Die USA und China liefern sich in der Corona-Krise einen Propaganda-Krieg
Der globale Feldzug gegen die Corona-Pandemie wird von einem Propaganda-Krieg überlagert. Die beiden Staaten mit den größten Volkswirtschaften der Welt, die USA und China, wetteifern um die Deutungshoheit. Es geht um die Botschaft, die Erzählung – neudeutsch: das Narrativ – rund um die Ursachen, die Ausbreitung und die Eliminierung des Virus. Dahinter steckt der Kampf zweier Systeme, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Amerika schiebt der Volksrepublik die Alleinschuld an der Corona-Krise zu. Außenminister Mike Pompeo warf China zunächst vor, die Pandemie vertuscht zu haben. Dann legte er mit der Behauptung nach: Es gebe „überwältigende Beweise" dafür, dass der neuartige Erreger aus einem Labor in der chinesischen Stadt Wuhan stamme. Präsident Donald Trump hatte zuvor mit einer Schadenersatz-Kampagne und Sanktionen gedroht. Knapp sechs Monate vor der Wahl um den Einzug ins Weiße Haus sucht Trump verzweifelt nach einem Sündenbock.
China wies Pompeos verbale Breitseite als „irrsinnige Äußerungen" zurück. Das Virus komme von einem Wildtiermarkt und sei vermutlich von einer Fledermaus auf den Menschen übertragen worden. „Der teuflische Pompeo versprüht mutwillig Gift und Lügen", polterte das Staatsfernsehen CCTV.
Die USA und China: Das ist nicht nur die rhetorische Schlacht um Auslöser und Bezwinger des Virus. Dahinter stehen auch zwei diametral entgegengesetzte kulturelle Konzepte. In den Vereinigten Staaten wird der Individualismus vergöttert. So drangen Hunderte zum Teil bewaffnete Demonstranten ins Parlament des Bundesstaats Michigan in der Hauptstadt Lansing ein. Sie forderten das Ende des Corona-Notstands. Dass Trump durch seine fahrlässige Verharmlosung der Krise dem Virus erst zu einer exponentiellen Wachstumskurve verholfen hatte, scherte die Menge nicht.
China ist hingegen durch den Konfuzianismus geprägt. Nicht die Freiheit des einzelnen Menschen steht an erster Stelle, sondern die Ordnung und der Schutz der Gesellschaft. Deshalb wurde die Stadt Wuhan und die umliegende Provinz zwei Monate strikt abgeriegelt. Auf dem Höhepunkt unterlagen fast 800 Millionen Chinesen strengen Reisebeschränkungen.
Big Data und 200 Millionen Gesichtserkennungskameras im ganzen Land schufen eine Architektur der permanenten Kontrolle: Sämtliche Handydaten wurden von den Telekommunikationsanbietern an die staatlichen Behörden geliefert. Infizierte und deren Kontaktpersonen konnten sofort ausgemacht und isoliert werden. Selbst wenn die Zahlen bis zu einem gewissen Grad geschönt sein mögen: Im April wurde der Lockdown flächendeckend gelockert; die Wirtschaft auf breiter Front wieder hochgefahren.
Auch bei der Entwicklung eines Anti-Corona-Impfstoffs leben die USA und die Volksrepublik auf zwei verschiedenen Sternen. Trump setzt alles daran, das Gegenmittel unter Hochdruck im eigenen Land herzustellen. Der Rest der Welt kann sehen, wo er bleibt. China baut hingegen auf internationale Kooperation. Im März und April versorgte Peking mehr als 125 Länder mit Hilfsgütern. Chinas „Masken-Diplomatie" hatte aber auch zum Ziel, alte Absatzmärkte zu pflegen und den Boden für neue zu bereiten.
Trump hat sich mit seinem Konfrontationskurs gegen China vom jahrzehntelangen Konsens der amerikanischen Außenpolitik verabschiedet. Seit Richard Nixons berühmter Reise nach Peking im Februar 1972 hat sich jeder US-Präsident um gedeihliche Beziehungen zur Volksrepublik bemüht. Während Trump „America First" zur Fanfare seines Wahlkampfs macht, positioniert sich sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping als Prediger von Multilateralismus und Globalisierung.
Die Zeit, so scheint es, läuft für China. Vereinzelt wird bereits über eine „Wachablösung" von der westlichen Führungsmacht USA zur östlichen Führungsmacht China diskutiert. Die Volksrepublik ist bestimmt kein Heilsbringer – schon gar nicht, wenn man die Maßstäbe liberaler Demokratie anlegt.
Aber um international an Zugkraft zu gewinnen, müssten die Herrscher in Peking ihre autokratischen Machtreflexe lockern, ihre Dünnhäutigkeit ablegen und mehr Transparenz zulassen. Ein richtiger Schritt wäre zum Beispiel, eine Kommission von internationalen Wissenschaftlern ins Land zu lassen, um für alle sichtbar Licht in die ersten Tage der Corona-Pandemie zu bringen.
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.