Nordrhein-Westfalen absperren, weil Heinsberg in diesem Land liegt.
Grenzschließungen sind ein nationaler Reflex
Europäische Solidarität muss jetzt auch auf finanzieller und wirtschaftlicher Ebene gezeigt werden. Die Starken können die Krise überleben, die Schwachen werden auf der Strecke bleiben, wenn nicht gegengesteuert wird. Das gilt für Menschen, Unternehmen wie auch Staaten. Das gemeinsame „Wir" in Europa braucht jetzt einen sichtbaren Impuls. Neben den nationalen Hilfsprogrammen wird auch die EU einspringen müssen, um die Not zu lindern. Der Schaden wird dieses Mal größer ausfallen als bei der Finanzkrise im Jahre 2010. Ergo müssen auch robustere Maßnahmen ergriffen werden. Die Europäische Zentralbank hat mit zusätzlichen Aufkäufen von Anleihen schon reagiert. Das ist gut so, wird aber nicht reichen. Für die Gesellschaft und die Wirtschaft in etlichen Ländern der EU wird es ein Wiederaufbauprogramm geben müssen. Jetzt ist der historische Moment, um an den Kapitalmärkten gemeinsame europäische Anleihen aufzunehmen. Dies wäre das sichtbare Zeichen der Risikogemeinschaft, sowohl für die Märkte, aber vor allem für die Bürger und Bürgerinnen.
Die Corona-Krise lehrt uns, dass wir auch in der Gesundheitspolitik mehr Europa brauchen. Wir brauchen ein EU-weites Krisenzentrum, um schnell den nötigen Überblick zu bekommen und sachgerechte Maßnahmen zu ergreifen, die lokal, regional, aber nicht zwangsläufig national sein müssen. Auch muss in der EU gemeinsam eine strategische Reserve an Medikamenten und Medizinprodukten angelegt werden. Das wir hier von China abhängig sind, zeigt ein Defizit an europäischer Souveränität.
Die Europäische Union kennt in ihrer Geschichte eine ganze Reihe von Krisen. Aus solchen Notlagen ist die Gemeinschaft meistens gestärkt herausgekommen. Auch jetzt besteht noch die Chance, Irritationen zu beseitigen und diese größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam zu bestehen.
Es war bewegend zu sehen, wie Musiker von den Balkonen um 18 Uhr in vielen Städten die Europäische Hymne „Ode an die Freude" in die Welt hinausgetragen haben. Dieser kleine aber wichtige Symbolakt wird auch in Erinnerung bleiben. Gemeinsam sind wir stärker und werden diese Krise meistern.