Autofahren macht derzeit Spaß – vor allem mit Blick auf die Zapfsäulen. Dass das Benzin so billig ist, hat mit dem neuartigen Coronavirus und einem globalen Machtspiel zu tun. Das Wiederanfahren der Wirtschaft könnte den Verbrauch wieder in alte Höhen treiben, dem Klimaschutz zum Trotz.
Tanken für etwas mehr als einen Euro pro Liter? Die Älteren unter uns werden sich erinnern. Zuletzt lag der Preis für einen Liter Super laut ADAC im Jahr 2006 bei 1,24 Euro. Billiges Benzin also, aber man kann kaum irgendwohin fahren – die deutschen Autofahrer werden es mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen. Der Kraftstoffverbrauch nicht nur in Deutschland dürfte in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und ausfallenden Reisen in diesem Jahr weiter kräftig fallen. Industrien stehen still, Flugzeugflotten parken auf Rollfeldern, selbst der Schiffsverkehr vor allem aus Asien nahm ab. Die großen Kraftstoffverbraucher der Erde stehen oftmals still, weniger Nachfrage weltweit lässt auch die Preise purzeln.
Aber das ist es nicht alleine. Denn mit Beginn der Corona-Pandemie erhöhte auch Saudi-Arabien seine Produktion. Was auf den ersten Blick widersinnig erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als perfides Machtspiel. „Saudi-Arabien pokert sehr hoch", titelte unter anderem die „Financial Times": Der ursprüngliche Plan war, die Produktionsmenge an Erdöl in der Krise zu drosseln, um den Preis zu stützen. Russland allerdings ist auf die Devisen aus dem Ölgeschäft angewiesen – und weigerte sich. Dies scheint den neuen Machthaber am Golf, Kronprinz Muhammed bin Salman, sehr verärgert zu haben. Unmittelbar nach dem „Nein" aus Moskau warf der saudische Staatskonzern Aramco mithilfe der „strategischen Förderreserve" des Landes große Mengen an Erdöl auf den Markt. Das Ziel: die großen Konkurrenten USA und Russland schwächen.
Das scheint auch geklappt zu haben: Denn mit den gewaltigen Erdölmengen auf dem Markt und der historisch schwachen Nachfrage raste der Preis für ein Barrel Öl in den Keller. Die Psychologie der Börsen weltweit trug ihren Teil dazu bei: Unter dem ohnehin verheerenden Eindruck der Corona-Auswirkungen in der Wirtschaft brachen diese angesichts der Ölmengen noch weiter ein – der Preis fiel weiter. Unter anderem amerikanischer Intervention ist es zu verdanken, dass Saudi-Arabien und Russland ihr immer wieder aufflammendes Gerangel um Marktanteile fürs Erste beigelegt haben – indem Präsident Trump auf eine bewährte Drohgebärde, Strafzölle auf importiertes Öl, zurückgriff. Natürlich auch im eigenen Interesse, denn die USA sind auf einen möglichst hohen Ölpreis am Weltmarkt angewiesen, sonst rechnet sich die im Vergleich zu Saudi-Arabien oder Russland wesentlich teurere Schieferölproduktion im eigenen Land nicht mehr.
Erbitterter Kampf um Marktanteile
Die Internationale Energieagentur (IEA) hat in ihrem jüngsten Ölmarktbericht ein düsteres Bild der nahen Zukunft gezeichnet. „Die Weltwirtschaft steht in einer Weise unter Druck, wie es sie seit der Großen Depression in den 1930er Jahren nicht mehr gegeben hat; die Unternehmen scheitern und die Arbeitslosigkeit steigt", so die IEA in ihrem Bericht vom April, ihrem ersten, seit es globale Lockdown-Maßnahmen gibt. „Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Reisebeschränkungen in der zweiten Jahreshälfte gelockert werden, erwarten wir, dass die weltweite Ölnachfrage im Jahr 2020 gegenüber 2019 um 9,3 Millionen Barrel pro Tag zurückgehen und damit fast ein Jahrzehnt des Wachstums auslöschen wird."
Bis dahin aber wird der Hahnenkampf zwischen Saudi-Arabien und Russland Opfer fordern. Saudi-Arabien braucht einen Ölpreis von mindestens 60 Dollar pro Barrel, um wirtschaftlich fördern zu können, schätzen Experten. Aber: Der Preis der US-Referenz-Ölsorte WTI liegt derzeit bei nur knapp 14 US-Dollar pro Barrel, die der europäischen Referenzsorte Brent bei 27 US-Dollar – und er fällt trotz massiver Förderkürzungen auf beiden Seiten weiter. Erst im Dezember entschloss sich Saudi-Arabien nach langem Zögern, seinen staatlich kontrollierten Ölförderer Saudi Aramco teilweise an die Börse zu bringen. Die Investorenrunde brachte dem Konzern stattliche 23 Milliarden Dollar ein, kurz darauf war Aramco mit einem Wert von zwei Billionen Dollar das wertvollste Unternehmen der Welt. Heute liegt der Preis pro Aktie unter dem Ausgabepreis, bei umgerechnet sieben Euro. Konkurrenten aus Russland wie der Ölförderer Rosneft oder die brasilianische Petrobras mussten allerdings mit sehr viel stärkeren Verlusten kämpfen.
Kurzfristig nützt die Krise der Umwelt – und danach?
Wird weniger Öl gefördert, weil weniger verbraucht wird, hat dies allerdings auch Auswirkungen auf die Umwelt. Besonders einprägsam: das Satellitenbild, das die rasch zurückgehende Luftverschmutzung über großen Teilen Chinas zeigte. Laut der Denkfabrik Agora Energiewende kann Deutschland sein Klimaziel 2020 „dank" Corona-Krise sogar erreichen. Die Hoffnung, dass der geringere Schadstoffausstoß fossiler Brennstoffe wie Öl langfristige Auswirkungen hat, ist jedoch trügerisch. Laut Zahlen des Umweltbundesamtes erfolgte aufgrund der Finanzkrise 2009 in Deutschland ein leichter Rückgang der Treibhausgasemissionen. Im darauffolgenden Jahr aber zogen die Emissionszahlen wieder an. Glaubt man den Prognosen der Internationalen Energieagentur, zieht auch der Ölverbrauch bis Ende des Jahres wieder auf Vor-Corona-Niveau an. Die Krise wäre also nur eine kurze Verschnaufpause für die Umwelt gewesen.
In ihren über Ostern entwickelten Exit-Strategieempfehlungen hat die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina eine wachsende Nach-Corona-Wirtschaft „auf dem Pfad der Nachhaltigkeit" angemahnt. In der Virus-Krise hat die Politik bisher auf den Rat der Wissenschaftler gehört. Ob sie es auch nach der Pandemie noch in gleichem Umfang tut, wenn es um den Umweltschutz geht, darf bezweifelt werden.