Ob „Shameless" oder „Freud", The Marvelous Mrs. Maisel" oder Survival-Serien – in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen freuen sich die Streamingdienste. Aber auch die Kunden? Einige der Marktführer haben angesichts der Vielzahl von Zugriffen ihr Datenvolumen gedrosselt.
Die Ausgangslage: In vielen Ländern herrschen während der Corona-Pandemie mehr (Frankreich, Belgien) oder weniger (Deutschland) rigide Ausgangssperren und -beschränkungen. Die werden von den meisten Bürgern auch befolgt. Trotzdem gibt es eine Befürchtung: Je mehr Leute zu Hause bleiben und je mehr Schränke geputzt, Spiele gespielt und Gespräche geführt sind, desto mehr wird auf Streamingdienste zurückgegriffen – das Datennetz könnte überlastet werden. Hinzu kommen weitere Angebote wie Schulunterricht per Internet, Gitarrenkurse per Skype, die verstärkte Nutzung von Videospiel-Plattformen und natürlich die exponentielle Zunahme von Mitarbeitern, die im Homeoffice arbeiten.
Die Initiative, eine verminderte Streaming-Qualität zu erreichen, ergriff Thierry Breton. Der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Industriepolitik teilte am 18. März per Twitter mit, dass er mit Netflix-Geschäftsführer Reed Hastings telefoniert und ihm vorgeschlagen habe: „Um den Internetzugang für alle zu sichern, lasst uns zu Standardqualität schalten, wenn HD nicht nötig ist."
Bereits drei Tage nach dem Vorstoß von Breton veröffentlichte Netflix in Person von Ken Florance, Vizepräsident für Content Delivery, eine Pressemitteilung, in der es heißt, dass man sofort mit „dem Entwickeln, Testen und Umsetzen einer Lösung begonnen habe, um den Netflix-Traffic im Netzwerk um rund 25 Prozent zu reduzieren". Nach und nach habe man damit begonnen, dieses neue System im Corona-Hotspot Europa und im Vereinigten Königreich einzuführen. Auch aus anderen Ländern, etwa aus Lateinamerika, seien Anfragen zur Drosselung gekommen. Das Ziel sei überall das gleiche und ganz einfach erklärt: „Wir möchten unseren Mitgliedern die gewohnte Qualität liefern und gleichzeitig unsere Internetanbieter unterstützen, die mit unvorhergesehenen Belastungen ihrer Netzwerke zu kämpfen haben."
Nach Netflix verzichtete Youtube auf hochauflösende Qualität. Dabei stellte sich die Nutzung dort etwas anders dar als bei der meist wegen des Unterhaltungswertes abonnierten Plattform. Die Menschen rufen sehr viele Videos mit Hintergrund-Infos und zum Umgang mit dem Virus auf. Zu viele vielleicht? Zwischenzeitlich sind noch Granden wie Amazon Prime und sogar der erst vor wenigen Tagen gestartete Dienst Disney Plus mit einer Drosselung nachgezogen. Müssen sich Nutzer also wegen Qualitätseinbußen Sorgen machen? Müssen sie befürchten, dass neueste Blockbuster daherkommen, als schaue man selige, abgenudelte VHS-Bänder? Kontrollierte Grenzen, geschlossene Geschäfte und jetzt noch verpixelte Marvel-Helden?
Nein, Netflix beispielsweise hat mehrstufige Abos. Nutzer, die für 4K bezahlen, werden auch in der Krise 4K erhalten, stellte das Unternehmen inzwischen klar. Der beste Grund, warum das auch nicht passieren soll, heißt „Deutsche Commercial Internet Exchange" oder kurz DE-CIX. Dabei handelt es sich um einen Internet-Knoten, ein Austauschpunkt für den Datenverkehr. DE-CIX ist aber nicht nur irgendein Knotenpunkt, sondern nach Datenumsatz –
der Netto-Datenmenge pro Zeit – der größte der Welt seiner Art. Nach Angaben des Betreibers, der in Frankfurt ansässigen DE-CIX Management GmbH, wickelt der Knoten einen großen Teil des Peering-Verkehrs ab, also beispielsweise den Datenaustausch zwischen Anbietern eines Internetzugangs.
Bundesnetzagentur und Anbieter sehen keinerlei Probleme
In den FAQ ist zu lesen, dass DE-CIX Mitte März einen neuen Datentransfer-Rekord zu verzeichnen hatte – mehr als 9,1 Terabyte pro Sekunde bedeuteten einen Zuwachs von mehr als zehn Prozent seit Dezember. Es stelle jedoch kein Problem dar, mit dem bereits vorhandenen und der noch zu erwartenden Zunahme des Internet-Verkehrs ohne Probleme Herr zu werden. „Selbst wenn alle Firmen in Europa gleichzeitig im Homeoffice arbeiten würden und noch eine Fußall-Europameisterschaft parallel übertragen würde, wären wir trotzdem fähig, die notwendige Bandbreite zur Verfügung zu stellen", heißt es vonseiten DE-CIXs. Der Behauptung kommt zumindest schon mal zugute, dass die EM ja abgesagt wurde.
Neben der bereits erwähnten Zunahme von zehn Prozent an Datentransfer und den 9,1 Terabyte pro Sekunde – nach eigenen Angaben sogar Weltrekord – verzeichnete man in den vergangenen Wochen einen 25-prozentigen Anstieg von Online- und Cloud-Spielen und von Datenverkehr innerhalb der sozialen Medien. Um ganze 50 Prozent nahm die Datenmenge bei Diensten von Videokonferenzen zu, etwa per Skype, Web-Ex oder Teams. Für die Zukunft sei man dennoch gut aufgestellt, da man die Technik ohnehin so ausbaue, dass man mit etwa 20 Prozent Zunahme zurechtkomme – pro Jahr. „Außerdem halten wir immer eine zusätzliche Kapazität von 25 Prozent frei", erklärt das Unternehmen.
Experten sehen Schwachstellen vor allem auf lokaler Ebene und dann auch nur, wenn beispielsweise zu viele Menschen auf einmal das Gleiche streamen. In einem Mehrfamilienhaus etwa, wenn alle gleichzeitig Netflix, Prime oder Disney Plus schauen. Das Arbeiten im Homeoffice mit klassischen Office-Anwendungen wie Textverarbeitungs- oder Tabellenkalkulationsprogrammen wird weniger kritisch gesehen, da deren Datenmenge nicht wirklich groß ist. Eine ganz andere Frage ist es, ob die Zuschauer auf normalen Fernsehgeräten oder am Monitor tatsächlich bewusst den Unterschied merken.
In Deutschland ist eine Regulierung nach unten im Notfall übrigens per Gesetz möglich. Die Bundesnetzagentur teilt in einer Pressemitteilung vom 5. März mit: „Sollte es wider Erwarten zu einer Überlastsituation kommen, können die Telekommunikationsunternehmen im Einklang mit der Netzneutralitätsverordnung angemessene Maßnahmen ergreifen, um die Überlastung zu mindern." Für diesen Fall habe man einen Leitfaden mit Lösungen und Maßnahmen für ein zulässiges Verkehrsmanagement entwickelt. Doch gleichzeitig beschwichtigt die Behörde: „Die Netze sind derzeit stabil, und gravierende Beeinträchtigungen werden aktuell nicht erwartet. Die Anbieter sind auf eine Zunahme des Datenverkehrs gut vorbereitet."
Sollte es außerdem in den europäischen Datenleitungen eng zugehen, hätten das Europäische Parlament und der Europäische Rat noch die Verordnung 2015/2120 zur Hand. Laut dieser dürfen im Notfall einzelne Dienste heruntergeregelt werden. Genau das soll nach dem Gedanken der Netzneutralität jedoch eigentlich ausgeschlossen sein. Denn in der Verordnung steht auch: „Bei der Bereitstellung der Internetzugangsdienste sollten Anbieter den gesamten Datenverkehr ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, ungeachtet des Senders, des Empfängers, des Inhalts, der Anwendung, des Dienstes oder des Endgeräts, gleich behandeln."