Geschlossene Grenzen, Ausgangsbeschränkungen – gerade jetzt wird bei vielen die Sehnsucht nach Urlaub besonders groß. Wir stellen jede Woche als Ausblick auf die Zeit nach der Krise ein besonders interessantes Reiseziel vor. Heute: Oman – ein Land, das in nur 50 Jahren den Schritt vom tiefsten Mittelalter in die Neuzeit schaffte.
Flughafen Maskat morgens um vier: Müde vom langen Nachtflug verlassen die Passagiere die Maschine. Sie erwarten keine Überraschungen, wie wohl auf keinem Flughafen der Welt morgens um vier. Zumindest keine guten! In Maskat wird man zu dieser nachtschlafenden Stunde jedoch eines Besseren belehrt: Überall freundliche Gesichter, sogar bei der Passkontrolle gibt’s ein Lächeln zur Begrüßung. „Good morning, Madame, welcome in Oman", strahlt mich die junge Frau hinterm Schalter an und bewirkt damit ein Wunder. Ihre gute Laune vertreibt die eigene Müdigkeit. Draußen in der Empfangshalle, die blitzt, als hätte Meister Propper als Willkommensgruß soeben noch einmal durchgewischt, warten Omar und Said auf die Gäste aus Deutschland. Die Cousins, beide Mitte 20, werden sie hinauf ins gewaltige Hajar-Gebirge bringen, wo sie für ein paar Tage den Wolken ganz nah sind. Obwohl es noch stockfinstere Nacht ist, die Fahrt über die Suma’il-Kluft – wie die Hauptverkehrsachse ins Landesinnere des Sultanats genannt wird – ist taghell erleuchtet. Nicht nur deshalb, sondern auch, weil sie makellos asphaltiert ist, macht sich bei den Deutschen, die das von ihren Autobahnen ja nicht unbedingt kennen, so ein bisschen was wie Neid, vor allem aber große Bewunderung breit. Denn: Es ist gerade mal 40 Jahre her, da gehörte Oman zu den rückständigsten und ärmsten Ländern der Welt. Das änderte sich erst ab 1970, als der am 10. Januar verstorbene Sultan Qabus Al Said seinen Vater, der das Volk 38 Jahre lang wie im tiefsten Mittelalter regiert hatte, mit einem Staatsstreich absetzte und begann, seine Vision von einem modernen Staat auf den Weg zu bringen. Heute verfügt Oman über eine moderne Industrie, Mädchen und Jungen erhalten die gleiche Schulbildung, die medizinische Betreuung ist kostenlos, Männer und Frauen haben gleiches Wahlrecht und Zugang zu allen Bildungseinrichtungen. Seit Ende der 80er-Jahre setzte der Sultan auf das Programm der „Omanisierung", was beinhaltet, ausländische Fachkräfte bis hin zu Topmanagern durch einheimische zu ersetzen. Dafür wurde in den letzten Jahren das Ausbildungsangebot an der Universität, an Hoch- und Berufsschulen stark erweitert. Ziel ist es, für jeden Staatsbürger einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Bis es so weit ist, wird allerdings noch manch Barrel Öl gefördert werden müssen, denn noch beträgt die Arbeitslosigkeit zwischen elf und 15 Prozent.
Apropos Öl. Ihren Reichtum verdanken die Omanis – wie auch die benachbarten Golfstaaten – den reichlich sprudelnden Erdölquellen. Doch anders als die Herrscher von Dubai beispielsweise, die fast alles Historische plattmachten, auf gigantische Hochhäuser sowie protzige Skylines setzen und den Reichtum heraushängen lassen, beschritt Qabus Al Said einen anderen Weg, um das flächenmäßig etwa so große Land wie Deutschland vom Mittelalter in die Neuzeit zu führen, ohne die Traditionen und die lange Geschichte zu vergessen und ohne die historischen Gebäude zu zerstören. Ein Bericht der UN würdigt Oman als das Land, das innerhalb der letzten 40 Jahre seine soziale und wirtschaftliche Lage am meisten verbessern konnte. Die fantastische Verkehrsinfrastruktur ist nur ein kleiner Beweis dafür. Gab es vor 1970 kaum 50 Kilometer asphaltierte Straßen, so ziehen sich heute rund 60.000 Kilometer quer durchs Land, hinzu kommen mehr als 2.000 Kilometer Autobahn. Waren früher die meisten Orte und Gebiete nur über schmale Eselspfade zu erreichen, so sind heute fast alle bequem mit dem Auto erreichbar.
Traditionen werden erhalten
So auch unser Ziel, der Gebirgszug Al Jamar al Akhdar im Hajar-Gebirge. Über eine unendlich erscheinende steile Serpentinenstraße lenken Omar und Said die Allradfahrzeuge hinauf, bis endlich das „Sahab Resort and Spa", unser Zuhause für die nächsten Tage, erreicht ist. Längst hat der Tag die Reste der Nacht verdrängt, und die Sonne lässt die Bergwelt ringsum im schönsten Licht erscheinen. Das Hotel liegt auf einem Bergplateau, 2.000 Meter über dem Meeresspiegel. Eine dicke, hüfthohe Glasscheibe begrenzt den Felsen der 600 Meter senkrecht in die Tiefe ragt. Ehe das Hirn signalisiert, dass man nicht hinunterstürzen kann und man sich ganz nah heranwagt, dauert es eine Weile.
Wow – was für eine gigantische Landschaft! Und das Erstaunliche ist, dass hier jenseits der Zivilisation oben schon immer Menschen gelebt haben. Wie in dem alten Dorf, das etwa 200 Meter Luftlinie entfernt auf der anderen Talseite zu sehen ist. Errichtet auf einem Felsen, haben es die Bewohner über Jahrhunderte doch geschafft, hier autark zu leben. Dafür mussten sie in mühevoller Handarbeit Terrassen in den Fels schlagen, Erde herbeikarren und Felder anlegen. Ein raffiniert ausgeklügeltes Bewässerungssystem, das heute noch so wie vor vielen Generationen funktioniert, macht es möglich, dass hier Obst, Gemüse, Reis und Futter für die Tiere gedeihen. Seit einigen Jahren haben die Bewohner auch Strom. Das Leben ist leichter geworden – leicht indes nicht. Daran ändern auch Satellitenschüsseln auf den Dächern und Handys in den Hosentaschen nichts. Es ist und bleibt ein tägliches Ringen mit der Natur.
Ganz anders erfahren es die Gäste im „Sahab": Sie genießen den Luxus eines 4-Sterne-Hotels, schlafen wie auf Wolken gebettet – denn Sahab bedeutet Wolke – und begeben sich aus dieser Komfortzone heraus auf Exkursionen in die lange Geschichte des Landes. Es bedarf nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie extrem das Leben der meisten Menschen in Oman noch vor knapp einem halben Jahrhundert war, wenn man sich auf den anstrengenden Weg in das verlassene Dorf im unweit gelegenen Wadi (Tal, trockener Flusslauf) Bani Habib begibt. Noch bis in die 80er-Jahre lebten in dem vor gut 150 Jahren gebauten Dorf aus Lehm und Stein rund 700 Menschen, die kaum Kontakt zur Außenwelt hatten. Lediglich ein Eselspfad führte zu ihnen, Strom gab es nicht, Wasser wurde in Zisternen aufgefangen. Da das Dorf so abgeschieden lag und es unmöglich war, eine Straßenverbindung dorthin zu bauen, verließen es in den letzten Jahrzehnten immer mehr Menschen. Zuerst die Jungen, später auch die Alten. Auf der anderen Talseite bauten sie sich – auch mit Unterstützung der Regierung – ihr Dorf neu. Den verlassenen Ort besuchen heute Einheimische und Touristen, um zu sehen, wie schwer die Lebensbedingungen einst waren. Leider sind schon viele Häuser eingefallen, der Regen zerstört die Lehmbauten und spült sie nach und nach weg. Schade eigentlich, denn eindrücklicher als durch den Anblick eines solchen verlassenen historischen Dorfes kann man kaum veranschaulicht bekommen, welche unglaubliche Entwicklung Oman in noch nicht mal einem halben Menschenalter genommen hat.
Wadis verwandeln sich bei Regen in Flusstäler
Es regnet nicht so oft in den Bergen, doch wenn, dann sintflutartig. Die zahlreichen Wadis verwandeln sich in Flusslandschaften, und gewaltige Wasserfälle donnern von den Felsen ins Tal. Wir werden Zeuge eines solches Naturereignisses. Eigentlich wollten wir nach drei Tagen im Gebirge hinunter vom Berg, um noch ein paar Tage in einem Wüstencamp zu verbringen. Doch Petrus hatte wohl etwas dagegen. Als wir morgens die Augen aufschlagen, gießt es wie aus Kannen. Die Wolken hängen so tief, dass vom Tal nichts mehr zu sehen ist – ein Ende des Regens ist nicht abzusehen. Im Gegenteil: Im Laufe des Vormittags wird er immer stärker, verwandelt alles in eine Seenlandschaft. An eine Fahrt die Serpentinen hinab ins Tal ist gar nicht zu denken. Viel zu gefährlich. Doch das Ganze hat auch sein Gutes: Die Gäste dürfen die großartige Gastfreundschaft des Hotels von einer unerwarteten Seite kennenlernen. Spontan lädt die Küchencrew zu einem gemeinsamen Kochevent. Was dann folgt, ist Crossover vom Feinsten: Die indischen Köche zeigen, wie man ein fantastisches Curry kocht, bereiten mit den „Küchenazubis" arabische Vorspeisen zu und backen im Lehmofen regional typische Fladenbrote. Ein italienischer Gast revanchiert sich mit köstlicher Bruschetta sowie einem raffinierten Pastagericht, und ein Tourist aus Norddeutschland steuert Eierpunsch bei, der den Hoteldirektor so begeistert, dass er ihn sofort in die Speisekarte aufnimmt. Als Petrus am Abend endlich kapituliert, lugt die Sonne noch mal kurz hinter den Wolken hervor und geht nach einer Weile bilderbuchmäßig unter.
Welche Kraft Wasser haben kann, wird sichtbar, als Omar und Said uns am nächsten Tag vom Bergplateau in die Wüste fahren. An vielen Stellen der steilen Serpentinen ist ihr ganzes fahrerisches Können gefragt. Immer wieder müssen sie Felsbrocken ausweichen und Schlammlawinen überwinden, die die Wassermassen vom Berg gespült hat. Gut zwei Stunden später erreichen wir wohlbehalten das Wüstencamp „Dunes by Al Nahda", ein Zelthotel inmitten einer gewaltigen Sandwüste etwa eine Stunde von Maskat entfernt. Erst vor drei Jahren eröffnet, hat es sich schnell zu einem bei Omanis wie ausländischen Touristen beliebten Resort entwickelt, in dem man sich mit etwas Fantasie ein bisschen fühlen kann wie in einem Beduinenlager. Allerdings in der Luxusvariante. Die Zelte sind mit allem Komfort ausgestattet, es gibt ein Sand-Spa, wo Wüstensand für Schönheitsanwendungen verwendet wird. Wer will, kann mit einem Kamel auf Exkursion in die Dünen gehen, und – besonders beliebt bei Omanis am Wochenende – sind rasante „Surftouren" mit den allgegenwärtigen SUVs durch die hoch aufragenden Sanddünen. Die etwas entschärfte Variante davon sind Ausflüge mit dem Quad, die besonders bei Jugendlichen hoch im Kurs stehen.
Wenn der Tag geht und die Sterne sich zu einer fast makellosen Milchstraße vereinen, wird es erst richtig schön in der Wüste. An unserem letzten Abend sitzen wir auf weichen Teppichen im noch warmen Sand, genießen die arabische Küche und ahnen schon jetzt, dass wir wohl immer ein bisschen Sehnsucht nach diesem schönen gastfreundlichen Land haben werden.