Seit Mitte März sind die Geschäfte weitgehend zu. Für Inhaber ein wirtschaftliches Desaster. Damit steht aber auch ein Geschäftsmodell zur Disposition, das vor allem die bundesdeutschen Innenstädte in den letzten Jahrzehnten geprägt hat: die Shopping Mall.
Florian ist echt erleichtert, Hartz IV droht dem Berliner Handelskaufmann nun doch nicht. Denn seit dem 26. März darf er den kleinen Verkaufscontainer wieder aufmachen und seinem Gewerbe nachgehen. Florian verkauft den „notwendigen Bedarf" für E-Zigaretten und wurde von der Senatsverwaltung nach langem juristischem Hin und Her mit Tankstellen gleichgestellt. Die dürfen auch weiterhin geöffnet haben, weil sie notwendige Dinge des täglichen Lebens verkaufen. Der einzige Unterschied zwischen dem E-Zigaretten-Verkäufer und den Tankstellenpächtern ist die Örtlichkeit ihres Gewerbes. Letztere sind draußen, gut sichtbar an der Straße. Florian steht im Tiefgeschoss einer Shopping Mall im Berliner Norden. Mutterseelenallein. Doch der Mann, Mitte 20, lässt die Hoffnung nicht fahren. Er fühlt sich als Gewinner im doppelten Sinn.
Seine Shopping Mall wird auf jeden Fall die Türen aufhalten, drei Lebensmittelmärkte sind drin, und dann wird sich auch rumsprechen, dass der E-Zigaretten-Mann im Tiefgeschoss da ist und vor allem, dass er weiter offen hat. „Aber das braucht seine Zeit". Die hat Florian auf jeden Fall. Denn bis weit nach Ostern wird er da unten im Tiefgeschoss der Shopping Mall im Norden Berlins der einzige Laden außer den Lebensmittelgeschäften sein, der seine Waren verkaufen darf. Florian, selbst E-Raucher, trägt übrigens keinen Mundschutz, braucht er auch nicht, er ist derzeit allein auf weiter Flur. Die Frage nach dem Mindestabstand stellt sich bei ihm derzeit nicht.
Für Rosi dagegen schon. Ihr stehen in den kommenden Wochen einige Amtsgänge ins Haus, beziehungsweise der Gang zum Jobcenter. Sie hatte bis vor Kurzem als freiberufliche Handelsvertreterin einen Laden für die kleinen Unnötigkeiten des Lebens in einer Shopping Mall in der gut situierten Steglitzer Schloßstraße, im Berliner Südwesten. Kerzenleuchter, Kuschelschwämme, Warnblinker, Feuchtigkeitsspender und Seifen, dieses Angebot übrigens auch im Tiefgeschoss. Doch die Menschen mussten an ihrem Laden vorbei. Neben ihrem Shop war der Eingang zur einer Großfiliale des letztverbliebenen Warenhauskonzerns Deutschlands. „In dem Augenblick, wo ich Mitte März die Meldung gehört habe, alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte müssen schließen, war mir klar: Das war’s", erzählt Rosi, die ihr Gesicht auch nicht so gern in einer Zeitung sehen möchte. „Noch am Sonntag, wo ich das im Radio gehört habe, habe ich meine Kündigung für den Laden geschrieben." Für die Frau Ende 40 war klar, dass ihr auch die großzügigen Kreditzusagen des Bundesfinanzministers nicht weiterhelfen werden. „Ich nehme einen Kredit auf, um die Miete für einen Laden zu bezahlen, den ich nicht aufmachen darf, das macht doch überhaupt keinen Sinn." Mit dem Vermieter konnte sich Rosi dann tatsächlich darauf einigen, den Mietvertrag „vorerst ruhen zu lassen", bis das Geschäft mit „Dies und Das" wieder läuft.
Aktuelle Entwicklung verschärft den Druck im Einzelhandel
Eine solche Regelung wäre Anfang März noch undenkbar gewesen. Doch auch die Betreiberin der Shopping Mall hat ein großes Interesse daran, die derzeitigen Mieter bei der Stange, sprich im Haus zu halten. Rosi dagegen spekuliert noch einen Schritt weiter. Sie hat den Mietvertrag im Sommer 2018 geschlossen, also in der Hochzeit des Immobilienbooms. „Ich werde mich mit dem Vermieter Ende April zusammensetzen, und dann werden wir den ganzen Vertrag noch mal neu aushandeln, die Konditionen dürften dann ganz andere sein, als bei meinem alten Vertrag." Die Aussichten für die Handelsvertreterin stehen nicht schlecht. Bis dahin muss sie als „Überbrückerin" bei ihren Terminen im Jobcenter immer schön auf den Mindestabstand achten.
Nicht nur für Florian und Rosi, sondern vor allem auch für die Shopping alls kommen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mit Geschäftsschließungen zur absoluten Unzeit. Seit Jahren gehen bundesweit die Umsätze in den Geschäftsstraßen der deutschen Städte rapide zurück. „Besonders der Innenstadthandel berichtet von schwachen Besucherströmen. Die Zufriedenheitswerte mit dem Weihnachtsgeschäft gaben deutlich nach", musste erneut der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) Stefan Genth im Dezember in einer Pressemitteilung einräumen. Was nicht verwundert, denn die Paketdienstleister melden umgekehrt ein ständig steigendes Auftragsvolumen. Deutschland bestellt im Netz und geht immer weniger vor Ort einkaufen. Da ist das Einkaufsverbot in den Läden ein unglaublicher Beschleuniger für den Internethandel. „Selbst Emma Klafuzke begreift jetzt, dass man sich auch wirklich alles liefern lassen kann und obendrein keinen Aufpreis zahlen muss", bringt es Rosi aus dem stillgelegten „Dies und Das"-Laden auf den Punkt.
Der Geschäftsführer des Handelsverbandes Stefan Genth, geht davon aus, dass der Nicht-Lebensmittel-Einzelhandel bundesweit 1,15 Milliarden Euro verliert. Pro Tag! Für die Shopping Mall-Betreiber der Worst Case, ist doch ihr Fundament ohnehin, zumindest in Deutschland, auf dünnem Fundament gebaut.
Die Idee, ein ganzes Land mit Shopping Malls zu überziehen, stammt aus den frühen 90er-Jahren. Das klassische Kaufhaus, so die damalige Philosophie des deutschen Einzelhandels, hat ausgedient. Der Kunde will alles unter einem Dach, was er ja im bisherigen Kaufhaus schon hatte, aber nun irgendwie anders. Vorbild, wie immer bei der Akkumulation des Konsums, waren die USA. Dort eröffnete 1956 in Minneapolis die erste Shopping Mall der Welt, das Southdale Center. Die Idee dahinter war ziemlich simpel: Der Farmer aus dem County kommt einmal die Woche in die Stadt und will nicht nur einkaufen, sondern auch was erleben. Wenn er schon zwei Stunden mit dem Auto zum Einkauf unterwegs ist, will er alles an einem Ort. Also Lebensmittel kaufen, Friseur, Massage, gut essen gehen und dann ins Kino oder Theater. Die Idee zum Shoppingcenter war für ein Flächenland wie die USA absolut nachvollziehbar. Die Menschen dort leben von Wohnort zu Wohnort auch gern mal 200 Kilometer voneinander entfernt. Da macht es Sinn, sich beim Einkaufen auch gleich mal mit Freunden zu treffen, in der Shopping Mall. In den USA wurde dann in den 90er-Jahren auch gleich ein ganzer Urlaub in der Mall verbracht. Wie zum Beispiel in der Boulevard Mall in Las Vegas an der Maryland Avenue. 1,2 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche auf elf Hektar Land. In Deutschland nennt man so was Stadt, in den USA Einkaufscenter.
Konzept der Malls auf dem Prüfstand
In den 90er-Jahren war den Deutschen nach etwas ganz Großem zumute. Kurz nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung wollten die blühenden Landschaften auch mit Gigantischem bespielt werden, und da kam die Shopping Mall gerade recht. Der Osten musste mit Gütern versorgt werden, und weil die Innenstädte in der ehemaligen DDR sowieso aufgefrischt wurden, setzte man reihenweise Shopping Malls in Fußgängerzonen. Doch gleiches Recht für alle, nicht nur ehemalige DDR-Bürger sollten den Rausch der neuen Konsumtempel erleben dürfen, sondern die Westdeutschen gleich mit. Das Ergebnis, zumindest in westdeutschen Innenstädten, war dann für den Kleinhandel aber eher verheerend. Der klassische, standortgebundene Einzelhandel, die Ladengeschäfte, gingen den Bach runter, weil sie mit den Betreibern in den Shopping Malls nicht konkurrieren konnten. Hildesheim oder Ingolstadt sprechen Bände. Die Innenstädte im Westen der Republik starben aus, die im Osten kamen gar nicht erst richtig zur Blüte. Doch als selbst Anfang des neuen Jahrtausends klar wurde, dass Shopping Malls in den Innenstädten vielleicht doch nicht so der wahre Weg sind, wurde weiter fleißig gebaut. Dabei unterliefen den Architekten der Konsumzukunft, zum Beispiel in Berlin, dann auch fatale Fehler in ihrer Annahme des Kommenden. In der Bundeshauptstadt ging man zum Beispiel davon aus, dass die Brandenburger aus dem Umland reihenweise in Berlin einfallen würden, um dort das Notwendigste ergattern zu können. Doch wurde in den Planungsbüros übersehen, dass ja auch rund um Berlin herum Shopping Malls allerorten gebaut wurden. Warum soll also ein Teltower in die Schloßstraße nach Berlin fahren, wenn er den ganzen Krempel bei sich im Schönwalde-Center kaufen kann. Das bekommt man dann auch in der Schloßstraße in Berlin-Steglitz beim Umsatz deutlich zu spüren.
Dazu kommt die Entwicklung beim Internethandel, der dem stationären Handel das Überleben seit geraumer Zeit schwer macht.
Jedes Jahr muss der Einzelhandelsverband aufs Neue einräumen, dass in den abgelaufenen vier Quartalen wieder erhebliche Margen vom stationären Handel in den Innenstädten an das Internet abgegeben wurde. Warum soll ich als Händler einen Laden offenhalten, wenn ich das quasi im Homeoffice auch sehr schön von meinem Küchentisch aus machen kann? Viele stationäre Händler lernen spätestens jetzt in Corona-Zeiten per staatlichen Zwang um und haben sich im Netz eine virtuelle Verkaufsplattform eingerichtet. „Das war für mich eigentlich immer ein Unding, weil ich als Händler den Kontakt mit den Kunden schätze. Aber mir ist jetzt schon klar, zukünftig wird ein guter Teil meines Umsatzes wohl im Internet gemacht." So ein Sportladenbesitzer, der ebenfalls in einer Shopping Mall „noch" einen Laden gemietet hat. Allerdings wurde er zumindest für vier Wochen vom Betreiber freiwillig mietfrei gestellt. „Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, nachzufragen, sondern die haben mich angeschrieben und mich mehr oder weniger gebeten, jetzt nicht den Kopf hängen zu lassen und auf keinen Fall zu kündigen."
Umbruch mit offenem Ausgang
Nach Informationen des „Handelsblattes" hat Europas größter Betreiber von Shopping Malls, die Unibail-Rodamco-Westfield (URW), bereits bestätigt, dass der Konzern im Dialog mit seinen Mietern sei. Im Moment sei es noch zu früh, um die Konsequenzen für das eigene Geschäft abzusehen. Das Immobilienvermögen der URW wurde Anfang des Jahres mit 66 Milliarden Euro angegeben, doch die Aktie hat seit Jahresbeginn zwei Drittel ihres Wertes verloren. Ähnlich dramatisch offenbar auch die Lage bei der Deutschen Euroshop AG, einem weiteren großen Betreiber von Malls in Deutschland. Die AG will vorsorglich die Dividende ihrer Aktionäre streichen. Die Aktie der Euroshops hat in den letzten Wochen ebenfalls weit über die Hälfte ihres Wertes verloren.
Das Problem der Shopping Mall-Betreiber: Die Umsatzverluste bei den Händlern kommen auch direkt bei ihnen an. Aufgrund der jahrelang schwierigen Vermietungssituation ist es in diesem Bereich üblich, die Mieten an den Umsatz zu koppeln. Es gibt also eine Grundmiete plus Umsatzbeteiligung. Wobei damit die Mietausfälle für einen Monat noch verkraftbar wären, so der Bundesverband der Immobilien-Investment-Sachverständiger. Wirklich schwierig wird es bei den drohenden Insolvenzen der Händler und damit dem völligen Ausfall der Mieteinnahmen. Und diese Geschäftsaufgaben drohen in Serie, denn wer schnell aus den bestehenden Mietverträgen raus will, beziehungsweise muss, kommt am schnellsten mit einer Insolvenz raus.
Wer als Händler rechnen kann, was bei den Erfolgreichen der Zunft vorauszusetzen ist, wird zusehen, dass er so schnell wie möglich aus seinem Mietvertrag rauskommt. Denn ein neuer wird nach der Krise zu gänzlich anderen Konditionen ausgehandelt als vor Corona. Zulasten der Betreibergesellschaften der Shopping Mall. Es werden noch weniger unternehmungslustige Händler in die Malls strömen, um Räume zu mieten, als dies ohnehin in den letzten Jahren der Fall war. Und wenn sie sich dort tatsächlich einmieten, zählt nur der Umsatz, den sie unmittelbar im Geschäft in der Mall erzielt haben, nicht der, den sie mit ihrem Internethandel erwirtschaften. Genau das wird der Knackpunkt für die Shopping Malls. Was nützen Mieter mit einer umsatzorientierten Miete, die nur geringen Umsatz in ihrem Laden vorweisen? Ganz abgesehen von einer Kundschaft, die sowieso immer öfter von zu Hause aus bestellt.