Das Land bekämpft das Coronavirus mit Massen-Tests und Handyortung
In Deutschland findet eine merkwürdige Debatte über die Corona-Krise statt. Es wird über eine Lockerung der staatlich verordneten Schutzmaßnahmen diskutiert, bevor die volle Wucht der Epidemiewelle überhaupt sichtbar ist. Die deutsche Wirtschaft müsse nach Ostern wieder angefahren werden, fordert der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann. Die Bundesregierung stehe in der Pflicht, dringend eine Exit-Strategie auszutüfteln, sekundiert FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner.
Zwar ist die Sorge verständlich, dass eine De-facto-Einmottung von Unternehmen über mehrere Monate die Konjunktur in den Keller reißen könnte. Doch so lange die Kurve der Infektionen steil ansteigt, wäre es fahrlässig, über die Aufhebung von Kontaktverbot oder Restaurant-Sperre zu sinnieren. Käme der Einstieg in den Ausstieg zu früh, bestünde die Gefahr einer zweiten Ansteckungswelle. Mit womöglich noch viel schlimmeren Folgen.
Ein Blick nach Ostasien zeigt, wie Staaten die Ausbreitung des Coronavirus in den Griff bekommen können. Vor allem der südkoreanische Weg bietet eindrucksvolle Ergebnisse. Noch Ende Februar war Südkorea nach der Volksrepublik weltweit am stärksten von der Krankheit Covid-19 betroffen. Heute ist die Kurve deutlich abgeflacht. Mittlerweile liegt das Land mit rund 10.000 Infizierten an zehnter Stelle – weit hinter den neuen Epizentren USA, Italien, Spanien, China und Deutschland.
Mit zwei konsequent durchgezogenen Maßnahmen hat Südkorea das Virus gebändigt. Die eine lautet: Testen, testen, testen. Mehr als 100 Labore, die im ganzen Land verteilt sind, arbeiten rund um die Uhr. Jeder, der will, kann sich testen lassen. Und es funktioniert ganz einfach. In über 50 „Drive-Through"-Stationen auf Parkplätzen fährt man mit dem eigenen Auto vor. Man öffnet das Fenster, ein Arzt in Schutzkleidung macht einen Rachenabstrich. Am nächsten Tag kommen die Ergebnisse per SMS. Wer positiv getestet ist, muss in häusliche Quarantäne.
Die zweite Maßnahme des südkoreanischen Weges heißt Handyortung. Auf der Basis des Seuchenschutzgesetzes in Corona-Zeiten haben die staatlichen Stellen Zugriff auf die anonymisierten Privatdaten aller Bürger. Dies umfasst die Smartphone-Aufzeichnungen von den Telekommunikationsfirmen. All dies hat nur den Zweck, die Bewegungsabläufe eines jeden Infizierten genau nachverfolgen zu können.
Wer erkrankt, wird sofort isoliert – entweder zu Hause oder im Krankenhaus. Darüber hinaus sprechen die Behörden die Kontaktpersonen der Infizierten an, die umgehend getestet werden. Sind sie positiv, werden auch die Kontaktpersonen der Kontaktpersonen ausfindig gemacht, die ebenfalls einen Test machen müssen. In einem nächsten Schritt werden die Bewegungsabläufe aller Covid-19-Patienten miteinander abgeglichen, um genaue Infektionsstränge nachvollziehen zu können.
Doch nicht nur das. Auf einer Homepage der Regierung werden die Daten anonymisiert veröffentlicht – inklusive Alter, Nationalität und Geschlecht der an Covid-19 Erkrankten. Jeder Bürger kann selbstständig überprüfen, ob er ebenfalls an einem der Orte war, an denen sich Infizierte aufgehalten haben. Zusätzlich verschickt der Staat per SMS Warnbotschaften an Anrainer von „Hotspots", an denen sich viele Leute angesteckt haben.
Die Kritiker in Deutschland geben zu bedenken: Derlei staatliche Eingriffe seien vielleicht in Ostasien möglich, aber nicht in den freiheitlichen Demokratien des Westens. Man muss in Europa den südkoreanischen Weg nicht eins zu eins kopieren. Aber was spricht dagegen, die Aufenthaltsorte der Infizierten und sämtlicher Kontaktpersonen – anonymisiert – zu speichern und ein flächendeckendes Warnsystem aufzubauen?
Es müsste natürlich per Gesetz geregelt werden, dass alle Daten unter Aufsicht unabhängiger Experten nach der Corona-Krise wieder gelöscht werden. Nur dann wäre es eine Option. Die Vorteile lägen auf der Hand: Die Allgemeinheit hätte größeren Schutz vor dem aggressiven Virus, die Krise wäre von kürzerer Dauer, und die Wirtschaft könnte früher durchstarten.
In Deutschland wird hingegen diskutiert, dass Infizierte freiwillig ihre Daten in Apps eintragen, um so Kontaktpersonen zu warnen. Das ist besser als nichts. Aber es hat wesentlich weniger Wirkung als das System Südkoreas.